Sabine M. ist Sozialarbeiterin. Täglich erlebt sie, wie Schüler während der Pausen in den Klassenräumen beten wollen und junge deutsche Mädchen zum Schleiertragen verpflichtet werden. In ihren Augen läuft in Deutschland etwas schief.
Der Wiener Platz in Köln-Mülheim ist ein trostloser Ort. Wie auch an anderen Stellen in Köln wurde nach den Zerstörungen im 2. Weltkrieg mit viel Beton gearbeitet. Wenn es dann noch in Strömen gießt, wirkt das Grau des Betons noch grauer. In einer Bäckerei habe ich mich mit Sabine M. verabredet, sie ist Sozialarbeiterin in Mülheim. Verkäuferinnen und Kunden sprechen auf Türkisch miteinander. An einem Tisch sitzen mehrere Männer und diskutieren laut auf Türkisch. An der Wand hängt eine Preisliste für Kaffee auf Deutsch und Türkisch. Ich sehe mir das Angebot an. Vieles hier sieht unglaublich süß aus, mit viel Zuckerguss. Vollkornbrötchen gibt es nicht.
Sabine M. wartet schon auf mich. Sie hat mich angeschrieben, weil sie gelesen hat, dass ich eine Sendung für muslimische Zuwanderer mache. Denn sie hat das Gefühl, es läuft etwas schief, in ihrem Viertel, ihrer Arbeit, bei uns. Sie sehe, dass sich das Verhältnis zwischen Deutschen und muslimischen Immigranten an zwei Punkten „auseinanderdividiere“: „Frauen und Religion“. Sie berichtet von ihren Gesprächen mit Lehrern einer Schule in Mülheim. Da fragte eine Jugendliche, ob sie das Klassenzimmer in den Pausen nutzen könne, um dort zu beten. Noch sei die Frage eines muslimischen Gebetsraums an den Schulen in Mülheim nicht dringend, aber sie denke, dass das bald ein Thema sein werde.
Sie habe einmal den Fall einer deutschen Jugendlichen erlebt, ein „junges intelligentes deutsches Mädchen“, wie sie sagt. Die habe dann einen arabischen Freund gehabt und musste dann einen Schleier tragen. Den Freund hat sie dann geheiratet und hat die Schule verlassen. Später habe sie sie durch Zufall in der Stadt getroffen, „von Kopf bis Fuß verschleiert“ und „sie sah traurig aus“. Das sei kein Einzelfall. Immer wieder beobachte sie, dass sich deutsche Mädchen und Frauen verändern, wenn sie einen muslimischen Partner haben. „Viele beugen sich dem männlichen Druck. Manche bedecken sich dann halt und tragen Schleier, bevor der Mann immer wieder Theater macht.“ Ein junger Deutsch-Türke habe ihr einmal gesagt, für seine Freundin bestehe „Schleierpflicht“.
„Erdogan ist super“
Ob und wie jugendliche Zuwanderer Politik wahrnehmen? Die meisten hätten von Politik gar keine Ahnung. Bei den türkischen Jugendlichen gelte: „Alle sind AKP, eine kemalistisch-liberale Einstellung gibt es nicht. Erdogan ist super. Der ist ein guter Mensch und macht das Land religiös. Da ist kein politisches Bewusstsein. Die übernehmen das, was sie zu Hause hören“.
Frau M. ist nicht rechts. Das betont sie immer wieder und erzählt, dass sie an eine offene, multikulturelle Gesellschaft glaube. Dass ihr das wichtig sei. Frau M. ist das, was man „lieb“ nennen würde. Sie strahlt eine große Scheu, aber auch Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit aus. Sie spricht leise und lächelt dabei. Sie hat immer einen freundlichen Gesichtsausdruck, auch während des Unterrichts. Sie wird nie laut. „Wir alle lieben unsere offene Gesellschaft. Aber das macht etwas mit uns, wenn immer mehr eine bestimmte Wertevorstellung in Teilen unseres Land zunimmt. Bei der Stellung der Frau etwa stehen sich beide Seiten diametral gegenüber.“
Eine Zeit lang habe sie überlegt, ob sie nach Mülheim zieht, weil es dann einfacher ist wegen der Arbeit. Sie habe sich eine Wohnung in der Keupstraße angesehen. Aber der Vermieter hat ihr abgeraten: „Als deutsche Frau kannst du hier nicht alleine wohnen. Man würde dich Tag und Nacht beobachten: Mit wem kommst du wann nach Hause? Da wirst du beobachtet und beurteilt.“ Jetzt wohnt sie in der Kölner Südstadt. Sabine M. wollte einen Rat von mir, wie sie einen besseren Draht bekommen kann zu den Jugendlichen. Deswegen hatte sie sich gemeldet. Ich kann ihr nur den Rat geben, über Freiheiten und Rechte in unserem Land offensiv aufzuklären.