Über Monate wurde im politischen Berlin gerungen – um Themen, Macht, Posten. Die Doku „Im Labyrinth der Macht“ zeigt, wie es hinter den Kulissen zuging. Horst Seehofer gewährt erstaunliche Einblicke.
Jamaika-Aus nach wochenlangem Sondieren. Das Ringen der SPD um die Regierungsbeteiligung in einer neuen GroKo. Martin Schulz‘ Rückzug von allen Ämtern. Die Deutschen brauchten nach der Bundestagswahl viel Geduld. Mehr als fünf Monate voller politischer Machtkämpfe, offen ausgetragenem Streit und durchgesteckten Nachrichten vergingen, bis die große Koalition stand. Wie aufgeladen die Stimmung war, zeigt die ARD-Dokumentation „Im Labyrinth der Macht – Protokoll einer Regierungsbildung“, die am Montagabend ausgestrahlt wurde. Vor allem CSU-Parteichef Horst Seehofer gewährte einen tiefen Einblick und redete Klartext. Seine stärksten Aussagen im Überblick:
Seehofer über Gabriels Tabubruch
Horst Seehofer, der zukünftig das Innenministerium leiten wird, kritisierte Sigmar Gabriel (SPD) in aller Deutlichkeit. Der noch amtierende Außenminister habe mit seiner Äußerung über den früheren SPD-Chef Martin Schulz ein Tabu gebrochen. „Seine Tochter zu instrumentalisieren in einer innerparteilichen Auseinandersetzung, ist inakzeptabel. Noch dazu mit der ihr in den Mund gelegten Äußerung“, sagte Seehofer in der TV-Dokumentation. Es sei völlig daneben, ein Kind in die politische Auseinandersetzung einzubeziehen. „Ich glaube, das hat es auch so noch nie gegeben. Dass irgendjemand in der Politik ein Kind in Anspruch nimmt, um einen Politiker herabzusetzen. Das geht nicht!“
Gabriel hatte den Plan von Martin Schulz, selbst Außenminister zu werden, mit einem Zitat seiner fünfjährigen Tochter Marie kommentiert: „Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“ Gabriel entschuldigte sich später bei Schulz für die Aussage.
… über das Krebsübel der deutschen Politik
Auch Christian Lindner bekommt in der Sendung Seehofers Groll zu spüren: Der FDP-Chef habe sich während der gescheiterten Sondierungen für eine Jamaika-Koalition von Union, FDP und Grünen sehr häufig über Indiskretionen aufgeregt und die Grünen verdächtigt, interne Informationen an die Presse weitergegeben zu haben. Seehofer: „Er hat es aber selbst kräftig praktiziert, indem er Unterlagen abfotografiert hat und diese Fotografien dann den Journalisten zugespielt hat. Das ist ein wirkliches Krebsübel der deutschen Politik geworden.“
… über Merkels Reaktion auf das Jamaika-Aus
Regierungschefin Angela Merkel äußert sich in der Dokumentation nicht. Allerdings beschreibt Seehofer den Moment, als die Jamaika-Verhandlungen platzten. Merkel fühlte sich angegriffen wie selten – und vermutete sogar ein Komplott. „Angela Merkel, nachdem das klar war, die war richtig ernst, wie man sie ganz, ganz selten erlebt“, sagt Seehofer. „Das war nicht für die Fernsehkameras, sondern sie war wirklich getroffen. Und sie hat mir dann später unter vier Augen gesagt: ‚Die wollen mich weghaben.‘ Die FDP – die wollen mich weghaben.“
Verlierer und eine ungewisse Zukunft
Gedreht hat die Dokumentation der Filmemacher und Fernsehpreisträger Stephan Lamby. Er holte einige Protagonisten des politischen Berlin der vergangenen Monate vor die Kamera. Außer Horst Seehofer kamen auch Christian Lindner, Katarina Barley, Martin Schulz, Kevin Kühnert, Julia Klöckner, Alexander Dobrindt, Katrin Göring-Eckardt und Alexander Gauland zu Wort.
In den Interviews sticht ein deutlicher Verlierer der langen Regierungsbildung heraus: Martin Schulz. Er stolperte über die Aussage nach der Wahl, er werde nicht in ein Kabinett von Merkel eintreten. Nach dem Scheitern von Jamaika strebte er jedoch einen Ministerposten an. Die geschäftsführende Bundesfamilienministerin Barley (SPD) empfand die massive Kritik aus den eigenen Reihen als unverhältnismäßig. „Das war mit einer persönlichen Aggressivität, Häme und Wut gepaart, in vielen Fällen, das fand ich schon bemerkenswert. Daraus sprach sicherlich viel Enttäuschung, viel Frust. Aber dass er das für sich persönlich als übermäßige Härte empfunden hat, das kann ich sehr gut nachvollziehen“, sagte sie.
Doch nicht nur Schulz, auch die SPD kann als Verlierer betrachtet werden. Am Sonntag, 4. März, verkündete die neue Parteiführung das Ergebnis des Mitgliederentscheids. Sachlich. Ohne einen Hauch von Emotionen. Auch im Saal blieb es still. Es ist das Ende eines erbitterten Kampfes in der Partei, die gespalten aus der Regierungsbildung hervorgeht. Zwei Drittel der Mitglieder wollten die GroKo, ein Drittel nicht. Dazu kommen noch schlechte Umfragewerte. Inzwischen liegen die Sozialdemokraten gleichauf mit der AfD.
Am Ende bringt die Dokumentation das Dilemma auf den Punkt. „Es ist eine Zäsur, und es ist und wird kein Einzelfall bleiben. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass die deutsche Politik sich grundlegend verändert hat“, sagt Dobrindt. Auch Barley bemerkt „eine gewisse Verunsicherung“, dass die Mechanismen nicht mehr so funktionieren, wie wir es gewohnt waren.
Und WELT-Autor Robin Alexander fasst zusammen, dass derzeit ein „epochaler Wandel“ stattfindet. „Manche glauben nur, die Ära Merkel geht vorbei. Andere glauben, die Ära Bundesrepublik geht vorbei“, sagt er. Damit wären feste Volksparteien und sichere Mehrheiten Geschichte. Eine Frage aber lässt die Dokumentation offen: „Was oder wer kommt danach?“