Der Bamf-Skandal weitet sich aus: Interne Dokumente scheinen zu belegen, dass die Behörde die leitende Mitarbeiterin mundtot machen wollte, die die Misstände ans Licht brachte. Das Amt dementiert.
München – Die Affäre um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) weitet sich immer weiter aus. Der Onlineredaktion von Merkur.de und tz.de wurde nun ein Fax des Anwalts von Josefa Schmid zugespielt, das an das Oberverwaltungsgericht Bremen ging – mit höchst brisanten Details und datiert auf den 22. Mai 2018. Es handelt sich dabei um eine Beschwerde der ehemaligen Leiterin der Bremer Außenstelle des Bamf über ihre Versetzung nach Deggendorf. Schmid, zugleich Bürgermeisterin der Gemeinde Kollnburg in Niederbayern, macht darin auch Bamf-Präsidentin Jutta Cordt schwere Vorwürfe.
Das ist deshalb so brisant, weil erst am Dienstagabend bekannt geworden war, dass die Staatsanwaltschaft Bremen nach einer Anzeige mögliche Ermittlungen gegen Cordt prüft. Es gehe um den Verdacht der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt. Im Laufe des Mittwochs hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) als Konsequenz aus der Affäre der Bremer Außenstelle bis auf weiteres verboten, über Anträge von Flüchtlingen zu entscheiden.
In dem zugespielten Schriftsatz (auch die Zeit berichtet darüber), erklärt Schmid ihre Sicht der Dinge. Etwa, dass die Behördenleitung des Bamf in Nürnberg „an einer echten Aufklärungsarbeit kein gesteigertes Interesse“ habe. Ihr Rückschluss: Man wolle dem Ansehen des Bamf nicht schaden. Sie fordert eine unabhängige Untersuchung ihres Falls.
Schmid war nach Deggendorf versetzt worden, nachdem sie Unregelmäßigkeiten in den Asylverfahren ihrer Vorgängerin entdeckt und in Berichten an das Bamf und dem Staatssekretär des Innenministeriums, Stephan Mayer, weitergeleitet hatte. Nach eigenen Angaben hatte Schmid auch Seehofer ins Bild gesetzt. Ein gegen die Beendigung der Versetzung gerichteter Eilantrag der Beamtin wurde vom Verwaltungsgericht als unbegründet abgelehnt.
War Schmids Anstellung in Bremen für längere Zeit geplant, oder nur befristet?
Das Bamf hatte die Versetzung zunächst mit „Fürsorge“ für die Beamtin Schmid begründet, ehe Präsidentin Cordt auf der Pressekonferenz vergangene Woche sagte: Schmids Stellenbesetzung sei vorübergehend gewesen und irgendwann sei eben das Vorübergehende zu Ende. Schmids Fall sei „ganz normal im Beamtenrecht“.
In dem Schreiben an das Gericht versucht Schmid mithilfe von Gesprächsprotokollen, eidesstattlichen Versicherungen und Email-Verkehr beides zu widerlegen. Sie will beweisen, dass sie als dauerhafte Leiterin in Bremen vorgesehen war und versetzt wurde, um mundtot gemacht zu werden. Die Leitung des Bamf (im Bericht „Beschwerdegegnerin“ genannt) soll ihr mündlich zugesichert haben: „Es ist vorgesehen, Sie nach Zustimmung der Gremien dauerhaft im Referat 560, Ankunftszentrum Bremen, einzusetzen.“ Schriftlich festgehalten ist eine solche Passage auch aus einem Brief der Personalabteilung am 29.12.2017 an Josefa Schmid, die der Redaktion ebenfalls vorliegt. Schmid und ihr Anwalt berichten dem Gericht zudem von viel Lob seitens ihrer Vorgesetzten im Februar 2018 und legen eine hervorragende Beurteilung mit Höchstpunktzahl aus dem Monat Januar 2018 vor. Noch im April 2018 galt sie laut Protokoll als „Wunschkandidatin“ ihres Vorgesetzten W. (Name geändert).
Die Einsetzung für zunächst drei Monate (von Januar 2018 bis März 2018) habe, laut Verfasser des Faxes, dabei ausschließlich dazu gedient, die beamtenrechtlichen Bestimmungen über die Einschaltung der Gremien einzuhalten. Die Verfügung wurde dann auch bis Ende September 2018 – wie offenbar vereinbart – verlängert.
Aus dem Fax geht auch hervor, dass Schmid in der Versetzung eine „Bestrafung für die Aufdeckung eines Missstands in der Behörde“ vermutet, die Rede ist dabei von „Schikane“ und einem „Racheakt“. Die Umsetzung nach Deggendorf erweise sich als „objektiv willkürlich und gebietet den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Maßnahme rückgängig gemacht wird“, heißt es in dem Schreiben.
Der Bericht ist gespickt mit Indizien und Versicherungen Schmids, die Anlass zur Vermutung geben, dass die Bundesbehörde aus Furcht vor einem neuerlichen Skandal versuchte, mit Druck auf die Beamtin, weiteres Aufsehen zu vermeiden.
Bamf dementiert Schilderungen
Das Bamf hingegen erklärt auf Anfrage: „Von einer Strafversetzung kann keine Rede sein. In Abstimmung mit dem BMI hat das BAMF entschieden, aus Gründen der Fürsorge für die Beamtin die Abordnung zur Außenstelle Bremen vorzeitig zu beenden mit der Folge, dass die Beamtin in ihre bisherige Dienststelle in Deggendorf zurückkehrt.“ Aufgrund laufender Ermittlungen kann leider nicht zu allen Detailfragen und zu Tätigkeiten einzelner Mitarbeiter Stellung genommen werden, heißt es knapp.
Schmid gab vor still zu halten – doch sie tat es nicht
Rückblick: Schmid hatte Ende Februar 2018 ihren Vorgesetzten im Bamf einen über 40-seitigen Bericht zukommen lassen. Dieser sollte weitere Unregelmäßigkeiten aufdecken und der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt werden. Eine Antwort darauf erhielt sie offenbar aber nicht. Vielmehr wurde sie zu einem „Personalgespräch“ einbestellt – wie eine vertrauliche Quelle berichtet, weil die Behörde fürchtete, Schmid würde zu Seehofer persönlich gehen.
Schmids zieht in den Dokumenten ein drastisches Fazit des „Personalgesprächs“ am 28. Februar: Dem Bamf ginge es demnach „nur um die Vermeidung einer verheerenden Außenwirkung“. Das Gesprächsprotokoll (liegt der Redaktion vor) zeige die „Sorge um den Ruf des Amtes“, aber auch, „dass die Geschichte mit Frau B. (Schmids Vorgängerin in Bremen) nicht an die Öffentlichkeit kommen dürfe“, zumal „wohl auch Mitarbeiter aus der Zentrale in die Vorgänge verstrickt“ seien. Präsidentin Cordt soll demnach zudem verfügt haben, „dass die Zahl der Personen, die darüber informiert seien, klein gehalten“ werden müsse.
Schmid gab vor, still zu halten. Doch offenbar hielt sie sich nicht daran. Schon am 1. März berichtete sie der Bayerischen Staatskanzlei von ihrem Verdacht, dass sich der Asylskandal in Bremen ausweiten könnte. Sie vertraute ihren eigenen Vorgesetzten nicht mehr. Stattdessen wollte sie mit Seehofer sprechen. Doch sie erreichte nur Staatssekretär Mayer, einen Vertrauten Seehofers.
Schmid übersendete ihm einen 99-seitigen Bericht zu den Asylvergehen in Bremen. 3.332 Fälle standen darin. Als das Bamf davon erfuhr, verlangte die Leitung eine Erklärung für die Abweichung vom üblichen Dienstweg. In diesem Gespräch am 3. Mai fragte die Bamf-Führung nach vorliegendem Protokoll, warum Schmid kritische Berichte erstellt habe. Auch der Kontakt zur Staatsanwaltschaft war Gegenstand des Gesprächs. Die Bürgermeisterin musste sich laut dem vorliegenden Protokoll einerseits für den Kontakt rechtfertigen, andererseits auch zugeben, dass sie ihre Vorgesetzten darüber nicht in Kenntnis gesetzt hatte.
Drohte der Vorgesetzte W. Schmid schon vorher mit der Versetzung?
Bereits im Vorfeld des Gesprächs vom 27. April soll Schmid vom Vorgesetzten W. mündlich eingeschüchtert worden sein: Schmid versichert an Eidesstatt, dass W. gesagt haben soll: „Wenn noch ein weiterer Bericht über Sie im Zusammenhang mit dem Bremer Asylskandal veröffentlicht wird, werden Sie abgezogen. Mit dem Innenministerium des Bundes ist das so vereinbart.“
Der Vorwurf der „Nichteinhaltung des Dienstwegs“ wird im anwaltlichen Schreiben übrigens mit dem Argument entkräftet, dass „im Fall eines Korruptionsverdachts gegen Behördenmitarbeiter die Einschaltung eines anderen Beamten auf höherer Ebene korrekt ist“.
Situation spitzt sich plötzlich zu
Darf man dem Bericht glauben, spitzte sich am 8. Mai die Situation zu. Schmid hatte in einem Gespräch mit Bamf-Vize-Präsident Ralph Tiesler mitgeteilt bekommen, dass sie versetzt werden solle. Sie versuchte Tiesler umzustimmen (Email-Austausch liegt der Redaktion vor), doch der sprach ihr die Versetzung per Mail aus und drohte obendrein mit disziplinarischen Maßnahmen, sollte sich Schmid widersetzen. Schon am 9. Mai, also am nächsten Tag, solle sie sich in Deggendorf einfinden, forderte Tiesler. Vom „Fürsorgeschutz der Beamtin“ ist jedoch nichts zu lesen.
Drei Dinge, die Schmid dem Bamf in dem Schreiben vorwirft:
Schmid will zurück nach Bremen. Im Bericht an das Gericht stützt sie sich auf folgende drei Dinge, um ihre Rückkehr nach Bremen zu forcieren: Von Fürsorge könne aufgrund des zeitlichen Rahmens (“von einem Tag auf den anderen“) keine Rede sein, zumal auch noch disziplinarische Maßnahmen angedroht worden seien.
Hinzu komme der Faktor „Funktion“. Ein Beamter habe „Anspruch auf Übertragung eines amtsangemessenen Aufgabenbereichs“, heißt es im Beschwerdeschreiben. In Deggendorf ist für Schmid offenbar aber kein konkretes Amt vorgesehen – und das, obwohl sie in Bremen in leitender Funktion tätig war.
Eine Umsetzung müsse – drittens – stets einen nachvollziehbaren sachlichen Grund haben, andernfalls sei das Willkürverbot betroffen, heißt es laut Anwalt. Da der Grund der Fürsorge nur vorgeschoben sei, handelte das Bamf demnach „sachwidrig“. So heißt es im Fax. Und weiter: Schmid müsse ohnehin nicht geschützt werden. Sie sei das Licht der Öffentlichkeit gewöhnt. Das sieht das Bamf anders: Die Versetzung sei in der aktuellen Situation geboten, „um die Beamtin, die Gegenstand öffentlicher Berichterstattung ist, zu schützen“, teilte die Behörde unserer Redaktion mit.
Warum will Schmid unbedingt nach Bremen zurück?
Die FDP-Politikerin Schmid kandidiert für den bayerischen Landtag im Oktober. Was hat sie für ein Motiv für die Rückkehr nach Bremen? Schmid will als Referatsleiterin offenbar auf ihren Beförderungsdienstposten zurück. Und nicht ganz unwichtig: Ihre Reputation steht auf dem Spiel.
Schmid habe sich im Frühjahr immer wieder an Vorgesetzte – auch an Cordt – persönlich gewandt, mit der Bitte um eine dauerhafte Stelle in Bremen. Das geht aus vielen Mails hervor. Statt in Bremen muss sie vorerst aber in Deggendorf bleiben. Die Entscheidung des Bremer Gerichts wird mit großer Spannung erwartet.
Die Grünen wollen Horst Seehofer vor dem Innenausschuss zur Sache anhören. Der CSU-Chef kündigte am Montag in einem Interview personelle Konsequenzen aus der Affäre an. Wen er damit meinte, ließ er offen. Für Cordt dürfte es nun aber immer enger werden.