Immer mehr Italiener machen Deutschland für die Misere ihres Landes verantwortlich. Und immer mehr prominente Ökonomen bestärken sie in dieser Überzeugung. Darunter auch der mögliche nächste Finanzminister Paolo Savona.
„Wie kann es sein, dass Italien trotz der darauf folgenden gravierenden Konsequenzen dreimal in seiner Geschichte der Faszination der deutschen Kultur erlag? Das erste Mal 1882, als es mit Deutschland und Österreich-Ungarn den defensiven Dreibund schloss, das zweite Mal 1939, als es den Stahlpakt unterschrieb, das dritte Mal als es der EU beitrat. Wie kann es sein, dass wir aus unseren Fehlern nie lernen?“ Das sind Fragen, die nicht ein italienischer Wutbürger im Internet stellt, sondern der Wirtschaftswissenschaftler Paolo Savona, Wunschkandidat der rechtspopulistischen Lega für das italienische Finanzministerium.
Das Zitat stammt aus Savonas Buch „Wie ein Alptraum, wie ein Traum“, das heute erscheint. Angesichts der Tatsache, dass die Lega gerade dabei ist, mit der Fünf-Sterne-Bewegung eine Regierung zu bilden, wird man das Erscheinungsdatum als eher suboptimal bezeichnen müssen. Es sei denn, man gehört zu jenen, die überall Intrigen wittern. Dann könnte man das Buch als bewusste Unhöflichkeit gegen Staatspräsident Sergio Mattarella verstehen. Dieser tut sich nämlich besonders schwer, Savona an der Spitze des wichtigsten Ministeriums zu akzeptieren. Der Grund: Savona hat als Ökonom zwar durchaus internationales Renommee. Aber er ist ein Euroskeptiker. In einer Regierung zweier Parteien, die die Europäische Union im Grunde ablehnen, könnte das aus Sicht des Präsidenten der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Schließlich enthält das Regierungsprogramm von Lega und Fünf-Sterne-Bewegung genug Vorhaben, die geeignet sind, den Euro zu gefährden.
Das wiederum ist dem Lega-Vorsitzenden Matteo Salvini vermutlich herzlich egal. Dieser ließ die EU – und zur Sicherheit vermutlich auch den designierten Ministerpräsidenten Giuseppe Conte – noch einmal wissen: „Wir werden beweisen, dass Savona keine Gefahr darstellt, denn unser Ziel ist es, Italien wieder auf Vordermann zu bringen. Dass dies denjenigen missfällt, die Italien nur als eine Kolonie Frankreichs oder Deutschlands sehen, ist verständlich.“
Der 81-jährige Savona hat sich in letzter Zeit gern als Mann des „Wandels“ und Gegner des Establishments profiliert, auch wenn er diesem in der Vergangenheit immer wieder gedient hat: der italienischen Zentralbank, dem privaten Bankensektor, der amerikanischen Notenbank. Er war Generalsekretär des italienischen Industrieverbands Confindustria und Industrieminister unter dem überzeugten Europäer Carlo Azeglio Ciampi, um nur an einige seiner Karriereetappen zu erinnern. Und doch: Sollte er Finanzminister werden, dürfte das vor allem in Berlin massives Stirnrunzeln auslösen. Schon einmal hat ein Finanzminister versucht, die Architektur der Eurozone auf den Kopf zu stellen: der Grieche Yanis Varoufakis. Er wurde ausgebremst. Doch Italien ist nicht Griechenland, das Land gehört zur G7 und ist die drittstärkste Volkswirtschaft der Eurozone. Ein italienischer Varoufakis wäre ein anderes Kaliber.
Zwischen der deutschen und der italienischen Politik gibt es einen fundamentalen Dissens: Berlin macht, vereinfacht gesprochen, die Staatsverschuldung Italiens in Höhe von 130 Prozent für die Probleme des Landes verantwortlich – Rom dagegen die Austeritätspolitik, die vielfach als deutsches Diktat gesehen wird.
Denn Savona steht mit seiner Meinung beileibe nicht allein, in den italienischen Medien finden sich immer wieder entsprechende Kommentare. Dahinter steckt wohl auch eine Enttäuschung: Als Deutschland noch der kranke Mann Europas war, hieß es in Italien: „Wenn sich die deutsche Lokomotive wieder in Bewegung setzt, geht es auch mit Italien wieder bergauf.“ Der deutsche Aufschwung kam, doch Italien kämpft bis heute mit seinen strukturellen Problemen.
Auch Savonas um fast 30 Jahre jüngerer Kollege Luca Zingales, der ebenfalls als möglicher Finanzminister gehandelt wird, steht der deutsch-französischen EU-Führung skeptisch gegenüber. Schon vor zwei Jahren plädierte er in seinem Buch „Europa oder nicht“ für einen Umverteilungsmechanismus der Steuereinnahmen in der EU. Sollte dies nicht möglich sein, dann müsse man zu Plan B übergehen: dem Ausstieg aus dem Euro.
Nach Zingales‘ Vorstellungen sollte es nicht Italien sein, das sich von der Gemeinschaftswährung verabschiedet, sondern Deutschland, da angesichts der stärkeren Währung die Deutschen der Ausstieg weniger kosten würde. Dass diese Option einen Haken hat, weiß allerdings auch Zingales: Warum sollten die Deutschen aus der Währungsunion aussteigen? „Die Lage könnte für sie nicht besser sein“, schrieb er. „Sie zahlen für die Rettung Europas nichts. Das Land ist ein sicherer Hort für die Anleihen anderer Staaten, die Zinsen in Deutschland sind niedrig, das treibt den Export an und schafft Arbeitsplätze. Fazit: Deutschland profitiert, Italien verliert.“