Ein Vollverschleierungsverbot an Schulen und Unis, wie von CDU, FDP und AfD gefordert, wird es in Schleswig-Holstein absehbar nicht geben. Die Grünen legten sich am Mittwoch im Landtag quer. Lediglich eine Expertenanhörung zum Thema ist demnächst geplant.
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Für ein gesetzliches Verbot der Vollverschleierung an Schulen und Unis im Land hätte es eine rechnerische Mehrheit gegeben. CDU und FDP fordern ein solches Verbot. Die AfD hat bereits einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorgelegt. Auch weite Teile der SPD sprechen sich gegen Gesichtsschleier an Hochschulen aus. Die Grünen aber brachten die Pläne in der Jamaika-Koalition zu Fall. Man sei gegen allzu viele Verbote und wolle eine freiheitlich-liberale Gesellschaft erhalten, sagte Fraktionschefin Eka von Kalben zur Begründung.
Der Hilferuf der Uni Kiel verhallt im Landtag
Die Uni Kiel hatte einen Hilferuf ans Parlament gesendet. Katharina K., eine deutsche Konvertitin mit Kontakten in die Salafistenszene, war im Nikab zur Vorlesung erschienen, wurde von der Uni daraufhin vom Studium ausgeschlossen. Jetzt will sie klagen. Angesichts dieser Lage appellierte CDU-Bildungsministerin Karin Prien dringend ans Parlament, eine gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen. Anders lasse sich ein solcher staatlicher Eingriff in ein Grundrecht – die Trägerin beruft sich auf die Religionsfreiheit – absehbar nicht aufrechterhalten.
Auch CDU-Ministerpräsident Daniel Günther hatte sich sofort dafür stark gemacht. Die Politik müsse sich fragen, ob man, ähnlich wie bei der Ablehnung des Antisemitismus, „eine gesellschaftliche Norm definieren“ wolle, dass man Nikab und Burka als Symbol von Salafismus, Unfreiheit und der Unterdrückung der Frau in Schulen und Hochschulen nicht dulde, sagte Prien am Mittwoch im Landtag.
Ihr Appell verhallte. Die Grünen legten sich gegen ein Verschleierungsverbot fest. Es gebe auch Frauen, die den Nikab freiwillig tragen würden, sagt Eka von Kalben. Die Politik habe keine theologischen Auslegungen vorzunehmen, argumentierte ihr Grünen-Fraktionskollege Lasse Petersdotter. Man dürfe zudem gerade unterdrückte muslimische Frauen nicht von Bildung ausschließen, sollte ihnen an den Unis lieber Hilfsangebote machen. Und es gäbe doch nur den einen Fall einer Studentin im Land. Die schnelle Reaktion der Bildungsministerin und des Ministerpräsidenten darauf stellte er als unüberlegt und unsouverän dar. „Verbieten, wegdrücken, ausgrenzen und wegsehen löst keine Probleme“, sagte Petersdotter. „Unsere Strategie gegen Salafismus muss sinnvoller sein als einfache Kleiderverbote.“ Ein „Zutrittsverbot zu staatlichen Bildungseinrichtungen“ habe auch keine „deradikalisierende Wirkung“.
Erstarrte Gesichter nach dem Grünen-Nein bei CDU und FDP
SPD-Oppositionsführer Ralf Stegner wollte das nicht so stehen lassen. Es sei sehr wohl Aufgabe von Politik, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen – und auch zu prüfen, ob ein Vollschleier wirklich ein religiöses oder nicht viel mehr ein politisches Symbol sei. Auch in den Reihen von CDU und FDP, bei deren Ministerinnen und Ministern und Regierungschef Daniel Günther erstarrten angesichts der eindeutigen Positionierung der Grünen-Fraktion die Gesichter. Der CDU-Bildungspolitiker Tobias Loose betonte, es drohten sehr wohl weitere Fälle von Vollverschleierung an Schulen im Land. Einen ganz konkreten gebe es bereits. In Niedersachsen habe wegen eines Falls an der Uni Osnabrück die rot-grüne Regierung ein Verbot erlassen.
CDU und FDP fordern das Verschleierungsverbot
„Wir müssen Gesicht zeigen und Grenzen ziehen“, betonte auch FDP-Fraktionschef Christopher Vogt. Uni und Schule seien Orte der Aufklärung. Das Tragen von Burka oder Nikab sei hingegen kein Ausdruck von Weltoffenheit, sondern vor allem ein Symbol für die Unterdrückung von Frauen. „Wir wollen bei der Gleichberechtigung der Geschlechter aber Fort- und keine Rückschritte“, sagte Vogt. Bei einer Vollverschleierung ende seine Liberalität. Die FDP will Hochschulen ein Vollverschleierungsverbot daher im Gesetz freistellen.
Tatsächlich kommen Union und Liberale wegen des Streits bei ihren Mitgliedern erheblich unter Druck. Von wütenden Mails an die Parteioberen ist die Rede. Nur zu einem Kompromiss waren die Grünen am Mittwoch bereit: Es soll jetzt im Landtag zunächst einmal eine „große Anhörung“ von Experten zum Thema geben.
AfD: Jamaika lässt die Unis für Koalitionsfrieden im Stich
Der AfD-Abgeordnete Frank Brodehl kritisierte die Jamaika-Koalition für dieses „Aussitzen“ scharf. „CDU und FDP lassen die Uni im Stich. Und das allein, um den Koalitionsfrieden zu bewahren.“ Die Anhörung werde keine neuen Erkenntnisse bringen, alle Fakten lägen auf dem Tisch. In Bayern etwa sei ein solches Gesetz, wie es die AfD vorschlage, längst in Kraft. Die Anhörung nach dem Motto „Wer nicht mehr anders weiterweiß, der bildet einen Arbeitskreis“ solle also nur dazu dienen, eine Entscheidung zum Thema Gesichtsverschleierung hinauszuzögern. „Das mag im Interesse des Fortbestandes von Jamaika sein, im Interesse der Hochschulen unseres Landes ist es das definitiv nicht“, sagte Frank Brodehl. Der Lehr- und Prüfungsbetrieb dort vertrage keine Verschleierung der Studenten. Und deshalb müsse der Landtag ihnen auch die Möglichkeit geben, sie rechtssicher zu verbieten.
Kommentar
Toleranz und Religionsfreiheit sind hohe Ideale unserer Gesellschaft. Und es ist gut, dass die Grünen diese nimmermüde verteidigen. Im Falle der Kieler Studentin, die vollverschleiert zur Lehrveranstaltung erschienen ist, hilft das sture Festhalten an diesen Prinzipien aber nicht weiter.
Eine Vollverschleierung ist etwas anderes als ein Kruzifix oder ein Kopftuch. Sie ist ein Symbol für die Unterdrückung der Frau. Die Studentin wird von Salafisten unterstützt. Wir reden hier nicht über einen harmlosen Betverein, sondern über religiöse Hardliner. Mit unserer Demokratie, unserer Freiheit und Gleichberechtigung können sie nicht viel anfangen. Und bei dieser Gemengelage zaudern die Grünen? Die Partei sollte sich gründlich überlegen, wen sie da gewähren lässt.
Man stelle sich vor, ein Neonazi-Student würde in einschlägiger Kleidung in der Hochschule erscheinen und deswegen weggeschickt werden – die Grünen wären die ersten, die die Uni-Leitung dafür loben würden. Aber bei islamistischem Fundamentalismus gelten andere Regeln, weil dort das Siegel „Religion“ draufsteht? Diese Logik sollen die Grünen einem doch bitte mal schlüssig erklären. Die Partei hat die Kieler Uni-Leitung im Regen stehen lassen.
Helge von Schwartz
Wolfram Hammer
Quelle: ln