Zwei Vizefraktionsvorsitzende der CDU in Sachsen-Anhalt halten Koalitionen mit der AfD nicht für ausgeschlossen, doch die Parteiführung wiegelt ab. Für die Blockadehaltung gibt es gute Gründe, der Preis dafür könnte aber hoch sein.
Bevor die Abweichler ihre Argumente ausführen, sichern sie sich ab: «Nur zur internen Diskussion!» steht über dem Papier, in dem zwei stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU des ostdeutschen Bundeslandes Sachsen-Anhalt eine Kurskorrektur ihrer Partei fordern. Überschrieben ist das Dokument mit dem Begriff «Denkschrift». So will man wohl sicherstellen, dass es nicht als Handlungsanweisung interpretiert wird – obwohl es sich stellenweise genau so liest. Die Wähler von CDU und AfD hätten ähnliche Ziele, heisst es in dem Papier, das von Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer stammt.
Das Dokument hat erneut eine Debatte über den Umgang der Christlichdemokraten mit der AfD ausgelöst. Über die «Mitteldeutsche Zeitung» fanden die Kernthesen des Papiers den Weg in die Öffentlichkeit. Zu Bündnissen mit der AfD sagte Ulrich Thomas dem Blatt: «Wir sollten eine Koalition jedenfalls nicht ausschliessen. Stand jetzt ist sie nicht möglich – wir wissen aber nicht, wie die Lage in zwei oder fünf Jahren ist.» In der AfD gebe es zwar viele radikale Politiker, aber auch liberale Kräfte. Man müsse abwarten, welches Lager sich durchsetze.
Widerspruch aus Berlin
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bekräftigte, es werde keine Kooperation mit der AfD geben. Wie bereits am Bundesparteitag beschlossen, lehne man jede Koalition oder Zusammenarbeit ab. Der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, ist ebenso gegen eine Kooperation mit der AfD wie der CDU-Landeschef Holger Stahlknecht. In den ostdeutschen Ländern Sachsen, Brandenburg und Thüringen finden im Herbst Landtagswahlen statt. Wie bei der Europawahl im Mai könnte die AfD gemäss den Umfragen in einem oder mehreren der Länder erneut stärkste Kraft werden. Wegen des Höhenflugs der Partei dürfte es schwer werden, Koalitionen gegen sie zu bilden.
Auch deshalb stellen Zimmer und Thomas in ihrem Papier die Frage, mit welchen Koalitionspartnern die eigene Politik in Zukunft umgesetzt werden könne. Für alle CDU-Politiker, die ihre Partei als konservative Kraft sehen, ist diese Frage berechtigt. Wegen des Aufschwungs der Grünen ist sie sogar aktueller denn je. Koalitionen mit SPD oder Grünen zwingen die CDU auf Bundes- und Landesebene zu Kompromissen, die manchen Wählern nicht mehr zu vermitteln sind. So gelingt es der CDU beispielsweise kaum, eine strenge Einwanderungspolitik durchzusetzen und so zur AfD abgewanderte Wähler zurückzuholen. Sollte es im Bund zur Koalition mit den derzeit ungewöhnlich starken Grünen kommen, könnte das lädierte konservative Profil der CDU weiter Schaden nehmen.
Zu tolerant gegenüber linken Positionen?
Das Bündnis mit Grünen und SPD in Sachsen-Anhalt sowie die grosse Koalition im Bund schadeten der CDU, schreiben Zimmer und Thomas in ihrer «Denkschrift», die über landespolitische Themen hinausgeht. So bezeichnen sie die Flüchtlingspolitik der EU und der Bundesregierung als gescheitert. Die ungesteuerte Migration habe eine «Zunahme an neuer brutaler Kriminalität» mit sich gebracht. Die Christlichdemokraten seien zu tolerant gegenüber linken Positionen und «multikulturellen Strömungen» gewesen. Bei künftigen Themen müsse man sich an der Stammklientel und den Kernkompetenzen der Partei orientieren.
Vor der Grenzöffnung im Jahr 2015 stand die Union in den Umfragen bei 41 Prozent der Stimmen, heute kommt sie nur noch auf 25 Prozent. Das lässt sich nicht allein mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel erklären. Doch Merkel hat die Partei nach links gerückt und viele Konservative politisch heimatlos gemacht. Somit liegen Zimmer und Thomas mit ihrer Kritik in einigen Punkten richtig, sie begehen jedoch einen unverzeihlichen Fehler: Die beiden wünschen sich eine Debatte darüber, wie Deutschland seinen Wohlstand erhalten kann, und fordern in diesem Zusammenhang, «das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen». Leichter kann man sich als deutscher Politiker kaum angreifbar machen, weil die Kombination von «national» und «sozial» unweigerlich an Adolf Hitler und seine Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei erinnert. Wenn es schlecht läuft, wird diese Eselei in ein paar Wochen das Einzige sein, was vom Vorstoss der Fraktionsvize in Erinnerung bleibt.
«Aus der Falle ausbrechen»
Der Dresdner Politologe Werner Patzelt wertet das Papier als Versuch, «aus jener Falle auszubrechen, in welche die deutsche Linke die CDU gelockt hat». Die Tabuisierung der AfD nütze allen linken Parteien, den Christlichdemokraten schade sie aber, weil sie damit vielerorts auf linke Koalitionspartner angewiesen seien. Solche Zwangsbündnisse stärkten aber die AfD, sagt Patzelt, da ihnen der politische Zusammenhalt fehle. Er sieht eine «faktische rechte Mehrheit» bei den Wählern in Ostdeutschland, die der CDU schwere Niederlagen bescheren werde. Patzelt kennt sich in der Materie aus, weil er sowohl die AfD als auch die CDU beraten hat. Er selbst ist Mitglied der Werteunion, einer konservativen Vereinigung von CDU-Mitgliedern, die parteiintern umstritten ist.
Der Vorstoss der beiden Fraktionsvize schade der CDU mit Sicherheit im Wahlkampf, sagt Patzelt, weil das Manöver den Richtungsstreit der Partei offenlege: «Bei Wahlen aber mag der Bürger nichts weniger als eine Partei, die nicht weiss, wofür sie steht.» Wofür die CDU momentan steht, darüber lässt sich streiten. Klar ist aber, dass sie sich derzeit unmöglich an der Seite der AfD positionieren kann. Falls es dieser jedoch gelingen sollte, sich von ihrem radikalen Teil zu trennen, wären Koalitionen mit der CDU die fast schon logische Konsequenz. Das radikale Lager der AfD scheint allerdings keineswegs in der Defensive zu sein, und bisweilen stellt sich die Frage, ob es sich dabei nur um einen Teil der Partei oder nicht doch um ihren Kern handelt.
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Koalition von CDU und AfD «nicht ausschliessen» – alternativ-report.de
Juni 25, 2019 um 8:09 pm (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
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