Regierungssprecher Steffen Seibert (58, CDU) ist auf der Klausur des CDU/CSU-Fraktionsvorstands wegen seiner Äußerungen zu vermeintlichen „Hetzjagden“ in Chemnitz schwer unter Beschuss geraten.
Der aus Sachsen stammende Unionsfraktionsvize Arnold Vaatz (63) griff Seibert am Donnerstag Nachmittag namentlich und frontal an. Es gehe gar nicht, so Vaatz nach BILD-Informationen aus Teilnehmerkreisen, dass Seibert als Regierungssprecher Vokabeln wie „Hetzjagd“ verwende, ohne sich vorher mit den Tatsachen vertraut gemacht zu haben. Über das Konzert „gegen Rechts“ mit seinen völlig inakzeptablen Hetz-Texten habe er dagegen kein Wort verloren, sagte Vaatz mit Verweis auf eine BILD-Zeitung von Donnerstag, die vor ihm lag. Darin war der Beitrag vom „27 Minuten Hass auf Veranstaltung gegen Hass“ aufgeschlagen. Auch Kanzlerin Merkel habe falsch auf die Ereignisse in Chemnitz reagiert, sagte Vaatz.
Kanzlerin Angela Merkel verteidigte daraufhin ihren Regierungssprecher. Man müsse in der Politik schnell reagieren. Und wenn man sich ansehe, wie AfD-Chef Alexander Gauland (77) zum Umsturz aufrufe, dann seien das Dinge, gegen die man vorgehen müsse. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (48) meldete sich ebenfalls zu Wort. Er habe den Eindruck, es gebe vielfach „eine Empörung über die Empörten“ und nicht über die auslösende Tat für die Empörung.
Es rege ihn endlos auf, „dass da Leute mit Nazis gleichgesetzt werden, die friedlich demonstrieren und dann auch noch mit falschen Schnittbildern in den „Tagesthemen“ in die rechtsextreme Ecke gestellt werden“. Wenn es niemanden aufrege, dass beim Konzert „gegen Rechts“ davon die Rede sei, dass „Bullen eins in die Fresse“ kriegen sollen, dann möge man das Wort „Bullen“ einfach mal durch „Frauen“ oder „Schwule“ ersetzen und sich vorstellen, was dann – völlig zu recht – los wäre. Dobrindt erhielt nach Teilnehmerangaben starken Beifall.
Diskussion um den Begriff „Hetzjagden“
Regierungssprecher Steffen Seibert war sich kurz nach den Ausschreitungen in Chemnitz sicher. Er sagte einen Tag nach den ersten Gewaltausbrüchen nach dem Tod von Daniel H. (35): „Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin.“ Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) widersprach der Aussage am Mittwoch in einer Regierungserklärung im Landtag: „Klar ist: Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome“, stellte er klar und übte damit Kritik auch an einem Teil der Berichterstattung. Und auch an der Darstellung von Steffen Seibert.
Auch die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden hat einem Sprecher zufolge im Zuge der weiteren Auswertung von Videomaterial weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass es Hetzjagden gegeben hat.
Die Kanzlerin wiederum blieb und bleibt bisher bei der Ansicht ihres Sprechers. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch zu den Ereignissen in Chemnitz sagte sie: „Meine Reaktion ist, dass wir dort Bilder gesehen haben, die sehr klar Hass und damit auch Verfolgung von unschuldigen Menschen deutlich gemacht haben. Von denen muss man sich distanzieren, das hat Herr Seibert gemacht, das tue ich, das habe ich auch schon getan, und damit ist alles gesagt.“
Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, bezweifelt, dass es während der rechtsgerichteten Demonstrationen in Chemnitz zu regelrechten Hetzjagden auf Ausländer gekommen ist. Dem Verfassungsschutz lägen „keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben“, sagte Maaßen zu BILD.
FDP-Chef Christian Lindner reagierte mit einem Tweet auf die Aussagen des Verfassungsschutzpräsidenten:
Die Hinweise von #Maaßen zu #Chemnitz muss man ernstnehmen. #Falschinformationen kann es von allen Seiten geben. Ein Präsident des @BfV_Bund muss in so einer sensiblen Sache dann jetzt auch weitere Fakten und Hintergründe nennen. Darauf warten wir. CL
— Christian Lindner (@c_lindner) September 7, 2018
Kritik kam hingegen von der SPD: Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) sagte dem „Deutschlandfunk“, er habe kein Verständnis für diese Äußerungen. „Wir haben Bilder gesehen, wir haben Zeugen gehört. Wir haben gesehen, wie Menschen da den Hitlergruß offen auf der Straße gezeigt haben“. Auch eine Gruppe von Sozialdemokraten sei auf dem Weg zum Bus von rechten Hooligans angegriffen worden.
Das passierte in Chemnitz
Nach der Tötung des Deutschen Daniel H. (35) in Chemnitz vor gut zwei Wochen hatte es dort in den vergangenen Tagen mehrfach Kundgebungen rechter Gruppen gegeben, auch die AfD rief zu Demonstrationen auf. Bei Ausschreitungen wurden auch Ausländer und Journalisten angegriffen. Zwei mutmaßlich aus Syrien und dem Irak stammende Männer sitzen wegen des Tötungsdelikts in Untersuchungshaft. Nach einem dritten Tatverdächtigen wird gefahndet.