Nur jedem tausendsten Flüchtling wird der Schutztitel entzogen. Obwohl die Aufnahme temporär ist, folgt nach drei Jahren der Anspruch auf unbefristeten Aufenthalt. Die „Welt“ fragte nach, warum das so ist.
Wer einmal vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als Flüchtling anerkannt wurde, bleibt meist dauerhaft in Deutschland. Zwar werden Asyl und Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention zeitlich befristet auf drei Jahre erteilt. Aber nach Ablauf dieser Frist haben die Betroffenen einen Rechtsanspruch auf unbefristeten Aufenthalt, die sogenannte Niederlassungserlaubnis.
Sprachlich und wirtschaftlich gut Integrierte können ihn direkt in Anspruch nehmen, weniger gut Integrierte nach weiteren zwei Jahren – vorausgesetzt, sie sind nicht wegen einer Straftat verurteilt oder überwiegend von Transferleistungen abhängig.
Dieser Ablauf macht also aus Flüchtlingen mit zeitlich befristetem Aufenthalt Einwanderer, die dauerhaft bleiben. Ein Szenario, das der Einschätzung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zuwiderläuft, dass die meisten Flüchtlinge irgendwann in ihre Heimat zurückkehren.
Besagter Ablauf kann von staatlicher Seite nur unterbrochen werden, wenn der Schutzstatus binnen der ersten drei Jahre widerrufen oder zurückgenommen wird. Das war aber im Jahr 2016 nur 240 Mal der Fall, wie aus der Asylgeschäftsstatistik hervorgeht. Dem gegenüber stehen 256.136 Migranten, die im vergangenen Jahr den vollen Flüchtlingsschutz erhielten.
„Wer keinen Aufenthaltsstatus hat, muss rückgeführt werden“
Doch warum wird nur etwa einem von 1000 Flüchtlingen der Schutzstatus entzogen? Auf Anfrage der „Welt“ teilte das BAMF mit, dass zwar „die Überprüfung von Asyl und Flüchtlingseigenschaft spätestens nach Ablauf von drei Jahren Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, das heißt eines unbefristeten Aufenthaltstitels“ ist. Allerdings seien bei dieser Überprüfung „Widerrufe die Ausnahme, da eine grundlegende Sachlagenänderung in der kurzen Zeitspanne von drei Jahren eher selten ist“.
Nur 2207 „Prüffälle“ im Jahr 2016
Zudem kommt es seit Sommer 2015 nur noch zu sehr wenigen Prüfverfahren, die über einen automatischen statistischen Vermerk hinausgehen. Zuvor war laut BAMF bei der gesetzlich vorgeschriebenen Regelüberprüfung in jedem Einzelfall eine Mitteilung an die zuständige Ausländerbehörde erforderlich.
Seit dem 1. August 2015 kann die Ausländerbehörde die Niederlassungserlaubnis aber viel schneller erteilen. Voraussetzung ist, dass das Bundesamt nicht spätestens binnen drei Jahren und einem Monat nach der Anerkennung mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme vorliegen. Grundlage für diese Regelung ist eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes.
Letztere habe „eine erhebliche Straffung der Regelüberprüfung“ ermöglicht, sodass „nur noch bei einem Teil der anerkannten Flüchtlinge eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Anerkennungsgründen und deren möglichen Entfall erforderlich“ sei, teilte das BAMF mit. Lediglich diese Fälle würden dann noch statistisch erfasst. Insgesamt habe es 2016 „2207 Prüffälle“ gegeben.
Darin sind nicht nur Entscheidungen zum Flüchtlingsschutz, sondern auch zum subsidiären- und Abschiebeschutz enthalten. Laut der Asylgeschäftsstatistik des BAMF gingen die meisten Entscheidungen – nämlich 1812 – zugunsten des Schutzberechtigten aus. Nur 395 Mal wurde der Schutzstatus entzogen – darunter die 240 Fälle, in denen die Betroffenen den vollen Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention inklusive Asyl verloren. Bei den übrigen Fällen handelt es sich um den Entzug des Subsidiär- und Abschiebeschutzes.
Wann entfällt der Grund für Flüchtlingsschutz?
Wegen der besonders vielen Schutzberechtigten in Deutschland ist es von Bedeutung, dass der volle Flüchtlingsschutz zwar auf drei Jahre befristet gewährt wird – aber rechtlich auch innerhalb dieser Frist entzogen werden kann, wenn die Grundlage dafür nicht mehr besteht. Dies ist beispielsweise bei manchen Irakern der Fall, weil der Großteil ihres Heimatlandes inzwischen von der Herrschaft islamistischer Terrormilizen wie dem IS befreit wurde.
Deswegen fragte die „Welt“ das BAMF, ob unter den insgesamt wenigen Widerrufen relativ viele innerhalb der Dreijahresfristen vorkommen. Darauf antwortete die Behörde: „Der deutlich überwiegende Teil von Widerrufen betrifft Personen, bei denen nach Ablauf von mehreren Jahren individuelle Umstände die Aufrechterhaltung des asylrechtlichen Schutzes nicht mehr rechtfertigen. So kann zum Beispiel der einem unbegleiteten Minderjährigen zuerkannte Schutz nicht per se im Erwachsenenalter aufrechterhalten werden.“
Darüber hinaus weist das BAMF darauf hin, dass zwar der volle Flüchtlingsschutz unverzüglich zu widerrufen sei, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorliegen. Etwa, wenn es Gründe gäbe, die den Flüchtlingsstatus ausschließen – wie staatsgefährdende Straftaten oder „wenn erkannt wird, dass die Anerkennung durch Täuschung – zum Beispiel hinsichtlich der Staatsangehörigkeit – erwirkt wurde.“
Terrorunterstützer haben kein Recht auf Asyl in Europa
Das Bundesamt betont aber: Das bedeute nicht, „dass diesem Personenkreis jeglicher Schutz verwehrt wird“. Vielmehr sei „bei unveränderter Verfolgungsgefahr im Herkunftsland ein Abschiebungsverbot“ zu prüfen. Dies habe dann allerdings zur Folge, dass der „Anspruch auf einen unbefristeten Aufenthaltstitel nach Ablauf von drei Jahren entfällt“. Die Anzahl solcher Fälle dürfte sich laut der Behörde im „niedrigen zweistelligen Bereich bewegen“.
Ein zentraler Unterschied zur Flüchtlingskrise der 90er
Im Zuge der Asylkrise hatte die Bundesregierung die Anforderungen an den Erhalt der Niederlassungserlaubnis deutlich erhöht. Zuvor war dieser Anspruch nach drei Jahren unbedingt – auf Integrationsbemühungen kam es nicht an. Auf Grundlage des Integrationsgesetzes aus dem Frühjahr 2016 bekommen diesen unbefristeten Aufenthaltstitel nur noch solche Flüchtlinge schon nach drei Jahren, die das fortgeschrittene C1-Sprachniveau erreicht haben und selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen.
Und auch nach fünf Jahren ist der Rechtsanspruch auf Niederlassungserlaubnis kein Selbstläufer. Dann müssen zumindest grundlegende Sprachkenntnisse (Niveau A2) und die Sicherung des Lebensunterhalts zu mehr als 50 Prozent nachgewiesen werden. Ausnahmen gelten für Kranke, Alte und abhängige Familienangehörige.
Trotz dieser Gesetzesverschärfung gewährt Deutschland die dauerhafte Niederlassung schneller als die meisten anderen europäische Staaten. Das unbefristete Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge ist weder völker- noch europarechtlich geboten. Es wurde auch beim letzten großen Flüchtlingszuzug vor der aktuellen Krise nicht so großzügig gewährt. Infolge der Jugoslawien-Kriege kamen Anfang der 90er-Jahre Hunderttausende Schutzsuchende nach Deutschland. Doch die Mehrheit verließ die Bundesrepublik wieder, nachdem sich die Lage in der Heimat gebessert hatte.
Anders als heute kamen damals die meisten Flüchtlinge im Rahmen von Aufnahmekontingenten. Deutschland gewährte also den Bürgerkriegsflüchtlingen über ein kollektives Verfahren Schutz und sicherte ihnen keinen individuellen Rechtsanspruch zu. Letzterer muss nämlich über Widerrufverfahren im Einzelfall überprüft und gegebenenfalls widerrufen werden – was aktuell selten geschieht.