2015 kamen in Deutschland 148.000 Babys von Müttern mit ausländischer Staatsangehörigkeit zur Welt.
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Damit hatte jedes fünfte Neugeborene eine ausländische Mutter – so viele wie nie in der Geschichte der Bundesrepublik.
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Der Babyboom wird Kindergärten und Schulen im Land vor ganz neue Herausforderungen stellen.
Der Kindersegen der Türkinnen, Polinnen, Rumäninnen oder Syrerinnen beflügelt die Geburtenraten, keine Frage. Er wird aber auch die Kindergärten und Schulen im Land vor ganz neue Herausforderungen stellen. Davon sind Bildungsforscher überzeugt und fordern mehr Geld und bessere Qualität vor allem für die frühkindliche Bildung.
Insgesamt wurden im Jahr 2015 nach Angaben des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden rund 738.000 Kinder in Deutschland geboren. Im Vergleich zum Vorjahr war das ein Plus von 22.650 Babys. Dazu trugen mit plus 17.000 Kindern vor allem die Ausländerinnen bei. Die Zahl der Geburten unter den deutschen Frauen dagegen stieg lediglich um 5370 auf insgesamt knapp 590.000.
Kindergartenpflicht ab dem 3. Lebensjahr
„Die steigende Anzahl von Kindern ausländischer Eltern und von Eltern mit Migrationshintergrund stellt unsere Kindergärten und Schulen vor ganz neue Herausforderungen“, sagte Bildungsforscher Ludger Wößmann vom Münchner Ifo-Institut der „Welt“. „Das können wir nur durch mehr Qualität bei Erziehern und Lehrern bewältigen.“
Konkret forderte Wößmann regelmäßige Fortbildungen, die speziell die Integration von Nicht-Muttersprachlern in den Fokus nehmen. Auch sollten die Kita-Gruppen und Schulklassen möglichst gut mit deutschen und nicht deutschen Kindern durchmischt werden. „Aus verschiedenen Studien wissen wir: Kinder integrieren sich besonders gut durch den täglichen sprachlichen Austausch. Je früher im Leben, desto besser.“
Wößmann plädiert daher für eine Kindergartenpflicht ab dem 3. Lebensjahr. Jüngsten Zahlen der OECD zufolge besuchen inzwischen in Deutschland zwar rund 94 Prozent aller Dreijährigen eine Kita. Unter den fehlenden sechs Prozent sind aber zu oft auch Kinder aus bildungsfernen Schichten und mit Migrationshintergrund. Genau die sind es aber, die von früher Interaktion mit deutschsprachigen Kindern und Erziehern besonders profitieren können.
Den von der Politik derzeit angestrebten Ausbau der Krippenplätze für Ein- bis Zweijährige bewertet Wößmann dagegen vor allem als „arbeitspolitische Maßnahme“. „Sie hilft, dass Mütter früher wieder arbeiten gehen können. So wie sie gestaltet ist, trägt sie aber zur Integration und Entwicklung der Kinder vergleichsweise wenig bei.“
Verhältnisse bei der Finanzierung stehen auf dem Kopf
Dass Deutschland vor allem an der Qualität seiner Kindergärten arbeiten muss, hatte zuletzt der Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Andreas Schleicher, gefordert. Pro Kita-Kind gebe Deutschland nur etwa halb so viel Geld aus wie zum Beispiel Norwegen. Überhaupt stünden hierzulande die Verhältnisse bei der Finanzierung der Bildung auf dem Kopf. So tragen die privaten Haushalte etwa ein Viertel der Kosten für die frühkindliche Bildung. Im OECD-Durchschnitt dagegen sind es nur 19 Prozent.
Das Studium an den Hochschulen, das für viele Kinder aus bildungsfernen Haushalten noch immer unerreichbar bleibt, ist dagegen häufig gebührenfrei. Hier liegt der Finanzierungsanteil der privaten Haushalte gerade einmal bei 14 Prozent. Im OECD-Durchschnitt dagegen sind es mehr als doppelt so viel. „In Deutschland bittet man die Jüngsten zur Kasse“, kritisierte Schleicher. Das sei genau dort, wo Nachteile aufgrund von bildungsfernen Elternhäusern am ehesten ausgeglichen werden könnten.
Die deutsche Bevölkerung jedenfalls ist jüngsten Umfragen zufolge bereit, mehr Geld für die Integration der Jüngsten in die Hand zu nehmen. In einer repräsentativen Befragung des Ifo-Instituts aus dem Frühsommer sprachen sich 56 Prozent der Deutschen für eine Kindergartenpflicht für alle Flüchtlinge ab einem Alter von drei Jahren aus. Die Kosten dafür solle der Staat mit Steuergeldern übernehmen.
Die große Mehrheit der über 4000 von INS Infratest Befragten (61 Prozent) wünscht sich zudem mehr Geld vom Bund für die Schulen, die ja grundsätzlich aus den Landesetats finanziert werden. Der Bund solle Sozialarbeiter, Sprachlehrer und Psychologen für die Betreuung der Flüchtlingskinder bezahlen. Das würde im Idealfall zu einer Steigerung der Qualität der Betreuung führen, von der sämtliche Kinder mit Migrationshintergrund profitieren könnten.
Zahl der Geburten von deutschen Müttern steigt
Wie viele Kinder „mit Migrationshintergrund“ genau in Deutschland geboren werden, darüber gibt die offizielle Statistik keine Auskunft. Migrationshintergrund hat ein Kind dann, wenn mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde. Die Statistiker erfassen jedoch bei den Geburten nur die Staatsangehörigkeiten der Eltern.
Bildungsexperten gehen davon aus, dass schon heute rund ein Drittel der Schüler an deutschen Schulen einen Migrationshintergrund hat. In vielen Ballungszentren gibt es Schulen, in denen Kinder nicht deutscher Herkunft die große Mehrheit der Schüler stellen. Deshalb sind Konzepte zur Integration von Kindern ohne deutsche Muttersprache besonders dringlich.
Die jüngsten Zahlen der Statistiker machen allerdings Hoffnung, dass sich auch wieder mehr Inländerinnen für Kinder entscheiden. Die Zahl der Geburten von Müttern deutscher Staatsangehörigkeit stieg das vierte Jahr in Folge. Das Allzeithoch von 1964 mit über 1.000.000 Geburten allein im früheren Bundesgebiet freilich bleibt in weiter Ferne.
Auch das Nachwende-Zwischenhoch aus dem Jahr 1997 ist weiter unerreicht. Damals wurden in Deutschland mehr als 812.000 Kinder geboren. 136.000 von ihnen hatten eine ausländische Mutter.