Tübingen/Calw – Hoch her ging es am letzten Prozesstag in Tübingen. Am Ende wurde der junge Deutschtürke aus Sindelfingen wegen Vergewaltigungen seiner Exfreundinaus Calw zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt.
Es war eine verhängnisvolle Beziehung. „Ich Gefängnis, du Grab.“ Auch so eine Drohung stand in den verlesenen Chat-Protokollen, die den Großteil der Beweisaufnahme im Vergewaltigungsprozess vor dem Tübinger Landgericht ausmachten. Was die heute 21-jährige Muslima aus Calw und ihr Freund da nach der ersten Trennung an gegenseitigen Beschimpfungen, Obszönitäten und Drohungen ausgetauscht hatten, nannte der Vorsitzende Richter Armin Ernst „schwer erträglich“. Man habe in der Verhandlung „zum Glück nur einen Bruchteil des Chats“ anhören müssen.
Denn von Anbeginn des Prozesses war ein so genannter Deal im Gespräch. Der von der richterlichen Beisitzerin und dem Beisitzer als Rollenspiel vorgetragene Chat sollte der Wahrheitsfindung und Erhellung der Vorgeschichte dienen, aber auch dazu, der jungen Frau eine Aussage vor Gericht zu ersparen. Eine „überdeutliche Ambivalenz“ allerdings bescheinigte ihr der Vorsitzende Armin Ernst auch in seiner Urteilsbegründung. Es ging nicht nur um ein Doppelleben zwischen sexuell sehr tabuloser Liebesbeziehung und fromm muslimischen Familienleben samt Kopftuch im Alltag.
Mann erpresst sexuelle Gefälligkeiten
Um seiner von Drohungen und Werben, von Erpressung und Liebesbezeugungen gleichzeitig durchsetzten Umklammerung zu entgehen, hatte das Mädchen unter dem Vorwand, dem Exfreund sexuell noch einmal zu Diensten zu sein, unter anderem mal ein „Rollkommando“ von drei Freunden organisiert. Es sollte den jetzt 23-Jährigen durch Prügel einschüchtern und der Forderung „Verpiss dich endlich!“ Nachdruck verleihen. Aber selbst damit ließ sich der Angeklagte nicht dauerhaft abschütteln.
Elf Fälle von Vergewaltigung, – dazu Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung, Freiheitsberaubung und Pornografie-Verbreitung – hatte Staatsanwältin Rotraud Hölscher dem angeklagten Sindelfinger vorgeworfen. Drei davon blieben übrig, als nach scharfen Wortgefechten zwischen den Verteidigern und dem Nebenklageanwalt der jungen Frau und einem kaum verhüllten Zornausbruch des Vorsitzenden doch noch der Deal zustande kam. Einmal im Schlafzimmer seiner in der türkischen Heimat urlaubenden Eltern, zweimal im Auto auf einem Parkplatz und einem Feldweg hatte der gelernte Einzelhandelskaufmann mit Drohungen und mit Gewalt seine Ex zum oralen und vaginalen Sex gezwungen. Die anderen acht Fälle wurden eingestellt.
Darüber lag ein schriftliches Geständnis des Angeklagten vor, das aber ohne Deal als nichtig betrachtet worden wäre. Das Eingeständnis hätte den Strafrahmen auf drei Jahre neun Monate begrenzt. Ein – mit der Zahlung von 8000 Euro – schon eingeleiteter Täter-Opfer-Ausgleich hätte einen weiteren Strafnachlass auf bis zu zwei Jahre und neun Monate bedeuten können. Dann aber gerieten sich Verteidigung und Nebenklage über das Feilschen um weitere Zahlungen derartig in die Wolle, dass alles auf der Kippe stand und der Vorsitzende die Anwälte zornbebend anherrschte: „Es ist unerträglich, was Sie der Kammer hier zumuten!“
In seiner Vorbemerkung zur Urteilsbegründung redete der Richter dieses (zweite) Schauspiel mit den Worten schön: Die Parteien hätten sich „mit großem Engagement in der Sache verkämpft“. Trotz aller Widersprüchlichkeit im Verhalten der jungen Nebenklägerin nahm ihr die Kammer zweifelsfrei ab, dass ihr durch die eingestandenen Taten des Angeklagten schweres und demütigendes Leid zugefügt worden war.
Alle erotischen Fotos muss der Verurteile vernichten
Dem nicht vorbestraften, geständigen und (seinem Schlusswort nach) reumütigen jungen Mann hingegen, den schon seine Verteidigerin als „intellektuell weit unterlegen“ gegenüber der Ex-Freundin beschrieben hatte, wollte das Gericht die Zukunft so wenig wie möglich verbauen.
Alle erotischen Fotos seiner früheren Freundin, mit denen er Sex, Koch- und Putzdienste erpresste, muss der Verurteilte vernichten. Sein i-Phone zog das Gericht ein und verordnete ein Kontaktverbot. Die verhängte Haftstrafe von drei Jahren soll, so der Vorsitzende Armin Ernst, raschen Freigang ermöglichen, damit dem Einzelhandelskaufmann seine schon zugesagte Abteilungsleiter-Stelle in einem Supermarkt womöglich doch noch offen bleibt. Der jungen Frau bestätigte das Gericht weitere Ansprüche auf Schmerzensgeld und steckte den Zeitrahmen für die Zahlung ab.
Ein Detail am Rande dieses außergewöhnlichen Prozesses: Den aus Hannover angereisten Bruder, der dem Angeklagten finanziell auszuhelfen versucht, rügte der Vorsitzende in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich, weil er vom Zuschauerraum aus seiner „Verachtung für die Regeln und Normen unserer Gesellschaft durch kommentierende Grimassen“ Ausdruck gegeben habe.