„Zwischen dem Reden und dem Tun liegt das Meer“ (Sprichwort aus Italien). Am Anfang des Asyl-Streits stand der streng geheime „Masterplan Migration“. Am Ende steht ein Kompromiss mit viel Wenn – und mit noch mehr Aber.
Die Umsetzung des hart erkämpften Asylkompromisses der Unionsparteien steht infrage. Zumindest fällt alles eine Nummer kleiner aus – weil am Donnerstag erst Ungarn, dann Österreich wesentliche Zusagen verweigerten, weil eine Einigung mit Italien nun noch illusorischer scheint, weil am Abend auch noch die SPD Korrekturen durchboxte.
Vor allem wird das Zurückweisen an der Grenze weit weniger Migranten an der Einreise nach Deutschland hindern als geplant. Laut Innenminister Horst Seehofer (69, CSU) geht es nur noch um „höchstens fünf Fälle täglich“, die bereits in einem anderen EU-Land Asylantrag gestellt haben.
Dabei wollte Seehofer ursprünglich auch Migranten die Einreise verweigern, die woanders mit Fingerabdrücken registriert worden sind. „Es geht nicht um einige hundert Fälle, es geht um ein paar Tausend“, sagte er noch bei einer Pressekonferenz am 18. Juni.
Für Seehofer ist das Glas jetzt dennoch halb voll: „Es hat sich wieder einmal gezeigt, es lohnt sich für eine Überzeugung zu kämpfen“, sagte er nach dem denkwürdigem Krach mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (63, CDU). FDP-Chef Christian Lindner (39) stichelte hingegen, die Unionseinigung sei „an Bescheidenheit kaum zu überbieten“.
Das war, bevor die SPD mit ihrer Liste an Einwänden den 1,92-Meter-Mann Seehofer (Spitzname als Kind: „Lulatsch“) endgültig auf Olaf-Scholz-Augenhöhe (1,70) schrumpfen ließ.
Ergebnis: Eine blendend gelaunte SPD-Chefin Andrea Nahles, die am späten Abend erklärte, es werde nun keine nationalen Alleingänge und „keinerlei Lager“ geben. Ein launiger Olaf Scholz, der Seehofers Asyl-Streit ein „vorgezogenes Sommertheater“ nannte.
Und ein angeblich „von A bis Z“ zufriedener Seehofer, der plötzlich von „Transitverfahren in Einrichtungen der Polizei“ sprach, statt von grenznahen Zentren für Flüchtlinge. Eine Schlüsselrolle spielen soll dabei der Transitbereich des Flughafens München, wo bereits jetzt Asyl-Schnellverfahren in maximal 23 Tagen durchgezogen werden. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Verfahrensdauer zieht sich nach aktuellen Zahlen über fast elf (!) Monate.
Österreich setzt sich durch
Das Wort „Transitzentren“ kommt im Einigungspapier der Koalitionsspitzen nicht mehr vor. Die für Zurückweisungen in Frage kommenden Migranten sollen auch nicht in Haft, was Hardliner zunächst erwägt hatten.
Auch die Gefahr, dass es an der Grenze zu Österreich zu zynischen Ping-Pong-Situationen mit Flüchtlingen kommt, die von beiden Seiten an der (Wieder-)Einreise gehindert werden, ist fürs Erste gebannt: „Wir werden weder jetzt noch in der Zukunft Österreich für Flüchtlinge verantwortlich machen, für die es nicht zuständig ist“, sagte Seehofer, nachdem Wiens Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ihm mit „notgedrungenerweise gleichen Maßnahmen“ an der Grenze gedroht hatte.
Pikant: Wegen „der Komplexität und der europäischen Dimension“ des Asyl-Streits sieht der CSU-Chef jetzt eher die Regierungschefs als sich selbst und seine Innenminister-Kollegen in der Verantwortung, bilaterale Rücknahmevereinbarungen auszuhandeln.
Rückführungen scheitern meist an Deutschland
Das, allerdings, wäre wieder erst die halbe Miete. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei hervorgeht, scheitern die meisten Rückführungen von „Dublin-Fällen“ derzeit nämlich nicht an mangelnder Rücknahmebereitschaft der Erstankunftsländer, sondern am Versagen deutscher Behörden.
► So hat Deutschland in diesem Jahr bereits 9233 Übernahmeersuchen an Italien gestellt. Das Land stimmte auch 8421 Mal einer Rücknahme zu – überstellt wurden aber nur 1384. Laut „Welt am Sonntag“ tauchten die übrigen 7000 schlicht unter.
► Ähnlich sieht es mit Spanien aus: Das Land hat in 1255 von 1849 Fällen Übernahmeersuchen zugestimmt – überstellt wurden aus Deutschland aber gerade einmal 172 Migranten.
Seehofer droht mit zweitem Aufguss
Auf nationaler Ebene mag der Streit Nerven und Sympathien gekostet haben. Aber am Ende gibt es Hoffnung auf beschleunigte Verfahren, auf „Ankerzentren“ nach niederländischem Vorbild, und ja: eine konsequentere Trennung von Schutz-Berechtigten und Ausreisepflichtigen, die eine Mehrheit der Deutschen in Anbetracht von 1,6 Millionen Schutzsuchenden im Land erwartet. Dafür kriegt u.a. das BamF Tausende neue Stellen.
Sollte der Kompromiss im Praxistest durchfallen, gehe der Asyl-Zoff „wieder von vorne los“, warnte Seehofer im „Spiegel“. Dabei dürfte ihm langsam dämmern: ER ist aus Wähler-Sicht derjenige, der als Innenminister für die Umsetzungen verantwortlich ist.
Wie sagte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer am Ende dieser verrückten Woche, in der nebenbei der AfD ihr Hauptthema entglitten ist: „Die gesamte Regierungskoalition versammelt sich jetzt hinter dem Ziel, Migration zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen“.
Bleibt nur noch – siehe oben – der feine Unterschied zwischen Reden und Handeln …
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