In Bautzen wurde aus einem ehemaligen Vier-Sterne-Hotel ein Flüchtlingsheim. Seitdem ist der Frieden in dem Örtchen dahin – der Direktor wurde monatelang von Rechtsextremisten angefeindet.
Hoteldirektor Peter Killian Rausch schwirrt durch die Küche des „Spreehotels“ in Bautzen (Sachsen), schaut in Töpfe und Pfannen. Früher war er Gastronomiemanager im Londoner „Tower Hotel“. Doch in der Küche des „Spreehotels“ gilt es nicht, die Qualität des Essens zu überwachen. Die Gäste kochen selbst. Das ehemalige Vier-Sterne-Hotel, das Rausch über 15 Jahre geleitet hat, dient seit Juli als Flüchtlingsheim. Jetzt bereiten Asylbewerber sich in der Küche ihre täglichen Mahlzeiten zu.
Rausch fragt einen Inder, der in der Hotelküche Teig knetet, mit britischem Akzent: „What are you cooking?“ Der Mann antwortet „Chapati“ und gibt Rausch eines der Fladenbrote zum Kosten. „Ah, Chapati. Des isch ja interessant“, sagt der gebürtige Schwarzwälder. Gleich darauf wechselt er ins Französische und hält einem Tunesier eine ordentliche Standpauke: keine Zigaretten in der Küche! Da versteht er keinen Spaß.
Rausch ist viel herumgekommen, hat in Syrien, Jordanien, Frankreich und England gearbeitet. Aber der wohl wichtigste Wendepunkt seines Lebens fand hier statt: in Bautzen, einer 40.000-Einwohner-Stadt in der Oberlausitz.
Tägliche Demos von Radikalen
Der Neustart als Flüchtlingsheim ist eine unkonventionelle Lösung der wirtschaftlichen Probleme des Hotels am Bautzener Stausee. Weil zu lange die Gäste wegblieben, bewarb sich Rausch im Februar auf eine Ausschreibung des Landratsamtes Bautzen – als Einziger. Damit machte er sich viele Feinde: Bürgerinitiativen liefen vor dem Umbau des in die Jahre gekommenen Vier-Sterne-Hotels Sturm. Als Mitte Juli die ersten Flüchtlinge einzogen, demonstrierten Rechtsradikale nahezu täglich vor dem neu hochgezogenen Zaun.
Es ist verrückt: Bautzen hat einen Ausländeranteil von gerade einmal 1,29 Prozent; niedriger ist er fast nirgendwo in der Republik. Von einer drohenden Überfremdung der Stadt kann kaum die Rede sein. Trotzdem fürchten sich viele Bautzener vor den „Asylanten“. Es kursieren wilde Gerüchte. Auf Facebook fragt eine Mutter: „Stimmt es das eine junge Familie am Stausee von Asylanten angepöbelt wurde?“ „Die haben im Marktkauf in das Gemüse gepinkelt“, sagt ein Taxifahrer, der hier geboren und aufgewachsen ist.
Da sind nur Männer, und viele kommen aus Ländern, in denen gar kein Krieg herrscht
Eine junge Frau in der Innenstadt behauptet: „Da sind nur Männer, und viele kommen aus Ländern, in denen gar kein Krieg herrscht.“ Ein älterer Herr am Busbahnhof sagt: „Seitdem die Ausländer da sind, machen die nur Radau, klauen und prügeln sich.“ Woher diese Gerüchte kommen, weiß niemand. Aber sie halten sich hartnäckig.
Die Daten der Polizeidirektion sprechen eine andere Sprache. Die offizielle Statistik für 2014 ist zwar noch nicht erschienen, doch eine Tendenz lässt sich schon jetzt erkennen. Von Mai bis September 2013 gab es 620 Diebstahlfälle und 148 Körperverletzungsdelikte. Im gleichen Zeitraum dieses Jahres sind die Fälle um 20 respektive 15 Prozent gesunken. Doch rationale Argumente scheinen hier, wo Vorurteile so tief sitzen, zu versagen.
Morddrohungen und vulgäre Beschimpfungen
Das 80-Betten-Haus beherbergt mittlerweile 200 Flüchtlinge. Dass sie nicht wirklich zahlende Gäste sind – darauf lässt Rauschs Umgang mit ihnen nicht schließen. „Für mich sind es einfach nur Gäste. Ich möchte, dass sie sich, so gut es geht, hier wohlfühlen“, sagt er.
Die Schicksal der Bewohner geht Rausch nahe. Da ist der Syrer Abdel-Elah Albukaay, 39, der kurz nach seiner Ankunft im „Spreehotel“ an Krebs erkrankte und sechs Wochen auf einer onkologischen Station in Dresden verbrachte. Albukaays Frau und seine vier Kinder sind derzeit auf der Flucht aus Syrien in den Libanon. Er will sie zu sich holen. Ob und wann das gelingt, ist ungewiss. „Er hat so viel Leid erlebt. Aber jedes Mal, wenn ich ihn in die Klinik fahre, strahlt er mich an“, sagt Rausch.
Vielleicht ist es diese Dankbarkeit, die Rausch hilft, trotz der vielen Angriffe auf seine Person nicht zu verbittern. „Dass ich mir keine Freunde damit mache, wenn ich in Bautzen ein Flüchtlingsheim eröffne, war mir schon klar“, sagt der 56-jährige Hotelier. „Aber dass die Anfeindungen so harsch sind und so lange anhalten, das schockiert mich.“ Rausch hat seit Juli zwei Morddrohungen erhalten. Bei den Nazi-Demos vor dem Heim wurde er unter anderem als „schwule Drecksau“ beschimpft.
Angst vor Asylbewerbern ist in der Mitte angekommen
Die Angst vor Flüchtlingsströmen und Asylbewerbern und der daraus resultierende Hass auf alle, die hierherkommen: Das Thema lebt nicht ausschließlich am rechten Rand. Es scheint, als sei es in Deutschland in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Es sind nicht nur die Neonazis, die Rausch Sorge bereiten. Als er im Juli vor dem Einzug der Bewohner im Heim zum Tag der offenen Tür lud, monierten einige Bürger die Tatsache, dass noch Bilder an den Wänden hingen – das sei ja keine zwingend nötige Ausstattung für ein Flüchtlingsheim. „Was denken die denn? Hätte ich die Bilder etwa wegschmeißen sollen?“, sagt er und ist fassungslos.
Viele behaupten, dass er, der Pleite-Hotelier, sich jetzt auf Kosten der Steuerzahler bereichern wolle. „Ich bestreite nicht, dass ich gut davon leben kann“, sagt Rausch. Für die Unterbringung bekommt er pro Person 13 Euro pro Nacht, davon muss er Strom, Wasser und Heizkosten abdecken. Rausch bekommt vom Landratsamt nach eigenen Angaben pro Jahr rund 700.000 Euro. Dennoch ist das „Spreehotel“ für den Landkreis die günstigste Variante: Ein Containerbau mit vergleichbarer Kapazität hätte 3,5 Millionen Euro gekostet.
Die NPD bekam 10,7 Prozent
Auch bei Sachsens Landtagswahl im August spielte das Thema eine große Rolle. „Asylmissbrauch stoppen“, forderte die NPD auf ihren Plakaten. Sie kam hier in Bautzen auf 10,7 Prozent der Stimmen. Die CDU brachte es auf 42 Prozent – und verlor damit im Vergleich zu 2009 rund sieben Prozent der Wählerschaft. Zieht man die Stimmen für die AfD mit in Betracht, wählte jeder vierte Bautzener eine Partei rechts von der CDU.
CDU-Landrat Michael Harig, er ist hier in Bautzen für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig, ist es gewohnt, sich durchzubeißen. Zu DDR-Zeiten verwehrte man ihm die weiterführende Schule, weil er sich geweigert hatte, der FDJ beizutreten. Er machte eine Lehre zum Zerspanungsmechaniker und holte nach der Wende sein Studium nach. Wie man den Bürgern die Angst vor den Flüchtlingen nehmen kann? „Das Wichtigste ist es, sie zu informieren“, sagt Harig.
Auf der Website des Landratsamts hat seine Presseabteilung einen Infobereich zum Thema Asyl eingerichtet. Darunter sind Fragen wie „Warum kommen so viele Menschen zu uns nach Deutschland?“ und „Verliert mein Grundstück an Wert, wenn sich in der Nähe ein Asylbewerberheim befindet?“. Die angesprochenen Sorgen zeugen davon, wie tief verwurzelt die Angst vor Fremden bei vielen hier ist.
Dass das nicht immer so war, ist Harig wichtig. „Unsere Region hat allein durch das Zusammenleben von Sorben und Deutschen sowie durch die Grenzlage eine lange Tradition, was Toleranz anbetrifft“, sagt er. In der Vergangenheit sorgte diese Toleranz dafür, dass verfolgte Protestanten aus dem böhmischen Kaiserreich in die Oberlausitz flohen, wo sie ihren Glauben frei praktizieren konnten. Ihr Fleiß brachte der Region wirtschaftlichen Aufschwung. Es scheint fast, als hätten es Flüchtlinge hier zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges leichter gehabt als heute.
Im Jahr 2014 ist es selbst für gut ausgebildete Asylberechtigte extrem schwer, in Deutschland Arbeit zu finden. Rausch könnte darüber stundenlang schimpfen. „Viele von denen sind hoch qualifizierte Menschen, die wir hier dringend brauchen“, sagt er und gestikuliert mit seinem Chapati-Brot. In seinem Haus wohnen unter anderem ein Arzt, ein Architekt, ein Maler, ein Konditor, mehrere Schneider und Steinmetze.
Auch die Bürokratie macht ihn wütend
Bisher mussten Asylbewerber in Deutschland neun Monate warten, bis sie eine Arbeitserlaubnis bekamen. Nach dem Asylkompromiss von Bund und Ländern können Asylbewerber zwar bereits nach drei Monaten in Deutschland arbeiten, und auch die Vorrangprüfung wurde für Engpassberufe abgeschafft. Doch ob und wann Rauschs Gäste in Deutschland eine Arbeit finden, kann keiner sagen
Es sind nicht nur die fremdenfeindlichen Bürger, die Rausch wütend machen. Es sind vor allem die Bürokratie und eine Flüchtlingspolitik ohne gute Lösungen. „Mir war nicht klar, dass man die Menschen vonseiten der Behörden dermaßen im Regen stehen lässt.“
So käme es zum Beispiel durchaus vor, dass ein rückdatierter Einstellungsbescheid der Ausländerbehörde dazu führt, dass ein dreifacher Familienvater aus Syrien 20 Tage ohne Krankenversicherung in Deutschland lebt und das erst beim Arztbesuch herausfindet. Rausch versucht dann, kreative Lösungen für scheinbar unlösbare Probleme zu finden. In einem früheren Leben kämpfte er an stressigen Abenden als Gastronomiemanager oftmals gegen die Zeit. „Jetzt habe ich manchmal das Gefühl, ich kämpfe gegen Windmühlen.“
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April 15, 2017 um 2:34 am (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
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