«

»

Apr 30

Arnsdorf-Prozess: “Ist schon schade, dass man ’ne Bürgerwehr braucht, oder?“

In einem Wald wurde die verweste Leiche eines jungen Flüchtlings entdeckt. Eigentlich sollte der Iraker vor Gericht aussagen: Mitglieder einer Bürgerwehr sollen ihn an einen Baum gefesselt haben. Quelle: N24/ Kevin Knauer

Sie nennen es Zivilcourage, Notwehr und Bürgermut. Vier Männer aus Sachsen fesseln einen Flüchtling mit Kabelbindern und kommen vor Gericht. Daraufhin bedrohen Rechtsradikale die Staatsanwaltschaft.

Arnsdorf ist ein Dorf im Dresdner Umland, umgeben von Orten, die man wegen fremdenfeindlicher Übergriffe aus den Abendnachrichten kennt: Bautzen, Freital, Hoyerswerda, Heidenau. In der 5000-Seelen-Gemeinde gibt es, was es im Dorf so gibt: Fußballplatz, Motorradclub, Wirtshaus, Imbiss. Eine geplante Flüchtlingsunterkunft wurde hier nie gebaut. Viele sind argwöhnisch gegenüber Fremden, der Presse, Ausländern.

Im Mai vergangenen Jahres haben in Arnsdorf vier Männer einen 21-jährigen irakischen Asylbewerber aus einem Supermarkt gezerrt und mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt. Der Fall löste Empörung aus – und Solidaritätsbekundungen von rechten Aktivisten. Die Staatsanwaltschaft klagte die vier wegen Freiheitsberaubung an.

Der Gefesselte war Patient im psychiatrischen Krankenhaus von Arnsdorf und am 21. Mai bereits zweimal von der Polizei des Supermarkts verwiesen worden. Der Mann hatte Probleme mit einer gekauften Prepaid-Karte, er fühlte sich übers Ohr gehauen, stellte die Mitarbeiter immer wieder zur Rede, sechs Stunden lang sei das so gegangen, erzählt eine Angestellte. Schließlich stand er im Supermarkt mit zwei Weinflaschen hinterm Rücken.

Für die Angeklagten ist der Tod des Mannes ein glücklicher Umstand

Der Iraker ist inzwischen tot, im Januar ist er erfroren. Ein Jäger fand seine Leiche Monate später, am Ostermontag, in einem Wald an der Bahnlinie von Dresden nach Chemnitz. Die Polizei hat Fremdeinwirkung in dem Todesfall ausgeschlossen. Ganz in der Nähe war der Flüchtling, nach mehreren Krankenhausaufenthalten in Dresden ,,in einer dezentralen Unterkunft“ untergebracht gewesen und dort zuletzt am 2. Januar gesehen worden. Für die Angeklagten ist der tragische Tod des jungen Mannes jedoch ein glücklicher Umstand.

Denn der Prozess gegen die vier am Amtsgericht Kamenz wurde am Montag eingestellt. Zehn Verhandlungstage waren angesetzt, doch weil der Iraker – er war als Hauptbelastungszeuge vorgesehen gewesen – nun nicht mehr aussagen konnte, einigten sich Richter, Staatsanwälte und Verteidiger darauf, „die Verfolgung der Straftat wegen geringer Schuld einzustellen“. Ein Freispruch ist das aber nicht: Die vier Angeklagten bleiben auf ihren Anwaltskosten von angeblich rund 20.000 Euro sitzen.

Einer der Angeklagten ließ sich anschließend trotzdem von Pegida-Anhängern feiern. Seine Frau hatte bereits vor drei Wochen bei einem Dresdner Pegida-Aufmarsch um Unterstützung für ihren Mann geworben. Mit einem so schnellen Prozessende hat hier jedenfalls keiner gerechnet.

Vor der Gerichtsverhandlung waren bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Görlitz zwei Schreiben mit Todesdrohungen eingegangen – in Sachsen kein Einzelfall. Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) beklagt, dass in den vergangenen Jahren der Ton rauer geworden sei. Justizbedienstete würden beleidigt und bedroht, es gebe Einschüchterungsversuche und Drohbriefe an Privatadressen.

Für die sächsische Linke sind solche Bedrohungen gar die Regel: Allein im letzten Jahr habe die Partei 45 Vorfälle registriert, in denen Mitglieder bedroht oder Räumlichkeiten angegriffen wurden. Ende März wurde in Leipzig das Büro einer Landtagsabgeordneten kleinkalibrig beschossen.

Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Linken, verlangt Aufklärung. Am Mittwoch will er „endlich klare Antworten darauf, was da los war“. Man dürfe es nicht zulassen, „dass Vertreter des Rechtsstaates eingeschüchtert werden und die Strafverfolgung dadurch beeinträchtigt wird“.

Wegen der Einschüchterungsversuche rund um den Arnsdorf-Prozess ermittelt nun das für Extremismus zuständige Operative Abwehrzentrum der sächsischen Polizei. Die rechte Szene ist gut organisiert in Sachsen, ihre Kampagne „Solidarität für Arnsdorf“ hat bei Facebook mehrere hundert Unterstützer und trägt die Handschrift der Identitären Bewegung, die durch spektakuläre Aktionen auf sich aufmerksam macht und vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Im Internet kursiert ein zweieinhalbminütiges Video von dem Vorfall, bei dem der Iraker aus dem Supermarkt geschleppt wurde. Am Ende des Films hört man eine Frau sagen: „Es ist schon schade, dass man ’ne Bürgerwehr braucht, oder?“

Die Arnsdorfer halten zu den Tätern

Die vier Männer, gegen die deshalb ermittelt wurde, sind im Ort bekannt: ein CDU-Gemeinderat, ein Führungsmitglied des Motorradclubs sowie ein Angestellter und ein Lagerist, die beide schon öfter mit asylkritischen Äußerungen aufgefallen sein sollen. Angeblich waren die vier zufällig vor Ort, als sie von Mitarbeitern des Supermarkts zu Hilfe gerufen wurden.

In Arnsdorf kennt man sich. Da hilft man sich, wenn es brennt. Und da steht man zusammen, wenn Leute kommen und unbequeme Fragen stellen. Die Arnsdorfer verstehen nicht, wie die Presse darauf komme, dass in ihrem Ort eine Bürgerwehr existieren soll.

Sie zeigen sich solidarisch mit dem Quartett, das den Iraker aus dem Supermarkt holte und fesselte, sie sprechen von Zivilcourage, Notwehr und Bürgermut. Dass man wegen solcher Eigenschaften vor Gericht gezerrt werde – das sei der wahre Skandal, über den man in den Zeitungen aber nichts lesen könne.

Quelle: Welt

Schreibe einen Kommentar

Close