Die neueste Kriminalstatistik von Thomas de Maizière liegt vor. Und sie birgt politischen Sprengstoff. Die Zahl tatverdächtiger Zuwanderer ist 2016 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 50 Prozent gestiegen.
Am Montag steht für Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) einer der wichtigsten Termine des Jahres an. Wie sicher oder unsicher ist Deutschland – darum geht es, untermauert mit harten Fakten. Der Minister wird die neuesten Zahlen zur Kriminalität präsentieren. In dieser Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), die der “Welt am Sonntag“ schon vorliegt, findet sich ein Kapitel, dass besonderen Konfliktstoff birgt: eine Sonderauswertung der Kriminalität der Zuwanderer.
Damit bezeichnet die Statistik aber nicht die türkische Lehrerin oder den polnischen Installateur, also schon länger hier lebende und arbeitende Ausländer, sondern nur eine spezielle Gruppe der Schutzsuchenden.
Laut BKA zählen dazu diejenigen, die mit dem Aufenthaltsstatus Asylbewerber, Duldung, Kontingent-/Bürgerkriegsflüchtling oder unerlaubter Aufenthalt registriert sind. Anerkannte Flüchtlinge, also Ausländer, die in Deutschland schon Asyl (nach dem Grundgesetz) oder Flüchtlingsschutz (nach der Genfer Konvention) erhalten haben, führt die Kriminalstatistik bisher nicht unter der Rubrik Zuwanderer. Auf Nachfrage der „Welt am Sonntag“ teilte das Bundeskriminalamt (BKA) mit, derzeit erfolge eine Änderung, „sodass zukünftig – für die PKS 2017 – auch die große Gruppe der nach dem Grundgesetz und der Genfer Konvention anerkannten Flüchtlinge in der PKS ausgewiesen werden kann“.
Spätestens seit der Gewalttat in Freiburg Ende 2016, bei der ein afghanischer Zuwanderer im Asylverfahren eine Studentin vergewaltigte und ermordete, steht diese Gruppe bundesweit besonders im Fokus. Und das nicht zu Unrecht. Denn die Zahl tatverdächtiger Zuwanderer ist 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 52,7 Prozent auf 174.438 gestiegen. Um einen Vergleich mit der übrigen Bevölkerung zu ermöglichen, sind Straftaten, die nur Zuwanderer begehen können, etwa die unerlaubte Einreise, schon herausgerechnet. Wie aus der PKS hervorgeht, gab es im vergangenen Jahr insgesamt 616.230 ausländische Tatverdächtige. Die Zuwanderer haben daran einen überdurchschnittlich großen Anteil, nämlich mit 174.438 mehr als ein Viertel. Bedeutet das, Zuwanderer sind krimineller als Hiesige, länger hier lebende Ausländer inbegriffen?
Setzt man die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer in Bezug zur tatverdächtigen Gesamtbevölkerung, stellen sie daran 8,6 Prozent. Das klingt wenig. Allerdings machen Zuwanderer höchstens zwei Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus. Und auf einigen Kriminalitätsfeldern fallen Zuwanderer besonders auf: So stellen sie beim Taschendiebstahl einen Anteil von 35,1 Prozent aller Tatverdächtigen. Bei den Delikten gefährliche und schwere Körperverletzung sowie Vergewaltigung und sexuelle Nötigung sind es jeweils 14,9 Prozent. Und bei Wohnungseinbrüchen 11,3 Prozent.
Vor allem Zuwanderer vom Balkan und aus Nordafrika bereiten dem BKA Sorge
Eines muss man bei der Bewertung dieser Zahlen in Rechnung stellen: Die Zuwanderer sind im Durchschnitt wesentlich jünger als die Vergleichsgruppen von Deutschen und Ausländern – und sie sind überwiegend Männer. Junge Männer geraten überall auf der Welt eher auf die schiefe Bahn als ältere Menschen. Manche werden zu Mehrfachtätern und beschäftigen jahrelang Polizei und Justiz. Bemerkenswert: Laut PKS wird 31 Prozent aller tatverdächtigen Zuwanderer vorgeworfen, mehrere Straftaten begangen zu haben. Und fünf Prozent sollen bereits mindestens sechs mal kriminell geworden sein.
BKA-Präsident Holger Münch bereiten neben Zuwanderern vom Balkan in erster Linie jene aus Nordafrika Sorgen. Vor allem Algerier, Marrokaner und Tunesier fielen besonders durch Straftaten auf. Viel weniger dagegen Zuwanderer aus Syrien oder dem Irak. Weil Syrer aber die größte Gruppe der Zuwanderer stellen, sind sie auch in der Kriminalstatistik entsprechend stark vertreten. Von allen 174.438 tatverdächtigen Zuwanderern waren 30.699 Syrer. Es folgen 17.466 Afghanen, 12.202 Iraker, 9.882 Albaner, 8332 Algerier und 8226 Marokkaner.
Sachsens Innenminister Markus Ulbig und Innenmister Thomas de Maizière (beide CDU) werden am Montag aber noch andere Zahlen auf den Tisch legen. Und die betreffen nicht nur die spezielle Gruppe der Zuwanderer, sondern alle Tatverdächtigen im Land. Demnach gibt es auch Erfreuliches zu berichten: So ist die Anzahl der Wohnungseinbrüche seit vielen Jahren erstmals bundesweit gesunken: um 9,5 Prozent auf exakt 151.265 Fälle. Noch stärker sanken die Einbrüche zur Tageszeit – also solche, die zwischen 6 Uhr morgens und 21 Uhr abends begangen werden. Sie gingen um 10,2 Prozent auf 63.176 Fälle zurück. Ein Erfolg, denn 2015 war beim Wohnungseinbruchsdiebstahl noch der höchste Anstieg der letzten 15 Jahren verzeichnet worden.
Ob das schon eine Trendwende ist, wird von Experten jedoch bezweifelt. „Es gibt keinen Grund zur Entwarnung“, sagt Oliver Malchow, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Die Statistik sei bloß eine „Momentaufnahme“. Seriöse Aussagen über Trends seien nur über mehrere Jahre hinweg möglich. Skeptisch reagiert auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). „Wir haben immer noch deutlich mehr Einbrüche als vor fünf oder zehn Jahren – von einer Trendwende können wir derzeit also nicht ausgehen“, sagt GDV-Präsident Alexander Erdland.
Wohnungseinbrecher hätten einen hohen Schaden verursacht. Die PKS beziffert diesen auf 391,6 Millionen Euro für „vollendete“ Einbrüche. Doch laut dem Verband sind es 470 Millionen Euro (2015: 530 Millionen Euro), wenn man die Einbruchsversuche mitrechnet.
Für Ulbig gibt es einen Wermutstropfen. Ausgerechnet in Sachsen, seinem Bundesland also, nahm die Zahl der Wohnungseinbrüche gegen den Trend zu. Auch in Sachsen-Anhalt war das der Fall. In den restlichen 14 Bundesländern wurde weniger eingebrochen. In Sachsen wurden 834 Einbrecher ermittelt. Nach Ulbigs Angaben war jeder fünfte Tatverdächtige ein Ausländer. Sie stammen überwiegend aus Georgien, Tschechien und Tunesien.