Viele Eritreer fliegen regelmässig zurück in das Land, in dem sie «an Leib und Leben bedroht» sind. Die Flüchtlinge, die hier meist von Sozialhilfe leben, sind für das Land willkommene Devisenbeschaffer.
Die Szene spielte sich im Juli 2016 am Flughafen Zürich-Kloten ab. Es ist Ferienzeit. Tausende von Menschen fliegen in ihren Sommerurlaub. Darunter sind zahlreiche Leute aus Eritrea, Männer, Frauen, ganze Familien. Sie haben Reiseausweise als Flüchtlinge oder als vorläufig Aufgenommene, die trotz abgelehntem Asylantrag in der Schweiz bleiben können. Die Kantone haben die Dokumente ausgestellt, nachdem die Eritreer ein Gesuch eingereicht haben und dies vom Bund geprüft worden ist.
Viele von ihnen fliegen nicht etwa nach Italien, Deutschland oder nach Schweden, wo es grosse Diaspora-Gemeinden aus Eritrea gibt. Sie fliegen in ihre Heimat. Also in das Land, in dem sie gemäss der Flüchtlingspolitik von Bundesrätin Simonetta Sommaruga «an Leib und Leben bedroht» sind und darum nach einem abgewiesenen Asylantrag zurzeit keinesfalls zurückgeschafft werden können.
Die Reise führt jedoch nicht direkt nach Eritrea. Solche Flüge gibt es ab Zürich gar nicht, sondern, gemäss Recherchen der BaZ, über eine Zwischenstation, zum Beispiel via Istanbul. Von dort geht es in die sudanesische Hauptstadt Khartum oder nach Äthiopien in die Hauptstadt Addis Abeba. Das zeigen Boardingkarten der in Zürich einsteigenden Eritreer, die die BaZ gesehen hat. Es sind täglich bis zu fünfzig Personen, die so die Schweiz verlassen und in ein Nachbarland von Eritrea fliegen. Hin- und Rückflug via Istanbul kosten in der Hochsaison im Sommer rund 650 Franken. Derzeit sind sie für 599 Franken zu haben.
Im Sudan oder in Äthiopien besteigen die Eritreer schliesslich Busse, die sie in ein paar Tagen in ihre Heimat bringen. Ab Khartoum existieren auch Flüge, die nach rund einer Stunde in der eritreischen Hauptstadt Asmara landen. Vier von fünf Eritreern in der Schweiz beziehen Sozialhilfe. Diese ist offenbar so grosszügig bemessen, dass es vielen möglich ist, damit in ihre Heimat zu reisen.
Bislang sagte das Staatssekretariat für Migration (SEM) jeweils, weil es keine Direktflüge gebe, sei schwer festzustellen, wer über ein Nachbarland nach Eritrea reise. Es handle sich bloss um einige wenige Personen, die den Asylstatus so missbrauchen würden. Ende Mai 2016 schrieb das SEM der BaZ, dass man jährlich rund 20 Verdachtsfälle überprüfe, also weniger als halb so viel wie nach den neusten Hinweisen in der Hochsaison täglich allein ab Zürich-Kloten in den Sudan fliegen.
Einzelfälle? Massenphänomen?
Am Wochenende wurde schliesslich bekannt, dass 2016 nur sechs Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus erfolgreich durchgeführt wurden. 2015 waren es sieben Verfahren gewesen. Dies, obwohl jedes Jahr Tausende von Bewilligungen für Auslandsreisen erteilt werden. Zwischen 2010 und 2014 wurden gesamtschweizerisch 46’213 Gesuche für Auslandsreisen von Flüchtlingen, vorläufig Aufgenommenen und Asylbewerbern eingereicht und 45’080 davon (97,5 Prozent) auch bewilligt. Rund 15’000 davon stammen von Eritreern. Alles bloss Einzelfälle oder doch ein massenweise auftretendes Phänomen?
Die Erkenntnisse vom letzten Sommer landeten noch im Juli bei der SVP des Kantons Zürich und von dort über den Kantonsrat Claudio Schmid (SVP) auf dem Tisch des Zürcher SP-Regierungsrates und Sicherheitsdirektors Mario Fehr. Dieser informierte das kantonale Migrationsamt. Dessen Chef, Urs Betschart, ehemaliger stellvertretender Direktor des SEM, als es noch Bundesamt für Migration hiess, meldete sich in Bern und bat um weitere Abklärungen. Jedoch ohne Erfolg: Das SEM verwies einmal mehr auf die Schwierigkeiten, den Missbrauch nachzuweisen. Die Eritreer würden, so die Auskunft der Bundesbehörde gegenüber dem Zürcher Migrationsamt, neben den von der Schweiz ausgestellten Dokumenten die heimatlichen Reisedokumente benutzen.
Das bedeutet im Klartext, dass zahlreiche Eritreer, die mehrheitlich ihren eritreischen Pass im Asylverfahren nicht vorweisen können, plötzlich wieder über Reisedokumente verfügen, wenn sie auf Heimaturlaub fahren, entweder weil sie ihn den Schweizer Behörden unterschlagen oder weil sie vom eritreischen Konsulat in Genf oder anderswo neue Papiere erhalten haben. Die NZZ am Sonntag deckte bereits vor drei Jahren auf, dass die eritreische Vertretung in der Schweiz bei der eritreischen Diaspora in Europa nicht nur Steuern für das Heimatland eintreibt, sondern auch gleich Reisen nach Eritrea organisiert. Flüchtlinge sind für das Land willkommene Devisenbeschaffer.
Offenbar ist aber auch das Staatssekretariat für Migration abseits der offiziellen Stellungnahmen nicht zufrieden mit der Situation. Es unternimmt Anstrengungen, um dem Problem auf den Grund zu gehen. Es habe nämlich, so berichtete das SEM dem Zürcher Migrationsamt als Antwort auf die Hinweise weiter, seit 2014 einen Migrationsattaché in der sudanesischen Hauptstadt Khartum stationiert, also genau dort, wo die Eritreer auf Heimreise aus dem Flugzeug steigen. Dieser hat als eine Art Sonderermittler den Auftrag, die Passagierdaten bei den Airlines herauszufinden. Gemäss Auskunft des SEM an das Zürcher Migrationsamt waren die Fluggesellschaften allerdings nicht bereit, die Daten herauszugeben. Gemäss Sonnntagszeitung plant das SEM nun eine Gesetzesänderung, um Reisen auch in Nachbarländer der ursprünglichen Heimat auszudehnen.
Angaben genauer prüfen
Weil das SEM den Hinweisen vom Flughafen Zürich nicht weiter nachgehen wollte, gelangten die brisanten Informationen schliesslich an die Geschäftsprüfungskommission des Parlamentes. Diese will die Angaben nun genauer prüfen und im Februar auch an einer Sitzung besprechen, wie der Zürcher SVP-Nationalrat Fredi Heer, Präsident der Kommission, auf Nachfrage bestätigte.
Zusätzlich geht die Aufsicht über Bundesrat und Bundesverwaltung schon dem zu Beginn des Jahres bekannt gewordenen Bericht der EU-Diplomaten nach, die ein ganz anderes, weniger dramatisches Bild über die Lage im Land zeichnen, als es der Bundesrat bei jeder Gelegenheit verbreitet. Dies hatte die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates nach Einsicht in den Bericht der EU-Diplomaten letzte Woche gefordert. (Basler Zeitung)