In NRW werden ganze Stadtviertel von Clans beherrscht, Bürger trauen sich dort kaum noch hin. Der Polizei bereiten diese „No-Go-Areas“ Sorgen. Doch Innenminister Jäger bestreitet, dass es sich um rechtsfreie Räume handelt. Offenbar eine Frage der Definition.
Die CDU im Landtag fordert von der Landesregierung härtere Maßnahmen gegen „No-Go-Areas“. Ein Lagebild „Clan-Kriminalität“ soll Brennpunkte für regelmäßige Razzien und mehr Polizeipräsenz identifizieren.
„NRW-Innenminister Ralf Jäger will nicht wahrhaben, dass es in Nordrhein-Westfalen „No-Go-Areas“ oder rechtsfreie Räume gibt, in denen kriminelle Familienclans das staatliche Gewaltmonopol unter sich aufteilen“, sagte CDU-Innenexperte Gregor Golland gestern im Landtag. SPD-Minister Jäger widersprach: „Unsere Polizei geht da hin, wo sie gebraucht wird.“ Streng genommen würden in den USA Gegenden als „No-Go-Areas“ bezeichnet, die die Polizei meide. Das gebe es weder in NRW noch in ganz Deutschland, versicherte Jäger.
Der NRW-Chef der Polizeigewerkschaft GdP, Arnold Plickert, sagte auf Nachfrage unserer Redaktion: „Natürlich gibt es No-Go-Areas in NRW.“ Allerdings definiert er den Begriff anders: „Das sind Angsträume, in denen normale Bürger sich unwohl fühlen.“ Solche Angstbereiche räumt auch Jäger ein.
Eingeschüchterte Anwohner und Geschäftsleute
Laut Plickert achtet die Polizei darauf, Einsätze in diesen Gebieten „möglichst nicht wie sonst mit einem, sondern besser mit zwei oder drei Streifenwagen“ zu fahren. Konkret zählte der Polizist sechs „No-Go-Areas“ in NRW auf. Das sind: das Maghreb-Viertel in Düsseldorf-Oberbilk, der Stadtteil Marxloh in Duisburg, der nördliche Teil von Altenessen in Essen, ein Bereich der Gelsenkirchener Innenstadt rund um die Bochumer Straße, die Dortmunder Nordstadt und die Hochhaussiedlung Kölnberg in Köln. „In diesen Gegenden stehen personell schwach besetzte Polizeistreifen schnell ganzen Gangs von zehn bis 70 Personen gegenüber, die es auf eine Machtprobe ankommen lassen“, so Plickert.
Nach den Erkenntnissen der Polizei streben dort Familienclans danach, Plätze und Straßenzüge zu kontrollieren. Sie versuchen, Anwohner und Geschäftsleute einzuschüchtern. Äußerlich erkennbar ist das Phänomen an einem verstärkten Straßen-Drogenhandel, die Brückenköpfe der kriminellen Strukturen dort sind oft Türsteher oder Shisha-Bars. Die Clans stammen aus dem Libanon, Bulgarien, Rumänien oder bestehen aus Sinti und Roma. „Aber selbstverständlich ist die Polizei auch dort präsent“, sagt Plickert.
Das bestätigt auch Essens Polizeipräsident Frank Richter: „Wir haben Brennpunkte. Da gibt es auch nichts schönzureden“, sagt er. Es existierten Straßenzüge, wo sich manche Bürger nicht mehr sicher fühlen. „Natürlich gibt es Bezirke, wo wir als Polizisten mit zwei statt mit einem Streifenwagen hineinfahren“, so Richter, „aber um es deutlich zu sagen: Es gibt keine Gegenden, in denen sich die Polizei nicht hineintraut – und sie gab es auch nicht!“
Keine eindeutige Definition
Viermal waren „No-Go-Areas“ seit 2015 schon Thema im NRW-Innenausschuss, und jedes Mal wurde über den Begriff gestritten. Eine eindeutige Definition gibt es nicht. Mal werden darunter rechtsfreie Räume verstanden, mal nur Kriminalitätsbrennpunkte, an denen die angestammte Bevölkerung sich selbst tagsüber auf der Straße unsicher fühlt.
In NRW reagiert die Polizei seit anderthalb Jahren mit einem Maßnahmenbündel auf die No-Go-Brennpunkte: In Düsseldorf und Duisburg etwa verstärken Züge aus den Polizei-Hundertschaften inzwischen die örtlichen Kräfte. Generell gilt in den „No-Go-Areas“ des Landes für die Polizei eine Null-Toleranz-Devise: Selbst gegen Bagatelldelikte soll sie rigoros vorgehen. Laut Plickert beginnen die Maßnahmen zu wirken. Ein Antrag der CDU sieht außerdem eine Art Straßenbahn-Sheriffs vor: offene und verdeckte Begleitung von Nahverkehrszügen und Bussen durch Sicherheitspersonal. Den Antrag hat das Plenum gestern zur Beratung an den Innenausschuss verwiesen.