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Jul 24

In Hessen droht der SPD die Demütigung – Landtagswahl im Herbst


Im Herbst wählen die Hessen. Von einem Wahlkampf ist wenig zu spüren. Vielleicht weil gerade Sommerferien sind und die Bürger an Main, Fulda und Eder sogar erst nach den Herbstschulferien wählen gehen. Quelle: WELT/ Laura Fritsch

In drei Monaten wählen die Hessen. Von Wahlkampf ist bei Schwarz-Grün wenig zu spüren – anders als bei der SPD. Spitzenkandidat Schäfer-Gümbel steht unter Druck. Am Ende könnte er sich zu einem schmerzvollen Schritt gezwungen

Viel bekommen die Deutschen derzeit von der Nervosität der CSU mit: Am 14. Oktober ist Landtagswahl – längst tobt in Bayern der Wahlkampf, und die schlechten Umfragewerte der Christsozialen sind bundesweit Thema.

Dass zwei Wochen später die Bürger eines weiteren Bundeslandes über die Zusammensetzung ihres Parlamentes entscheiden werden, ist hingegen weniger bekannt: Am 28. Oktober wählt Hessen seinen neuen Landtag. Von einem Wahlkampf ist wenig zu spüren. Vielleicht weil gerade Sommerferien sind und die Bürger an Main, Fulda und Eder sogar erst nach den Herbstschulferien wählen gehen.

Die schwarz-grüne Koalition in Wiesbaden jedenfalls macht wenig von sich reden, setzt auf geräuschloses Regieren. Gewiss, das 2013 geschlossene Bündnis hat in den vergangenen Jahren wenig geglänzt – allerdings hat es immerhin gehalten. Das ist eine Premiere im deutschen Föderalismus, wo Schwarz-Grün (Hamburg) oder Jamaika (Saarland) frühzeitig krachend auseinanderbrachen. Geht es nach Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), so würde er mit den Grünen, angeführt von Vizeregierungschef und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, als Juniorpartner nach der Wahl weiter regieren.

Der Grüne Tarek Al-Wazir (l.) ist Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung sowie Vize von Regierungschef Bouffier
Der Grüne Tarek Al-Wazir (l.) ist Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung sowie Vize von Regierungschef Bouffier

Quelle: pa/dpa/Fredrik von Erichsen

Die Umfragen aber sprechen eine andere Sprache, zumal die – im hessischen Taunus gegründete – AfD mit einem respektablen Ergebnis erstmals in den Landtag von Wiesbaden einziehen dürfte. Nach der jüngsten Erhebung, erstellt von Infratest Dimap für den Hessischen Rundfunk, reicht es weder zu Schwarz-Grün noch zu einer von der SPD geführten Ampel mit Grünen und FDP. Auch Rot-Rot-Grün hat keine Mehrheit. Realistischstes Szenario, Stand jetzt: Ein Sechs-Fraktionen-Landtag inklusive AfD, FDP und Linkspartei.

Die CDU rangiert in der Umfrage bei 31 Prozent (Landtagswahl 2013: 38,3 Prozent), die Sozialdemokraten bei 22 Prozent (30,7 Prozent). Die AfD wird bei 15 Prozent taxiert, bei der letzten Wahl hatte sie mit 4,1 Prozent die Sperrklausel verfehlt. Die Grünen liegen bei 14 Prozent (11,1 Prozent), die FDP und die Linke je bei sieben Prozent (fünf beziehungsweise 5,2 Prozent).

Quelle: Infografik WELT

Das alles deutet darauf hin, dass in Wiesbaden eine große Koalition gebildet werden könnte. Der schwarz-rote Block im Bundesrat – bisher ohne Mehrheit – könnte damit an Einfluss gewinnen. Für die Hessen-SPD wäre ein solch ungeliebtes Bündnis unter Führung der CDU aber eine echte Demütigung. Ihr Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel tritt bereits das dritte Mal an. Wacker zieht er durch das Land. Er braucht einen Erfolg – leidet aber unter der bundesweiten Schwächephase seiner Partei.

Der vorige Dienstag, Limburg an der Lahn, Friedrich-Ebert-Straße 22: Schäfer-Gümbel trifft Mieter vor ihrem 1974 gebauten Haus, das die Landesregierung an einen privaten Immobilienfonds verkauft hat. „Schauen Sie mal“, sagt eine Bewohnerin, und deutet auf den Hauseingang, dessen Beton kräftig bröckelt, „hier wird seit einem Jahr nichts getan.“ Der nächste Stolper-Unfall scheint in der Tat eine Frage der Zeit zu sein. „Wir haben hier keine Wasseruhr“, sagt eine ältere Dame, „die Nebenkosten für Wasser und Müll werden auf die Quadratmeter umgerechnet.“ Gut für Familien, schlecht für Alleinstehende.

Direkter Bürgerkontakt im Wahlkampf: Schäfer-Gümbel (r.) in Limburg
Direkter Bürgerkontakt im Wahlkampf: Schäfer-Gümbel (r.) in Limburg

Quelle: Daniel Friedrich Sturm

Schäfer-Gümbel hört sich die Klagen an, verspricht, sich brieflich an den Eigentümer zu wenden. „Uns antworten die nicht“, sagt die ältere Dame. „Wir nehmen mal die Herrschaften unter Beobachtung“, kontert Schäfer-Gümbel, „Sie müssen mir nur Ihre Nebenkostenabrechnung zusenden.“

Die SPD setzt während des Landtagswahlkampfes auf das Thema Wohnen. Längst könnten Bezieher mittlerer Einkommen ihre Mieten nicht mehr zahlen, sagt Schäfer-Gümbel, das gelte für die Banken-Metropole Frankfurt allemal, aber auch für die Peripherie. „Wir werden nicht jeden Tag ein neues Thema setzen.“ Hessen brauchte „lange Linien“ – bei Bildung, bezahlbarem Wohnen, Mobilität und dem Streben nach gleichen Lebensverhältnissen in Stadt und Land.

Die zunehmende Kluft zwischen Stadt und Land, das Gefühl vieler Menschen, in der Fläche „abgehängt“ zu sein, spricht Schäfer-Gümbel an. So auch am Dienstagmittag in Runkel, Landkreis Limburg-Weilburg, 9450 Einwohner, verteilt auf neun Stadtteile. „Grüß dich“, ruft Schäfer-Gümbel, Bürgermeister Friedhelm Bender (SPD) zu, während der aus seinem Backsteinrathaus tritt.

Vergesst die Menschen auf dem Lande nicht“, mahnt Bender, seit elf Jahren Bürgermeister, davor 36 Jahre lang Polizist. Ausführlich stellt er seinem Genossen das Projekt der vier Kleinbusse vor, mit denen Kinder, Rentner, Kranke, zu Schule, Arzt und Supermarkt gebracht werden. Sie alle zahlen dafür ein paar Euro, die Gemeinde subventioniert’s.

Er sagt, mit Bouffier verbinde ihn „nicht viel“

Während Schäfer-Gümbel durchs Land tingelt, ist von der Landesregierung wenig zu hören. Sie wolle „nicht auffallen, will am liebsten keinen Wahlkampf machen“, klagt der Landeschef der SPD. Die CDU wolle „im Schlafwagen an der Macht bleiben“. Das könnte ihr, trotz Stimmenverlusten gelingen – und das im einst roten Hessen, in dem die SPD aber seit 1999 in der Opposition dümpelt. Die Sozialdemokraten würden die CDU „in die Auseinandersetzung zwingen“, sagt Schäfer-Gümbel. Er werde das Land nach der Wahl regieren, „und zwar von vorn, mit mir als Ministerpräsidenten“.

Damit rechnen aber selbst Optimisten in der SPD kaum – und das, obwohl Regierungschef Bouffier eine weit blassere Figur abgibt als einst sein Vorgänger Roland Koch (CDU). „Hessen spielt in Berlin keine Rolle, der Ministerpräsident verkauft das Land unter Wert“, kritisiert Schäfer-Gümbel. Kein Land enthalte sich im Bundesrat so oft wie Hessen. „Schwarz-Grün steht für nichts.“

Sollte Schäfer-Gümbel nach der Landtagswahl womöglich Minister in einem Kabinett Bouffier werden? Die beiden Männer kennen sich lange, kandidieren seit 2003 beide im Wahlkreis Gießen II. Bouffier holte den 2013, lag knapp acht Prozentpunkte vor dem Oppositionsführer. Lange habe es zwischen ihnen keine Kommunikation gegeben, sagt Schäfer-Gümbel: „Uns verbindet nicht viel.“

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 habe er, Schäfer-Gümbel, Bouffier angerufen und „ihm gesagt, die SPD werde sich bei diesem Thema nicht mit den Schwächen der Landesregierung profilieren – auch wenn uns das Profil kostet“. Bouffier habe „diese Solidarität gerne mitgenommen und anschließend wacker ignoriert“. Eine vertrauensvolle Basis für ein gemeinsames Regieren sieht anders aus.

Schäfer-Gümbel schließt keine Koalition aus – außer mit der AfD. Doch Rot-Rot-Grün oder Rot-Gelb-Grün sind derzeit mathematisch nicht möglich. Schäfer-Gümbel aber braucht eine Machtperspektive. „Unser Verhältnis zu allen Landtagsparteien ist belastbar, mit den Oppositionskollegen sogar kollegial“, sagt Schäfer-Gümbel, Spitzname TSG, der nach dem Chaos seiner Vorgängerin Andrea Ypsilanti vor zehn Jahren seine Partei wieder geordnet und konsolidiert hat.

Sein größtes Problem aber ist die strukturelle Schwäche der eigenen Partei, der Gegenwind aus Berlin. „Die SPD kann in der großen Koalition gerne noch dynamischer und mit mehr Profil auftreten“, fordert Schäfer-Gümbel im Gespräch mit WELT. Die Bundes-SPD müsse an „ihrer eigenen Erkennbarkeit stärker arbeiten“, sie sei „nicht der Reparaturbetrieb für die Schäden“, die zum Beispiel Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit „seinen Rempeleien“ hinterlasse.

Der Druck, der auf Schäfer-Gümbel lastet, ist gewaltig. Könnte er gar ein viertes Mal als Spitzenmann in Hessen antreten? „Natürlich kann ich ein viertes Mal als Spitzenkandidat antreten“, sagt er – und gibt sich zweckoptimistisch: „Es wäre ja komisch, nach einer Amtszeit als Ministerpräsident nicht noch einmal zu kandidieren.“

Quelle: welt

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