Thüringen will Menschen mit Scheu vor Ausländerbehörden nicht von medizinischer Versorgung ausschließen
Erfurt. Noch hat sich der Rauch des rot-rot-grünen Koalitionskrachs um Abschiebungen nicht verzogen, da unternimmt Sozialministerin Heike Werner einen neuen migrationspolitischen Vorstoß. Die Linke-Politikerin übergab gestern einem Verein 230.000 Euro zur medizinischen Versorgung von untergetauchten Migranten.
Normalerweise stellen Sozialämter die ärztliche Betreuung von erkrankten Flüchtlingen sicher. Die Ämter sind jedoch laut Aufenthaltsgesetz verpflichtet, Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus an die Ausländerbehörde zu melden. „In der Konsequenz“, sagt Ministerin Werner, „meiden viele Betroffene aus Angst vor Abschiebung die medizinischen Angebote und lassen sich bei Krankheit nicht behandeln“. Die Landesregierung stehe jedoch für eine humanitäre Integrationspolitik. Dazu gehöre, auch Menschen ohne Papiere einen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verschaffen. Dies geschehe nun über ein Pilotprojekt. Geförderter Träger ist der Verein Anonymer Krankenschein e.V. in Jena.
Die oppositionelle CDU wertet den Vorstoß als „völlig falsches Signal“ an Migranten, die sich irregulär in Deutschland aufhalten. Bund und Länder würden derzeit alle Anstrengungen unternehmen, den Aufenthaltsstatus von Tausenden Menschen zu klären, die vor allem 2005 ohne Ausweisdokumente ins Land kamen. Allzu oft, sagt der migrationspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Christian Herrgott, würde die Identität vorsätzlich verschleiert. „Vermutlich, weil sie wissen, dass ihre Fluchtgründe rechtlich nicht tragen“, so der Ostthüringer Abgeordnete. Für ihn sei es skandalös, dass aus Thüringen fast systematisch alles unterlaufen wird, was Ordnung und Sicherheit wieder umfassend herstellen soll.
Den anonymen Krankenschein „für papierlose Menschen“ gibt es bereits in Niedersachsen in den Städten Hannover und Göttingen. Auch die SPD/Linke/Grüne-Koalition in Berlin bekennt sich zur „Verantwortung für Menschen ohne Aufenthaltsstatus“. Wie die Senatsverwaltung mitteilte, seien darunter alle zu verstehen, die aus aufenthaltsrechtlicher Sicht illegal in Deutschland leben. Sie hätten keine Möglichkeit, eine Krankenversicherung abzuschließen.
Mit den von Sozialministerin Werner zur Verfügung gestellten 230.000 Euro sollen dieses Jahr je eine Arzt- und Verwaltungsteilzeitstelle, medizinische Behandlungen und Arzneimittel finanziert werden.