Die inneren Querelen der SPD und der Streit über den Einstieg in eine neue GroKo kommen bei den Wählern nicht gut an. Bei einer Neuwahl würde die Partei zurzeit 33 ihrer 153 Bundestagsmandate verlieren.
Wenn Sozialdemokraten streiten, fehlen zwei Hilfsmittel selten: Papier und Stift. So auch bei den Regionalkonferenzen des Parteivorstandes, bei denen führende Genossen seit Samstag für die Koalition mit der Union werben. Zu den Treffen sind keine Journalisten zugelassen, doch es gibt Fotos. Zu sehen ist darauf zum Beispiel die Fraktionschefin und designierte Parteichefin Andrea Nahles, wie sie am Sonntag mit Genossen zusammensitzt und auf großen Bögen Papier Notizen macht.
Nach dem Treffen zeigte sich Nahles optimistisch, dass die rund 466.000 Genossen beim Mitgliedervotum ihre Zustimmung geben werden. „Die Anerkennung, dass wir gut verhandelt haben, ist spürbar“, sagte Nahles. Vorher hatte es bereits Termine in Hannover und Hamburg gegeben. Unter anderem mit dabei: Der kommissarische Parteichef Olaf Scholz – und natürlich Stift und Zettel. Insgesamt sieben Regionalkonferenzen gibt es, die letzte findet am kommenden Sonntag statt. Das Mitgliedervotum endet am 2. März, zwei Tage später wird das Ergebnis verkündet.
In dieser entscheidenden Phase sorgen neue Umfragen für Unruhe in der Partei: Würde neu gewählt, kämen die Sozialdemokraten nur auf 16 Prozent der Stimmen, ermittelte zuletzt Infratest Dimap am Freitag. Dabei ist man fast dazu geneigt, die Sache einmal anders herum zu betrachten.
Nach dem abermals eruptiven Führungswechsel in der SPD, dem Verzicht von Parteichef Martin Schulz auf das Auswärtige Amt und den von der gesamten Sozialdemokratie aufgeführten Chaostagen würde sie derzeit noch immerhin jeder sechste Bürger wählen.
Doch den wenigsten Genossen dürfte derzeit nach Galgenhumor zumute sein. Als Gerhard Schröder 1998 die Bundestagswahl gewann, kam die SPD noch auf 40,9 Prozent. 20 Jahre später liegt sie in Umfragen bei weniger als der Hälfte. Zwar gab es unter Schulz im Frühjahr 2017 einen beachtlichen Anstieg bis zu 32 Prozent, doch diesem Höhenflug folgte bekanntlich ein abermaliger Absturz. Der Trend kennt seit Jahren nur eine Richtung: abwärts.
Langsam scheint sich bei vielen Sozialdemokraten die Gewissheit durchzusetzen, dass mit den 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2017, dem schlechtesten Ergebnis der Geschichte, die Talsohle noch nicht zwangsläufig erreicht ist. Der Blick in andere europäische Länder gibt einen Hinweis darauf, was die SPD erwarten könnte. Viele Partnerparteien erreichten zuletzt einstellige Wahlergebnisse. Diejenigen, die in der SPD schon länger vor einem ähnlichen Schicksal warnen, gelten nicht mehr als Schwarzseher.
Auf Basis des aktuellen Deutschlandtrends verlöre die SPD 33 ihrer derzeit 153 Mandate im Bundestag, wie sich aus Projektionen der Plattform mandatsrechner.de ermitteln lässt. Dieser Verlust ist umso gravierender, weil der Bundestag dieser Projektion zufolge noch größer wäre als das schon jetzt erheblich aufgeblähte Parlament.
Nutznießer des SPD-Stimmungstiefs wären bei einer baldigen Wahl vor allem Grüne und AfD. Die Grünen bekämen 30 Mandate mehr, die AfD 20 Sitze dazu. Ein Plus von 13 Mandaten verzeichnete die Linke (elf Prozent), während die Liberalen 13 Mandate verlören (neun Prozent). Mit einem zusätzlichen Mandat wäre die Unionsfraktion etwa so groß wie heute.
Krise zeigt sich vor allem im Osten
Noch gravierender fallen die Zahlen aus, bricht man sie auf die Bundesländer herunter. Auf der Basis der aktuellen Umfrage erhielte die AfD in Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen mehr Mandate als die SPD. Dramatisch ist die Lage für die Sozialdemokraten vor allem in Sachsen und Thüringen. Wäre am Sonntag Bundestagswahl, holte die AfD in Sachsen 13 Mandate, die SPD drei. In Thüringen käme die AfD auf sechs Sitze, die SPD auf zwei. Selbst die Grünen schnitten zurzeit bei einer Bundestagswahl in einigen Ländern besser ab als die SPD, so in Baden-Württemberg, Bayern und Berlin.
Wie kann man diese Entwicklung stoppen? Bei der aktuellen Frage, ob die Partei in die GroKo eintreten solle, gibt es zwei Denkschulen: Die Erneuerung der Partei könne nur in der Opposition erfolgen, sagen diejenigen, die einem Bündnis mit der Union ohnehin skeptisch gegenüberstehen. Die andere Seite fürchtet ohne Regierungsbeteiligung den Fall in die Bedeutungslosigkeit. Zu letzterer Gruppe gehört die Führungsebene der Partei, die auch am Wochenende für große Koalition warb. In der Partei gab es schon immer ein gewisses Misstrauen von Teilen der Basis gegenüber der Spitze.