„Bin gleich zu Hause“ und „Ich hab Dich lieb“ tippt die 20-jährige Amanda am 19. Januar 2016 in ihr Handy, während sie auf dem Bahnhof Ernst-Reuter-Platz auf die U-Bahn wartet. Es war das letzte Lebenszeichen, das ihre Mutter von ihr erhielt. Sekunden später stieß ein großer kräftiger Mann die junge Frau vor den einfahrenden Zug – sie war sofort tot.
„Es vergeht kein Tag und keine Stunde, in der ich nicht an sie denke. Der Schmerz ist immer da“, sagt ihre Mutter Hoda K. Der Täter, ein 29-jähriger Iraner, war am Tag zuvor aus der geschlossenen Psychiatrie in Hamburg entlassen worden.
Im Sommer nach der grauenvollen Tat vor drei Jahren hat die gebürtige Schwedin Berlin verlassen und ist mit Amandas jüngerer Schwester Larin zurück nach Schweden gegangen. Die beiden leben in der Nähe von Stockholm. „Ich brauchte einfach Abstand, alles hat mich an Amanda erinnert“, sagt sie. Nach dem Tod ihrer Tochter war sie psychisch am Ende, konnte weder schlafen noch essen. Wegen der posttraumatischen Belastungsstörungen war sie lange krankgeschrieben, obwohl sie gern gearbeitet hätte. „Ich habe es einfach nicht geschafft“, sagt die 43-Jährige. Ihre wirtschaftliche Situation verschlechterte sich zunehmend, dazu kam die Trennung von ihrem Freund, der von der Situation überfordert war.
„Die Familien leiden den Rest ihres Lebens unter der Tat“
Hilfe fand sie bei Roland Weber, einem von zwei Anwälten, die Amandas Familie als Nebenkläger beim Prozess gegen den Täter vertraten. Weber ist ehrenamtlich auch als Opferbeauftragter des Landes Berlin tätig und hat viel Erfahrung im Umgang mit Angehörigen von Verbrechensopfern. „Die Familien leiden den Rest ihres Lebens unter der Tat, selbst wenn sie lange zurückliegt“, hat er beobachtet.
Um zumindest die wirtschaftliche Not zu lindern und Amandas Mutter und Schwester einen Neuanfang zu ermöglichen, hatte sich Weber an Berliner helfen e. V. gewandt. Gemeinsam mit einer Berliner Stiftung konnte den beiden ein monatlicher Zuschuss zum Lebensunterhalt gewährt werden. „Das hat uns so geholfen, wir sind sehr dankbar dafür“, sagt Hoda K. Sie befindet sich weiterhin in therapeutischer Behandlung, arbeitet inzwischen aber in Teilzeit als Deutschlehrerin an einer schwedischen Schule. Tochter Larin ist 16 Jahre alt, hat die Sprache schnell gelernt und sich gut eingelebt.
„Amanda sprach fließend schwedisch“, erinnert sich ihre Mutter. Die 20-Jährige hatte Abitur gemacht und viele Pläne: Sie wollte eine Ausbildung zur Automobilkauffrau machen und vorher noch Urlaub auf Zypern. An dem Abend, als sie getötet wurde, hatte sie sich mit einem neuen Freund getroffen.
Der Täter war immer wieder in der geschlossenen Psychiatrie
Der Täter Hamin E., ein gebürtiger Iraner, war schon mit 14 Jahren straffällig geworden. In der Jugendhaft wurden psychische Auffälligkeiten festgestellt, seitdem befand er sich immer wieder in der geschlossenen Psychiatrie. Bei der Gerichtsverhandlung kam heraus: Am Tag vor der grauenvollen Tat war er „wegen fehlender Behandlungsgrundlage und fehlender Eigen- und Fremdgefährdung“ von den Ärzten eines Hamburger Krankenhauses entlassen worden. Der damals 29-Jährige fuhr mit dem Zug nach Berlin, suchte nach einer Obdachlosen-Unterkunft und traf an jenem 19. Januar 2016 auf dem U-Bahnsteig auf Amanda.
Im Prozess sah der Richter den Täter als nicht schuldfähig an und verfügte die dauerhafte Einweisung in die Psychiatrie. Laut Auskunft der Berliner Generalstaatsanwaltschaft befindet sich Hamin E. im Hamburger Maßregelvollzug. Amandas Mutter wird wütend, als sie davon hört: „Das haben seine Eltern beantragt, damit sie ihn besuchen können. Ich sehe mein Kind niemals wieder, und der bekommt auch noch Sonderrechte. Ich verstehe das nicht!“
Hoda K. versucht, ihr Leben, so gut es geht, weiterzuleben, vor allem für Larin. Nach Berlin kehrt sie nur noch selten zurück, um Amandas Grab zu besuchen: „Da stehe ich dann und fühle, wie die Trauer in mir aufsteigt – und die Wut. Ich fühle mich so machtlos.“