Auch CDU-Innenexperten erklären, der Verzicht auf Grenzschutz in der Migrationskrise 2015 sei politisch motiviert gewesen. Die Forderung der FDP nach einem Untersuchungsausschuss weisen sie aber zurück – mit einem Verweis auf die AfD.
Die Entscheidung der Bundesregierung, im Jahr 2015 die unerlaubte Einreise Hunderttausender Migranten über die deutsch-österreichische Grenze zu akzeptieren, wird auch in der Union inzwischen als politisch motiviert betrachtet.
CDU-Innenpolitiker Nikolas Löbel sagte WELT: „Der deutsche Rechtsstaat ist jederzeit in der Lage, seine Grenze zu schützen und polizeiliche Einreisekontrollen durchzuführen. Darauf im Herbst 2015 zu verzichten war eine politische Entscheidung, die so heute keiner mehr treffen würde.“ Der Herbst 2015 und „der damit verbundene Verzicht auf jegliche Einreisevoraussetzungen ist und bleibt die Achillesferse der Union“.
Zuvor hatte WELT AM SONNTAG über das inoffizielle Dokument „Möglichkeit einer Zurückweisung von Schutzsuchenden an deutschen Grenzen“ des Innenministeriums berichtet, das nie an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Darin erläutern Experten die rechtliche Handhabe, Asylsuchende an der Grenze zurückzuweisen.
Auch spielte das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum Illegale Migration in einer vertraulichen Analyse verschiedene Szenarien für Grenzschließungen entlang der Balkanroute durch. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte den Verzicht auf Zurückweisungen als rechtlich geboten dargestellt.
Löbel lehnte die Forderung von FDP-Chef Christian Lindner nach einem Untersuchungsausschuss zur Migrationskrise als Konsequenz aus der jüngsten Enthüllung dennoch ab: „Das ist eine typische Forderung der Opposition, mehr aber auch nicht. Dadurch gewinnen wir kein neues Vertrauen bei den Menschen, und die FDP erledigt mit solchen Forderungen lediglich das Geschäft der AfD.“
Armin Schuster (CDU), Obmann der Union im Innenausschuss, sagte WELT: „Dass 2015 die Frage von Zurückweisungen an der deutschen Grenze politisch entschieden wurde, ist jetzt wirklich keine überraschend neue Erkenntnis.“ Dass die Migrations- und Asylpolitik daraufhin weiterentwickelt worden sei und „dieser Prozess mit unterschiedlichen politischen Auffassungen noch im vollen Gange“ sei, könne „auch Herrn Lindner nicht entgangen sein“, sagte Schuster.
Mit Blick auf die Forderung nach einem U-Ausschuss sagte er: „Über derart rückwärtsgewandte Ideen der FDP kann man sich nur wundern.“ Konstruktiv wäre es, wenn die FDP da, wo sie mitregiert, „sich für eine intensivere Schleierfahndung, die neuen Ankerzentren oder die Einstufung des Maghreb zu sicheren Herkunftsstaaten einsetzen würde“.
Marian Wendt (CDU), Chef des Petitionsausschusses des Bundestages, sagte: „Ein Untersuchungsausschuss bringt uns nicht weiter und nimmt Kraft für das Heute und Jetzt. Entscheidend ist doch, dass sich die Situation verbessert hat und wir weiter Migration ordnen und steuern.“
Union und SPD haben seit 2015 mehrere Asylrechtsverschärfungen umgesetzt, die Identitätsfeststellung erheblich verbessert und auch durch das Abkommen zwischen der EU und der Türkei die Asylzuwanderung gesenkt. Doch an ihrer Entscheidung, unerlaubte Einreisen von Schutzsuchenden aus Österreich und anderen sicheren Staaten in der Regel zuzulassen, hält die Regierung bis heute fest. Seit dem April 2016 stagniert die Zuwanderung über das Asylsystem auf einem Niveau von monatlich zwischen 10.000 und 17.000 Personen; das ist immer noch europaweit Spitze.
In der Zeit von 2013 bis heute nahm Deutschland sogar fast so viele Asylbewerber auf, wie insgesamt an der Mittelmeerküste ankamen. Laut WELT vorliegenden Daten der Internationalen Organisation für Migration (IOM) kamen in dem Zeitraum rund zwei Millionen Migranten in Griechenland, Italien, Spanien, Zypern und Malta an. In Deutschland wurden seither bis Ende September laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rund 1,9 Millionen Asylanträge gestellt. Auch die Abschiebungszahlen stagnieren seit dem Jahr 2016 auf einem Niveau von rund 2000 pro Monat.