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Aug 31

Mord in Gonterskirchen: Aussage „mit Lügen gespickt“

Am zweiten Verhandlungstag im Prozess um einen Mord in Gonterskirchen sagten zwei der Angeklagten aus. Ausgangspunkt der Gewalttat war ein Transport von Marihuana.

GIESSEN/LAUBACH – Das Geld war angeblich leicht zu verdienen: „Wir sollten 2000 Euro bekommen, wenn wir einen Transport machen“, schildert der junge Mann. Mehr nicht. Nur deshalb habe er gemeinsam mit seinem Bruder das lukrative Angebot des 41-Jährigen überhaupt angenommen. Dass die beiden dafür immerhin Marihuana von Mittelhessen nach Belgien bringen sollten, schien sie offenbar nicht weiter zu bekümmern. Aber dazu kam es letztlich gar nicht. „Er hat mir kein Geld gegeben, er hat mir nur Probleme bereitet“, versichert der 19-Jährige vor dem Gießener Landgericht. Denn der scheinbar simple Transport entpuppte sich am späten Abend des 28. November 2017 als brutaler Überfall in einem schmucken Wohnhaus in Gonterskirchen.
Dabei verstarb ein 57-Jähriger nach massiven Schlägen und Tritten. Auch seine zwei Jahre ältere Lebensgefährtin wurde überwältigt, mit Kabelbindern fixiert und geschlagen. Und um die Spuren dieser Verbrechen zu beseitigen, sollen die Angreifer in dem Gebäude fünf Liter Benzin verschüttet und Feuer gelegt haben. Die gefesselte Frau konnte ihr Leben wohl nur dadurch retten, dass sie mit letzter Kraft von einem Fenster aus Nachbarn um Hilfe rief. Deshalb muss sich der junge Mann, der als Heranwachsender gilt, nun gemeinsam mit dem 41-Jährigen und drei Mitangeklagten wegen Mordes, versuchten Mordes, Raub und Körperverletzung mit Todesfolge sowie besonders schwerer Brandstiftung vor der Jugendkammer verantworten. Angesichts der Schwere der Vorwürfe kommt für alle fünf Sicherungsverwahrung in Betracht. Ein weiterer Tatverdächtiger ist auf der Flucht und wird per Haftbefehl gesucht. Der Bruder des 19-Jährigen sitzt wegen einer anderen Straftat in Belgien im Gefängnis.
Schon zu Prozessauftakt hatten der junge Belgier und ein 31-Jähriger aus Friedrichsdorf – beide haben wie die übrigen Angeklagten marokkanische Wurzeln oder sind Bürger des Maghrebstaates – angekündigt, sich zu dem überaus brutalen Geschehen zu äußern. Doch am zweiten Verhandlungstag wird schnell ersichtlich: Der Familienvater aus dem Hochtaunuskreis will mit den Ereignissen in jener kalten Novembernacht gar nichts zu tun haben. Zumal er offenbar auch gar nicht in dem Wohnhaus in Gonterskirchen gewesen ist. „Ich habe nur den Taxifahrer gespielt“, wiederholt er immer wieder.
„Habe sie nicht angefasst“
Der 19-Jährige wiederum räumt selbst ein, dass er mit seinem Bruder, dem 41-Jährigen und einem weiteren Komplizen sehr wohl am Tatort war. Dort habe er mit dem Bruder aber nur auf die Frau „aufgepasst“, übersetzt die Dolmetscherin seine flämischen Worte. „Ich habe sie nicht angefasst“ und ihr ganz sicher „auch nichts getan“. Geschlagen und getreten hätten allein die beiden anderen. Der 41-Jährige schüttelt angesichts der Beschuldigungen immer wieder amüsiert den Kopf. Ähnlich reagiert sein heftig belasteter Landsmann. „Die können ruhig lachen. Es ist so passiert“, bricht es aus dem jungen Mann geradezu heraus. Sein eigenes Agieren und auch den Tatbeitrag des Bruders versucht er unverkennbar kleinzureden. Dabei weichen seine Angaben jedoch in vielen Details von den Vernehmungen bei der Polizei ab. „Ich war der Fahrer“, fasst er schließlich zusammen. Von allem anderen habe er nichts gewusst.
Die beiden Aussagen zeigen nachdrücklich, dass es ziemlich hektisch zugegangen sein muss in den Stunden vor dem Überfall. Dass die insgesamt sieben Männer in unterschiedlichen Konstellationen in verschiedenen Autos zwischen Frankfurt, Friedrichsdorf und Gonterskirchen unterwegs waren. Dass allerhand schiefgelaufen ist, ein angemieteter Wagen unumkehrbar im Schlamm steckengeblieben ist und die Situation in dem Wohnhaus anscheinend eskalierte. Und klarer werden auch die Hintergründe des Verbrechens: Der Friedrichsdorfer schildert, dass er einige Wochen zuvor gemeinsam mit Freunden – darunter die beiden angeblichen Haupttäter – in Spanien war, um dort Marihuana zu kaufen. Er selbst habe 7500 Euro investiert, um drei Kilo „Stoff“ zu erwerben. Nach einigem Hin und Her sei dann das spätere Todesopfer mit einem Wohnmobil gekommen, um die ansehnliche Menge nach Deutschland zu bringen. „Wir haben eine Kette gebildet, um die Säcke in den Caravan zu packen.“ An die genauen Mengen will er sich nicht erinnern, auch nicht an die genauen Absprachen. Schließlich wird darüber in Gießen nicht verhandelt, von der Staatsanwaltschaft aber ein Ermittlungsverfahren geführt. Kurze Zeit, nachdem der 57-Jährige losgefahren sei, habe er telefonisch mitgeteilt, dass er auf der Autobahn überfallen, sein Wagen samt Marihuana geklaut worden sei. Das aber hätten die Partner nicht geglaubt, und schon deshalb habe es am nächsten Tag in Spanien aufgeregte Diskussionen gegeben.
„Herz stehen geblieben“
Zurück in Mittelhessen wollten sich die Männer wohl ihre „Kilos“ zurückholen. Brecheisen, Kabelbinder und Klebeband waren am Nachmittag des 28. November in einem Baumarkt schnell besorgt – der 31-Jährige will auch dabei nur „Taxifahrer“ gewesen sein. Der 19-Jährige habe noch angeregt, eine Limousine anzumieten, um bei einer möglichen Kontrolle die Polizei austricksen zu können. „Das habe ich mal in einem Film gesehen.“ Ansonsten sei angeblich gar nichts besprochen oder geplant worden. Selbst beobachtet habe der junge Belgier nichts von den Schlägen und Tritten. „Ich habe das nur gehört.“ Das gelte auch für ein Telefonat des 41-Jährigen mit „den Deutschen“ – vermutlich den Kumpels aus Friedrichsdorf. Über das Opfer habe der nur gesagt, „sein Herz ist stehen geblieben“. Und ihn beauftragt, die Frau zu ersticken. „Ich habe gesagt, ich tue das nicht.“
Der Verteidiger des 41-Jährigen erklärte am Ende der stundenlangen Vernehmung, dass die Aussage des jungen Mannes „mit Lügen gespickt“ sei und dass „wir das teilweise auch beweisen können“. Frau und Kinder seines Mandanten würden in der belgischen Heimat bedroht, deshalb „stecke die Verteidigung“ in einem Dilemma. Der 41-Jährige werde allerdings noch aussagen. Der Prozess wird am 4. September fortgesetzt.

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