Wegen der Entführung von Prostituieren aus Berlin stehen zwei Frauen und drei Männer vor dem Landgericht.
Eine Serie von Entführungen Prostituierter – das gab es auf Berlins Straßenstrich so noch nicht. Bis an einem Novemberabend 2017 ein Auto mit Bielefelder Kennzeichen in der Genthiner Straße hält. Darin zwei Männer und eine Frau. Sie sprechen eine junge Ungarin an, locken sie für einen angeblichen Freier-Termin in ihr Auto und düsen mit ihr ab nach Bielefeld (NRW). Sie zwingen sie, dort für sie zu arbeiten…
Ein Schicksal, dass nach ihr noch mehrere Frauen teilen mussten. So jedenfalls steht es in der Anklage gegen vier Bulgaren und einen Kosovaren in einem Prozess um erpresserischen Menschenraub, Freiheitsberaubung, Zwangsprostitution, Zuhälterei, Vergewaltigung, der am Freitag vor dem Landgericht begann.
Zwei Paare und ein Sohn stehen vor Gericht
Die mutmaßlichen Haupttäter: Nadka A. (26) und Silvestar Z. (22). Sie sollen damals in Bielefeld ein Paar gewesen sein und den Entführungsplan entworfen haben. Während sie im Gerichtssaal angestrengt und nervös wirkt, grinst er („Ich habe keinen Beruf, habe nur Fußball gespielt“) übers ganze Gesicht.
Derweil sich vorn der Richter bemüht, Licht in die Familienverhältnisse der drei übrigen Angeklagten zu bringen und nach zwanzig Minuten Hin und Her notieren kann: Der Kosovare Enis J. (35) und Tsvetanka J. (44) sind auch ein Paar. Und der Angeklagte neben ihr ist ihr Sohn Sevdim I. (25). Beide gehören zur türkischen Minderheit in Bulgarien. So müssen drei Dolmetscher gleichzeitig in drei Sprachen simultan übersetzen – ein ziemliches Stimmengewirr in Saal 500, das die Staatsanwältin bei Verlesung der Anklage durchdringen muss.
Danach musste die entführte Ungarin Katia M.* zwei Monate lang für einen unbekannt gebliebenen Zuhälter in Bielefeld anschaffen („Du kannst gehen, wenn du das Benzingeld für die Fahrt hierher bezahlt hast.“) Z. fuhr sie zum dortigen Straßenstrich, seine Ehefrau diktierte ihr die Preise, kümmerte sich um Freier. Beschwerten sich welche über ihre Dienste, bekam sie Tritte und Schläge von beiden.
Am 30. Januar 2018 fuhren das Paar und zwei der Mitangeklagten erneut nach Berlin. Diesmal lockten sie gleich zwei Ungarinnen (eine erst 18) von der Kurfürstenstraße ins Auto. Silvestar Z. versprach ihnen, sie nach einer Woche zurückzufahren. Bedingung: Sie machen alles, was verlangt wird und gehen nicht zur Polizei.
Für 40 Euro pro Freier angeschafft
Während die 18-Jährige vier Tage lang eingesperrt und dann auf dem Bielefelder Strich für 40 Euro pro Freier anschaffen musste, wurde die Freundin vergewaltigt und dann vom Angeklagten J. nach Frankreich gefahren, um das gleiche auf einer Autobahnzufahrt nahe Belfort zu tun. Und immer wurde ihnen gedroht: „Arbeite für mich oder ich verkaufe dich weiter.“
Seine Ehefrau bewachte die Frauen 24 Stunden täglich. Am 23. Februar 2018 gelang der jungen Frau dennoch die Flucht.
Noch einmal waren Nadka A. und Silvestar Z. nach Berlin gefahren. Doch diesmal ging die Sache schief. Kaum in Bielefeld angekommen, wurden die beiden Opfer von Freunden aus der Wohnung befreit.
Die Angeklagten schweigen
Silvestar Z. versuchte es noch einmal – diesmal in Münster auf dem Straßenstrich „Streele“. Und sie änderten ihre Taktik, um an Geld zu kommen: Sie nahmen das Opfer als Geisel und forderten von Verwandten 1500 Euro Lösegeld. Doch da war ihnen die Polizei längst auf der Spur. Noch am selben Tag wurde das Paar festgenommen und nach und nach auch die Mitangeklagten.
Die Angeklagten schwiegen Freitag zu diesen Vorwürfen. Nur ein Anwalt erklärte sie für „unzutreffend“. Fortsetzung: Montag (27. August). Geladen ist das erste der Opfer. Vor der Polizei hatten alle Frauen ausgesagt.
*Namen geändert