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Sep 20

Urteil gegen Künast: Großer Tag für die Meinungsfreiheit- Erlaubt ist alles

Künast. Credits: Flickr

„Stück Scheiße“, „Schlampe“, „Drecksau“ – solche und noch krassere Kommentare prasselten auf Renate Künast ein. Das Landgericht Berlin sieht darin keine persönliche Schmähung, sondern nur zulässige Sachkritik.

Was ist eine „zulässige Meinungsäußerung“ über Renate Künast? „Stück Scheiße“, „Pädophilen-Trulla“, „Schlampe“, „Drecksau“, „Sondermüll“. Was ist „sicherlich geschmacklose“, aber gleichwohl „mit dem Stilmittel der Polemik“ geführte „sachliche Kritik“? Der Vorschlag „Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!“ und die Frage, ob Künast „als Kind vielleicht ein bisschen viel gef…“ worden sei und „dabei etwas von ihrem Verstand eingebüßt“ habe. Und wie verhält es sich bei der Bezeichnung Künasts als „Drecks Fotze“? Die bewegt sich schon „haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch hinnehmbaren“ – aber eben doch diesseits der Grenze.

So verhält es sich zumindest nach Ansicht der 27. Zivilkammer des Landgerichts Berlin, die eine Klage Künasts gegen Facebook auf die Herausgabe der Identität von 22 Verfassern an die Grünen-Politikerin gerichteter Hass-Posts in allen Punkten abgewiesen hat. Die Posts waren Kommentare zu einem auf Facebook eingestellten Artikel der „Welt“ aus dem Jahr 2015, der den Bericht der „Kommission zur Aufarbeitung der Haltung des Landesverbandes Berlin von Bündnis90/Die Grünen zu Pädophilie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ zum Gegenstand hatte.

Der Schwerpunkt des Artikels lag auf dem Protokoll einer am 29. Mai 1986 geführten Parlamentsdebatte im Berliner Abgeordnetenhaus. Damals habe ein CDU-Abgeordneter die Rede einer Abgeordneten der Grünen zum Thema häusliche Gewalt mit der Zwischenfrage unterbrochen, wie die Rednerin zu einem Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, der vorsehe, die Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern aufzugeben. Künast habe die Frage des CDU-Abgeordneten mit dem Zwischenruf „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!“ ergänzt. „Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay?“, fragt der Welt-Autor in seinem Artikel.

Der Post, mit dem der Artikel dann auf Facebook eingestellt wurde, führte Künasts Zitat aus 1986 mit der rhetorischen Frage des Welt-Autors aus 2015 zusammen und legte Künast die Worte „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt“ in den Mund. Auch wenn Künast das so nie gesagt habe, müsse sie sich dieses untergeschobene Zitat gefallen lassen, weil ihr Zwischenruf von der Öffentlichkeit als Zustimmung zur vom nordrhein-westfälischen Landesverband seinerzeit angestrebten Entkriminalisierung gewaltfreier pädophiler Handlungen (und nicht nur als korrigierende Präzisierung der Zwischenfrage des CDU-Abgeordneten) verstanden würde, so das Landgericht Berlin.

Und weil alle nachfolgenden Kommentare aus Anlass von Künasts Äußerung erfolgten, handele es sich sämtlich um Kritik in der Sache, nicht um Schmähungen der Person. Tatsächlich zieht das von der 27. Zivilkammer wiederholt zitierte Bundesverfassungsgericht der Meinungsfreiheit äußerst großzügige Grenzen, sofern ein Sachbezug besteht, und hat in den letzten Jahren etwa die Bezeichnung einer Staatsanwältin als „durchgeknallt“, eines grünen Bundestagsabgeordneten als „Obergauleiter der SA-Horden“ und den Vergleich der Verhandlungsführung einer Richterin mit „Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten“ nicht als Schmähkritik eingeordnet.

Übergriffe auf Politiker

Besonders Träger öffentlicher Gewalt müssen sich demnach auch stark zugespitzte und polemische Kritik gefallen lassen – eine Rechtsprechungslinie, die angesichts der zunehmenden Übergriffe auf Kommunalpolitiker und der Ermordung des zuvor in sozialen Netzwerken wegen seiner flüchtlingspolitischen Positionen massiv geschmähten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zuletzt auch unter Juristen in die Kritik geraten ist. Allerdings geht auch das Bundesverfassungsgericht nicht ansatzweise so weit wie nun die 27. Berliner Zivilkammer, für die augenscheinlich keine noch so extreme Beleidigung Künasts die Grenzen des Zulässigen überschreitet, sofern sie irgendwie mit einer vor mehr als 30 Jahren gefallenen Äußerung der Grünen-Politikerin in Verbindung gebracht werden kann.

Dass die oft aus dem Bereich des Sexuellen stammenden Beleidigungen nur „Spiegelbild der Sexualisiertheit des Themas“ seien, und dass Künast mit dem Vorschlag „Knatter sie doch einer mal so richtig durch“ nicht „wie sie dies meint, zum Gegenstand sexueller Fantasien gemacht“ werde, sind jedenfalls Wertungen, die sich den früheren Karlsruher Entscheidungen nicht entnehmen lassen.

Bemerkenswert ist auch eine andere Passage der von drei Berliner Richtern getroffenen Entscheidung, in der es heißt, Künast habe ihre angeblich aus dem Zwischenruf erkenntliche Haltung zur Legalisierung von Pädophilie „bislang nicht öffentlich revidiert oder klargestellt … und damit Widerstand aus der Bevölkerung provoziert“. Denn im Gegenteil hat Künast sich bei zahlreichen Gelegenheiten von der früheren Position mancher Grüner distanziert, etwa 2010 in einem Interview des „Tagesspiegel“, in dem sie über den Beschluss zur Entkriminalisierung gewaltfreier Pädosexualität sagte: „Das war damals so falsch wie heute“.

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