Der Netzwerkkonzern darf nicht nach seinem Belieben Beiträge von Nutzern löschen. Er muss die Meinungsfreiheit achten wie der Staat. Das hat jetzt das Oberlandesgericht München entschieden.
Facebook darf beim Löschen von Kommentaren der Meinungsfreiheit seiner Nutzer keine engeren Grenzen setzen, als staatliche Stellen dies dürften, so das Oberlandesgericht München in einem Beschluss vom 27. August, der dieser Zeitung vorliegt. Die Meinungsfreiheit gelte zwar, wie alle Grundrechte, unmittelbar nur zwischen Bürger und Staat, sie müsse aber auch von einem großen „öffentlichen Marktplatz für Informationen und Meinungsaustausch“ wie Facebook im Wege der sogenannten mittelbaren Drittwirkung beachtet werden.
Uneinigkeit besteht zwischen den Gerichten bislang bei der Frage, ob Facebook aufgrund dieser nur mittelbaren Grundrechtsbindung andere beziehungsweise strengere Maßstäbe anlegen darf als der Staat. Das Landgericht Heidelberg hatte dies in der vergangenen Woche noch so gesehen: Als gewinnorientiertes privates Unternehmen könne Facebook eigene Hausregeln aufstellen und durchsetzen, solange diese sich zumindest in groben Zügen an den Wertentscheidungen der Verfassung orientierten (Az.: 1O 71/18).
Anders nun der Beschluss des OLG München. Er erklärt eine Klausel der Facebook-AGB für nichtig, in der das Unternehmen sich das Recht vorbehält, Kommentare zu löschen, „wenn wir der Ansicht sind, dass diese gegen die Erklärung oder unsere Richtlinien verstoßen“. Diese Bestimmung benachteilige die Nutzer auf unzulässige Weise, weil sie die Löschung von Kommentaren letztlich ins freie Belieben von Facebook stelle. In dem Verfahren ging es um einen Post, der neben einem Wilhelm-Busch-Zitat den Satz „Ich kann mich argumentativ leider nicht mehr mit Ihnen messen, Sie sind unbewaffnet und das wäre nicht besonders fair von mir“ enthielt (Az.: 18 W 1294/18).
Wenn Gerichte zügig entscheiden, könnten die mit Kommentarlöschungen oft verbundenen Kontosperren deutlich vor Ablauf der üblicherweise dreißig Tage währenden Frist aufgehoben werden, sagt der Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel, der dieses Verfahren betrieb und auch in zahlreichen ähnlich gelagerten Fällen gegen Facebook klagt. Zwar verstoße das Netzwerk mitunter gegen gerichtliche Entscheidungen, dies habe dann aber Ordnungsmittelverfahren zur Folge. „Auf lange Sicht geht es darum, eine klare Rechtsprechung zu etablieren, dass Facebook keine Inhalte löschen darf, die die Meinungsfreiheit erlaubt.“ Das soziale Netzwerk sei für viele Menschen inzwischen einer der wichtigsten Orte, um von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen – dementsprechend könne dort keine „Meinungsfreiheit light“ gelten.