Skurrile Situation in Schwerin: Polizisten fragen einen Iraker, ob er abgeschoben werden möchte. Der verneint das – und die Beamten gehen wieder. In Berlin gab es einen ähnlich seltsamen Fall.
Wer sich eine Weile mit den vielfältigen Gründen für die geringe Zahl der Abschiebungen beschäftigt, stößt immer wieder auf seltsame Vorgänge. In Schwerin kam es nun zu einer besonders skurrilen Begegnung. Sie wird in einem Eilrechtsschutzantrag zur Verhinderung der Abschiebung eines Irakers geschildert. Der Antrag liegt WELT vor.
Der Asylbewerber war, nachdem er schon in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt hatte, unerlaubt nach Deutschland weitergereist und sollte wieder in den für ihn zuständigen EU-Staat abgeschoben werden. Daraus wurde nichts.
Sein Anwalt beantragte vor dem Verwaltungsgericht Greifswald, es solle der Antragsgegnerin – also der Bundesrepublik, vertreten durch das Bundesinnenministerium beziehungsweise dem ihm untergeordneten Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) – untersagen, Abschiebeversuche gegen den Antragsteller zu ergreifen. Insbesondere solle das Gericht das BAMF verpflichten, „den mit der Abschiebung beauftragten Landesbehörden“, insbesondere dem Landesamt für innere Verwaltung Mecklenburg-Vorpommern „verbindlich mitzuteilen, dass aufenthaltsbeendigende Maßnahmen“ auf Grundlage der negativen Asylentscheidung vom vergangenen Mai „einstweilen nicht ergehen dürfen“.
So weit, so normal. Dreiviertel aller Asylbewerber ziehen nach einer Ablehnung ihres Antrags durch das BAMF vor Gericht. Doch in der Begründung dieses Antrags heißt es: „Am 11.12.2019 sind Vollzugskräfte bei dem Antragsteller erschienen und haben ihn danach befragt, ob er abgeschoben werden möchte. Dies hat er wahrheitsgemäß verneint. Daraufhin sind die eingesetzten Polizeikräfte wieder weggegangen. Weitere Maßnahmen sind gegen den Antragsteller nicht ergriffen worden.“
Ihm sei allerdings mitgeteilt worden, dass demnächst ein neuer Abschiebungsversuch unternommen werde. Laut der Begründung des Eilrechtsschutzantrags wäre eine derartige Abschiebung in der Zukunft aber „rechtswidrig, weil inzwischen die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens entstanden“ sei. Die Überstellungsfrist für eine Abschiebung in den eigentlich für ihn zuständigen EU-Staat sei „nämlich inzwischen abgelaufen“. Und weiter: „Der Bezugsbehörde standen inzwischen volle sechs Monate zur Verfügung, innerhalb derer die Abschiebung hätte durchgeführt werden dürfen.“
Das heißt: Kurz nachdem die Polizisten ihn nicht mitgenommen hatten, lief die Frist für eine Überstellung nach den Dublin-Regeln ab, wonach meist das EU-Land für ein Asylverfahren zuständig ist, das der Bewerber als erstes betreten hat. Die Frist beträgt in der Regel sechs Monate. Danach wird Deutschland für das Asylverfahren zuständig. Bis heute ist es der Bundesregierung nicht gelungen, die Überstellungsfrist auf EU-Ebene abzuschaffen oder auf ein paar Jahre auszudehnen. Deswegen kann ein unerlaubt nach Deutschland weiterreisender Asylbewerber in der Regel schon nach sechs Monaten – bei nachweisbaren Versuchen, der Abschiebung zu entgehen, bis zu 18 Monate – sein Verfahren hierzulande durchlaufen.
Im Falle von Irakern bedeutet dies unabhängig vom Ausgang des Verfahrens, dass sie nur selten wieder heimkehren. Aktuell werden weniger als die Hälfte der irakischen Asylbewerber anerkannt – mit der Begründung, dass die Lage in ihrem Heimatland sich verbessert habe. Doch nur ein kleiner Bruchteil der Abgelehnten wird abgeschoben oder reist freiwillig aus. Unter den anerkannten Bewerbern wird nur ungefähr einem von 100 später wieder der Schutztitel aberkannt, drei Jahre nach der Anerkennung haben sie dann einen Rechtsanspruch auf Daueraufenthalt, falls sie nicht straffällig werden und einen Job finden.