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Apr 05

Arbeitsmigration: Grüne wollen mit Talentkarte mehr Einwanderer locken

Für mehr Zuwanderung von Arbeitskräften fordern die Grünen ein Einwanderungsgesetz, das Einbürgerung und Familienmitzug erleichtert – und die Vorrangprüfung streicht. Auch für Asylbewerber gäbe es eine Vereinfachung.

Die Einwanderung nach Deutschland soll nach dem Willen der Grünen mehr Menschen ermöglicht werden. Unkomplizierter soll sie ablaufen und schneller in die deutsche Staatsbürgerschaft münden. Diese Forderungen enthält ein Entwurf für ein entsprechendes Gesetz, den die Bundestagsfraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt und der aus dem Bundestag scheidende migrationspolitische Sprecher Volker Beck am Dienstag in Berlin präsentierten.

Dabei geht es wie bei allen bisher von großen Parteien gemachten Vorschlägen für ein neues Einwanderungsgesetz nicht etwa um die Steuerung der Migration als solcher, sondern nur um einen relativ kleinen Teilbereich: um die Arbeitsmigration von Menschen, die von außerhalb Europas kommen. Die wesentlichen Elemente des Migrationsgeschehens, also die Zuwanderung von EU-Ausländern, von Schutzsuchenden sowie von Angehörigen hier lebender Einwanderer entziehen sich einer einwanderungsgesetzlichen Regelung.

Weil die meisten Ökonomen, Politiker und Unternehmer aber der Auffassung sind, es sollten neben den Arbeitnehmern aus den schwächelnden EU-Staaten auch deutlich mehr Nichteuropäer als Arbeitnehmer kommen, um den Geburtenmangel auszugleichen, wurden die Hürden schon mehrfach abgesenkt. So dürfen gefragte Arbeitskräfte längst auch von außerhalb Europas kommen: Aber in der Regel nur, wenn sie bereits im Ausland einen Arbeitsvertrag von einem deutschen Unternehmen bekommen haben. Und ein solcher wird wiederum nur genehmigt, wenn die Interessenten entweder Akademiker mit einem Jahresbruttogehalt von mindestens 49.000 Euro sind beziehungsweise einen Abschluss in einem Mangelberuf haben und mindestens 38.000 brutto im Jahr verdienen.

In diesen Fällen entfällt die Vorrangprüfung – und bei guten Deutschkenntnissen ist die unbefristete Niederlassungserlaubnis schon nach 21 Monaten im Land möglich. Zudem können schon heute Hochqualifizierte von außerhalb der EU auch ohne Arbeitsvertrag in der Tasche zur Arbeitsplatzsuche einreisen. Voraussetzung ist, dass sie ein ausreichend dickes Sparbuch nachweisen können, also bei erfolgloser Suche nicht vom Steuerzahler finanziert werden müssen.

Eine weitere Sonderregelung wurde im vergangenen Jahr auch für die Staatsangehörigen von Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien beschlossen, sie dürfen bis einschließlich 2020 zur Ausübung jeder Beschäftigung ins Land kommen, wenn sie ihren Antrag bei der deutschen Auslandsvertretung im Heimatland gestellt haben – und nicht einfach einreisen und Asyl beantragen.

Die Grünen meinen, trotz dieser bestehenden Möglichkeiten müsse die deutsche Wirtschaft fürchten, „im internationalen Wettbewerb um die Fachkräfte ins Hintertreffen zu geraten“. So sagte es Spitzenkandidatin Göring-Eckardt in Berlin. Deswegen fordert die Partei nun, die sogenannte Vorrangprüfung für alle qualifizierten Nicht-EU-Ausländer komplett zu streichen. Künftig soll also nicht nur für Akademiker oder Arbeitnehmer aus Engpassberufen die Prüfung entfallen, ob ein Arbeitssuchender aus der EU den Job erledigen kann, sondern bei allen Menschen mit einer Ausbildung.

Flüchtlinge demonstrieren nach dem Politischen Aschermittwoch der Grünen in Baden-Württemberg vor der Stadthalle in Biberach gegen die Abschiebungen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (M., Grüne) hört sich das Anliegen an
Flüchtlinge demonstrieren nach dem Politischen Aschermittwoch der Grünen in Baden-Württemberg vor der Stadthalle in Biberach gegen die Abschiebungen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (M., Grüne) hört sich das Anliegen an

Quelle: dpa

Darüber hinaus sollen die Familien aller Arbeitszuwanderer von Beginn an mit nach Deutschland ziehen dürfen, ohne dass die Angehörigen vor der Einreise Sprachkenntnisse vorweisen müssen. „Mit dem Familienmitzug gestalten wir das Leben für diese Gruppe attraktiv“, sagte Volker Beck. „Wir zeigen, dass wir ein weltoffenes Land sind“. Und auch die Zuwanderung für Jobsuchende möchten die Grünen ausbauen – im Rahmen eines Punktesystems: Wer bestimmte Kriterien erfüllt, aber von der Heimat aus noch keinen Arbeitgeber in Deutschland gefunden hat, soll mit einer „Talentkarte“ für ein Jahr kommen können, erklärte Göring-Eckardt. In diesem Zeitraum sollen sie aber keine Unterstützung bekommen, müssten also selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen.

Welche Kriterien Zuwanderer erfüllen müssen und wie viele pro Jahr mit einer solchen Talentkarte kommen dürfen, soll nach Vorstellung der Grünen nicht die Politik, sondern eine neue Einwanderungskommission entscheiden, besetzt mit Vertretern aus Wissenschaft, Tarifparteien und Wohlfahrtsverbänden. Diese könne flexibel reagieren, ist Beck überzeugt, etwa wenn der Bedarf auf dem deutschen Arbeitsmarkt sich erhöhe oder aber die Konjunktur einbreche.

Auf Nachfrage, was denn mit jenen Talentkarteninhabern geschehe, die nach einem Jahr nicht den von der Kommission priorisierten Beruf ergattert hätten, antwortet Beck: „Jemand der seinen Lebensunterhalt selber sichern kann, ist für uns kein Problem.“ Wer das mit welcher Tätigkeit auch immer zum Zeitpunkt der Überprüfung nach einem Jahr könne, der bekomme mehr Zeit, den Wunschberuf zu suchen. Aber: Bei Arbeitslosigkeit müsse, wenn auch kein anderer Aufenthaltstitel möglich sei, die Ausreisepflicht durchgesetzt werden.

Zudem wollen die Grünen qualifizierten Asylbewerbern ermöglichen, vom Asyl- ins allgemeine Einwanderungssystem zu wechseln. Solche Spurwechsel gibt es bislang nicht, weil dies ein weiterer Anreiz sein könnte, als angeblich Schutzsuchender unerlaubt einzureisen. Die Grünen wollen das schon während des laufenden Asylverfahrens ermöglichen, weil das laut Beck die Verwaltung entlasten könne, aber auch für abgelehnte Asylbewerber, die mit einer Duldung hier leben.

Mit ihrem Gesetzentwurf wollen die Grünen auch die doppelte Staatsangehörigkeit zur Regel machen. Nicht wie bisher nach sechs, sondern schon nach fünf Jahren Aufenthalt soll die Einbürgerung erfolgen – ohne Aufgabe der ursprünglichen Staatsangehörigkeit. Diese wird zwar wegen vieler Sonderregeln auch heute oft nicht abgelegt, aber grundsätzlich sieht es das Staatsbürgerschaftsrecht für Nichteuropäer noch vor. Weil laut Beck „Willkommenskultur im Kreißsaal“ beginnt, sollen auch alle hier geborenen Kinder Deutsche werden, nicht erst wenn die Eltern acht Jahren lang hier leben.

Auch SPD und FDP wollen Punktesysteme

Mit ihrem Wunsch nach einem Einwanderungsgesetz für mehr Zuwanderung von Arbeitskräften sind die Grünen nicht alleine. Ein Punktesystem wollen auch FDP und SPD, dabei sollen Zuwandererkontingente nach Bildungsgrad, Sprachkenntnissen und bestehenden Bindungen ausgewählt werden.

Die CDU möchte ohne Punktesystem mehr Qualifizierte anlocken. Vor zwei Jahren wagte Generalsekretär Peter Tauber einen Vorstoß für ein Einwanderungsgesetz, das neben den Erfordernissen des Arbeitsmarktes auch auf kulturelle Integrationsfähigkeit setzen sollte, um loyale Staatsbürger zu erhalten. Zwar hatte er wichtige Mitstreiter, doch noch mächtigere Kritiker, etwa Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Seither geht es der CDU eher um die bessere Abstimmung bestehender Regelungen für Zuwanderung, Asyl und Integration.

Auf dem Parteitag im Dezember wurde dann auch nicht die Schaffung eines Einwanderungs-, sondern eines „Dachgesetzes“ beschlossen, das verschiedene „Dimensionen der Einwanderung auf eine systematische, sachgerechte und politisch kluge Weise miteinander verbinden“ solle. Der Linkspartei ist die leichtere Einwanderung zwar ebenfalls wichtig, sie lehnt aber Punktesysteme und andere Arbeitsmarktkriterien als „Nützlichkeitsrassismus“ ab. Die CSU schließlich betont seit der Migrationskrise vor allem die Notwendigkeit, Zuwanderung zu begrenzen.

Solange sich kein neues Modell durchsetzt, muss es das bisherige Einwanderungsgesetz tun, das aber nicht so heißt: 2005 wurde nach langer Debatte das Zuwanderungsgesetz beschlossen, das auch das Aufenthaltsgesetz umfasst.

Quelle: Welt

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