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Jan 23

Flüchtlingshelfer erstochen, Asylant freigesprochen! Können 6 Messerstiche Notwehr sein?

Münster/Ochtrup – Er stach im Streit seinen Widersacher José M. (20) mit einem Küchenmesser tot, doch der afghanische Flüchtling Seyed M. (18) durfte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen: Das Landgericht Münster erkannte am Montag auf Notwehr – und sprach M. frei. Ein Urteil, das Fragen aufwirft.

José M. engagierte sich in Ochtrup (Münsterland) als Flüchtlingshelfer in seinem Heimatdorf. Den Angeklagten lernte er auf einer Feier kennen. Er erfuhr, dass Seyed M. wiederholt einer seiner Freundinnen nachstellte, offenbar nicht akzeptieren wollte, dass das Mädchen nichts von ihm will.

José stellte Seyed zur Rede. Es gab Streit, Schubsereien, Schläge. Einmal soll José M. dem Angeklagten gar den Kiefer gebrochen haben – der erklärte daraufhin, José werde schon sehen, was er davon habe.

Die Tat

Am 20. Mai 2018 schrieb José dem Afghanen kurz nach Mitternacht, dass er in den Stadtpark kommen sollte.

▶︎ Fest steht: José schlug Seyed gleich mit der Faust ins Gesicht, der zerschlug daraufhin seine Bierflasche auf dem Kopf des Angreifers.

Bei einer anschließenden Rangelei zückte Seyed im Schwitzkasten sein mitgebrachtes Keramik-Küchenmesser (14-Zentimeter-Klinge) und stach damit sechsmal kurz hintereinander auf den Oberkörper seines Kontrahenten ein. Ein Notarzt konnte später nur noch seinen Tod feststellen. Ein Stich hatte das Herz getroffen.

Die Eltern von José M. wollen gegen das Urteil vorgehen

Die Eltern von José M. wollen gegen das Urteil vorgehen

Das forderte die Staatsanwältin

In ihrem Plädoyer sagte Staatsanwältin Nicole Karweger: „Drei glaubwürdige Zeuginnen hatten gar keinen Schwitzkasten gesehen. Es hat ihn nicht gegeben. Sechs Stiche sind zur Abwehr nicht erforderlich. Der Angeklagte wollte José unter dem Deckmantel der Notwehr einen Denkzettel verpassen. Warum sonst sollte er zu der Auseinandersetzung mit jemandem gehen, von dem er weiß, dass er ihn schlägt und ein Küchenmesser dazu einstecken?“

▶︎ Die Staatsanwältin hatte drei Jahre Haft wegen Totschlags gefordert.

Der Angeklagte hatte sich zwar widerstandslos festnehmen lassen, doch zunächst log er im Polizeiverhör. Angeblich hatte er mit der Flasche zugestochen – erst später räumte er ein, das Küchenmesser benutzt zu haben. Nach der Tat hatte er es in einen Teich geworfen.

Ein Richter schickte ihn in Untersuchungshaft. Doch im Prozess hob der Richter den Haftbefehl auf.

Die Urteilsbegründung

Richter Michael Beier erklärte gut eine halbe Stunde lang, warum die Kammer zum Freispruch kam: „Ein rechtswidriger Angriff des Geschädigten ist zu bejahen, er wollte den Angeklagten verprügeln.“ Daraufhin habe der mit der Flasche zugeschlagen – und damit zunächst das „mildere Mittel“ zur Verteidigung eingesetzt. Die Kammer war am Ende überzeugt, dass José M. Seyed M. in eine Art Schwitzkasten nahm.

José M. starb durch die Stiche
José M. starb durch die Stiche
In einem „dynamischen Geschehen“ habe er schließlich sechsmal kurz hintereinander zugestochen, um den Angriff abzuwehren.

Der Richter: „Der Angeklagte war körperlich unterlegen, zwischen beiden lagen sechs Kampfklassen im Boxen. Das Notwehrrecht war nicht eingeschränkt – deshalb ist sein Verhalten durch Notwehr gerechtfertigt und er war freizusprechen. Ein Küchenmesser darf man nach dem Waffenrecht mit sich führen, auch wenn es sozial-ethisch fraglich ist.“

Das sagt ein Strafrechts-Anwalt

as Urteil löst sicher nicht nur bei den Eltern des Opfers (wollen dagegen Rechtsmittel einlegen) Unverständnis aus. Doch ungewöhnlich sei es nicht, sagt Gregor Samimi, Anwalt für Strafrecht in Berlin. „Die Erklärung für dieses Urteil findet sich in den Paragraphen 32 und 33 des Strafgesetzbuches.“

§ 32: (1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

► § 33: Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

Samimi: „Das ist sehr weitgreifend, denn eine Verhältnismäßigkeit der Mittel ist nicht nötig. Ein beliebtes Beispiel aus dem Jurastudium: Wenn ich im Rollstuhl sitze und jemand klaut mir die Kirschen vom Baum, dann ist es Notwehr, wenn ich auf ihn schieße.“

In Paragraph 33 steht also die Erklärung, weshalb auch sechs Messerstiche kein Argument gegen Notwehr sind: Aus Furcht ist auch ein Überschreiten der Notwehr straffrei.

Quelle: BILD

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