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Jun 28

Für wie dumm hält Frau Merkel ihr Volk?


Grammatik des Unkonkreten: Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
© Adam Berry/Getty Images

Die Worte der Kanzlerin sind linkisch, hilflos und fahrlässig – der Sprachkritiker Fritz J. Raddatz über die, nun ja, Redekunst der deutschen Regierungschefin Angela Merkel.

Einen Pudding kann man nicht an die Wand nageln; das weiß der Volksmund.

Merkel-Mund indes ruft um Hilfe und geht unter im Bermudadreieck ihres schlaff gewordenen Schwimmgürtel-Vokabulars. Zwar weiß Angela Merkel, dass sie „das Kanzlersein erfassen“ konnte, doch unsereins kann durchaus nicht erfassen, was sie mit „Erwartungsmanagement“ meint. Sollen Erwartungen erfüllt – oder etwa „gemanagt“, also manipuliert werden?

Nicht jeder Politiker kann über das sprachliche Vermögen eines Carlo Schmid verfügen – lang, lang ist’s her, und längst vergessen ist er. Aber ist es denn zu viel verlangt, wenn man erwartet, die Kanzlerin möge sich so ausdrücken, dass man sie erstens versteht und man sich zweitens nicht schämen muss? „Ich bin platt“, sagte sie kürzlich angesichts des wahrhaftigen Traumergebnisses von 97,94 Prozent bei ihrer Wiederwahl zur Parteichefin. Wie platt und wie kaltschnäuzig, ohne jegliche innere Regung.

Die „Jenachdemerin“, wie die „Zeit“ sie nennt, oder die „Zauder-Künstlerin“, wie in der „Faz“ formuliert, hat evident große Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. „Nachhaltigkeit“ und „zielführend“ sind ihre Lieblingsvokabeln; doch nachhaltig ist inzwischen jede Strumpfhose, und zielführend sind (angeblich) Hybridautos.

Auch „alternativlos“ mag sie gern. Doch was ist das? Gibt es nicht zu allem im Leben eine Alternative? Zur Ehe, zum kirchlichen Eid, zum Fasten, zu Amazon und ja, pardon, auch zu dieser Bundesregierung?

Frau Merkel arbeitet mit einer Begrifflichkeit, die bar aller konkreten Begriffe ist. „Wir werden als Bundesrepublik keine Waffen [nach Syrien] liefern.“ Als was denn dann? Ein apartes „als“… Wir werden es „als Exportnation“ also doch tun? Wir werden es „als“ einer der größten Waffenhersteller der Welt also doch tun? Frau Merkel scheint regelrecht vernarrt in ihr glitschiges „als“: „Wir als Deutsche haben viele Informationen bekommen“, weiß sie zur NSA-Katastrophe beizutragen. Und bügelt vorhandene Tatsachen mit einem „undenkbar“ weg, dem sie im Jargon der Sprüche-Jugend hinzufügt: „Abhören von Freunden, das geht gar nicht.“ Aber es ging doch?

Diese erfolgreiche Politikerin hat sich eine ganz eigene Grammatik des Unkonkreten zusammengebaut. Prompt rutscht sie aus, will sie dann doch einmal konkret werden: „Sehr schweren Herzens habe ich den Rücktritt [von Annette Schavan] angenommen.“ Nun kann man füglich keinen Rücktritt annehmen, sondern nur ein Rücktrittsgesuch. Das Banalitätsgeschaukel ihrer Leerformen ist reif für die „heute-show“. So wollte sie zwar „ergebnisoffene Verhandlungen“ mit der Türkei; doch nein: Den Beitritt der Türkei zur EU wolle sie nicht. Kein Wunder, dass der verstorbene Sozialdemokrat Peter Struck sie recht vertrackt lobte: Sie sei ein guter Pilot, doch wüssten die Passagiere nicht, wo sie schließlich landeten.

Rhetorik aus dem Lego-Baukasten

Der großartige Lyriker Kurt Drawert hat einmal eine sehr prägnante Definition gefunden: „Sprechen heißt, Kontakte herzustellen, Beziehungen einzugehen und damit verbunden auch, eine Anschauung von Welt zu vertreten, wie diskret vorgetragen, wie vermittelt und unauffällig immer.“ Bedenkt man diesen Satz ernsthaft und wendet man ihn auf die Kanzlerin an, dann fällt auf: Diese Politikerin „spricht“ überhaupt nicht. Sie will weder Kontakt noch gar Beziehungen. Weder mit ihren Interviewpartnern, geschweige denn mit unsereins, dem Stimmvieh.

Ihre Rhetorik ist die der Verkündigung, und die Details der dazu verwendeten Behauptungen sind Fertigware, vorgefertigte Teile aus dem Lego-Baukasten. Plattenbauten. Das ist keine Sprache, das sind Ansprachen, Ansagen. Zur Frage nach der brutalen Behandlung oft friedfertiger Dissidenten durch die chinesischen Behörden kommt im Trotzköpfchenton à la „Lassen Sie mich damit in Ruhe“ ein ungeduldiges „Wir sprechen bei jedem Besuch über den Umgang mit Dissidenten, sind aber dort unterschiedlicher Meinung“.

Nun erwartet ja niemand, dass Frau Merkel wie eine Mischung aus Mutter Teresa und Freiheitsstatue sich auf dem Platz des Himmlischen Friedens aufpflanzt und dort das „Massaker“-Gedicht von Liao Yiwu ins Megafon deklamiert. Doch die hier zitierten Sätze hat sie schließlich nicht mit Diplomatenkreide im Mund in Peking geäußert – sondern zu uns, einer deutschen Leserschaft. Ihr stilistischer Gestus ist eindeutig doppeldeutig, hat etwas von Abspeisen und Besserwisserei.

Aber weil sie tatsächlich manches besser weiß und ganz gewiss besser macht als etwa der nun doch küssende Pleitier Hollande oder die sich fast beneidenswert hurtig in Lügengewebe einkleidenden griechischen Politiker – deswegen ist die Frau beliebt. Wobei ich gleich ein mea culpa einfügen möchte: Auch ich finde Angela Merkel nicht unsympathisch, ich mag ihre unprätentiöse Art, ihr Interesse für Kunst und Künstler, das sie nie an die große Wahlkampfglocke hängt. Nur ist „Beliebtheit“ für die Popularitätskurve von Politikern zwar wichtig, aber im Grunde keine politische Kategorie! Wenn die Deutschen ihre Politiker „lieben“, ist allemal Vorsicht geboten.

Wie kann man ein Volk „fahren“?

Gut möglich, dass linkische Sprache – aber auch linkische Sprachlosigkeit! – für das Bewundertwerden „hilfreich“ ist. Aber es geht auch anders. Sir Winston Churchill, bedeutender Staatsmann in weitaus schwierigeren Zeiten als den unsrigen, erhielt 1953 laut Begründung der Schwedischen Akademie „für seine Meisterschaft in der historischen und biografischen Darstellung sowie für die glänzende Redekunst“ immerhin den Nobelpreis für Literatur. Allerdings hatten die Briten ihn im Sommer 1945 als Premierminister schon wieder abgewählt.

Die linkisch-hilflosen Dicta von Angela Merkel sind allgegenwärtig: „Damit es in Deutschland besser geht, werden die Weichen aufwärts gestellt“; „Mir ist der Atem gestockt, und zwar in zwei Richtungen“; „Wir lassen nicht zu, dass Deutschland an die Wand gefahren wird“. Wobei auffällig ist, dass die Naturwissenschaftlerin offensichtlich Schwierigkeiten mit der Materie hat: Wie macht man das: die Weichen aufwärts stellen? Mal wird Deutschland gegen – nicht an – die Wand gefahren; wobei unklar bleibt, wie ein Land, eine Nation, ein Volk „gefahren werden“ kann, und an welche Wand?

Manchmal kann derlei auch amüsant sein. Bei der Eröffnung des Paul-Wunderlich- Hauses in Eberswalde am 1. Juli 2007 ging sie mit dem Künstler durch die Räume und sagte schließlich – wohl nicht enthusiasmiert von seiner leicht anzüglichen, manieristischen Kunst: „Mir gefallen vor allem die kleinen Formate.“ Des stets Florett tüchtigen Malers ironische Replik „Das verstehe ich sehr gut“ verstand sie offenkundig nicht.

Was sie zur Finanzkrise sagt, das klingt nach vorgefertigten Stereotypen, die in den Synapsen des Kanzlerinnenhirns sitzen und auf Knopfdruck oder Stichwort abgenudelt werden – aufgezogen wie die Puppe Olympia in „Hoffmanns Erzählungen“, egal ob’s passt. Ihre Sprachwippe ist von fast bewundernswerter Kindlichkeit, und der Zeitschrift „Brigitte“ vertraute die Kanzlerin an, dass sie im Familien- und Freundeskreis froh sei, wenn nicht über Politik geredet werde, aber auch nicht wolle, dass nicht über Politik geredet werde, nur weil sie da sei.

Deutlichkeit ist Merkels Sache nicht. Viele ihrer Sätze gleichen ausgepulten Erbsenschalen, und die fallen raschelnd, weil fruchtlos und leer, auf den Boden: „Seht her, ich tue mich schwer, weil ich es mir nicht leicht mache.“ Noch in ihrer Regierungserklärung vom 21. Februar 2013 wimmelt es von schiefen Bildern: „Ziele, die uns geleitet haben“; banalen Hohlformen: „inflationsbereinigt gibt es keinen Aufwuchs“; und leerem Sprachstroh: „Die Obergrenze des Haushalts jetzt ist auch eine Frage der Gerechtigkeit“. Politisches Vorabendprogramm.

Verhungertes Kaninchen aus dem Zylinder

Gut zwei Monate zuvor, soeben war der Friedensnobelpreis an die Europäische Union verliehen worden, konnte man zusehen, wie die deutsche Kanzlerin ein halb verhungertes Kaninchen aus dem Zylinder hervorzerrte. Schon die Eingangsformulierung von „unserer politischen Generation“ lässt ja den Zirkusbesucher fragen: Wer mag das sein? Welche Generation ist das? Wer wäre dann die „unpolitische Generation“? Und welche Altersklassen umfasst die „verpflichtete“ Generation? Das Kaninchen zappelt bedenklich. Frau Dr. Merkel im Deutschen Bundestag am 13. Dezember 2012: „In diesem Sinne verpflichtet der Nobelpreis unsere politische Generation dazu, gemeinsam dafür zu sorgen, dass Europa sein großes Friedens- und Wohlstandsversprechen auch in Zukunft halten kann.“

Genau genommen ist das eine Ungeheuerlichkeit. Da wird mit einem gigantischen Phrasen-Radiergummi die soziale Gerechtigkeit schlichtweg weggewischt. 55,9 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Spanien; Griechenland und Portugal wie Travens „Totenschiff“ am Untergang entlangsegelnd. Insgesamt 5,5 Millionen Arbeitslose unter 25 Jahren in der EU. Die Realität wird einfach ausgeblendet, es wird über sie hinwegbegöscht – womöglich in der Hoffnung auf Self-fulfilling prophecies? Für wie dumm hält die Kanzlerin ihr Volk?

Die arme Sprache unserer ja gewiss und trotz allem erfolgreichen Regierungschefin ist nicht lässig; sie ist fahrlässig. Dieses Polit-Abrakadabra macht Menschen misstrauisch gegen das Gesagte – selbst, wenn die Inhalte manchmal stimmen. Siegfried Jacobsohn, der höchst stilempfindliche Herausgeber der legendären „Weltbühne“, war gelegentlich irritiert vom Geschwurbel seines prominenten Mitarbeiters Kurt Tucholsky. Der antwortete auf dessen Vorhaltungen über allzu Gedrechseltes mit „Ich wollte nur sagen …“ Darauf kam ein bündiges „Dann sag’s.“

Quelle: Stern 2013

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