Sie werden nicht nur beschimpft und bedroht: Justizvollzugsbeamte werden auch geschlagen, gebissen und bespuckt. Die Gewalt gegen Beamte im Allgemeinen ist alarmierend. Auch Rettungskräfte, Polizisten und Jobcenter-Mitarbeiter sind Aggressionen ausgesetzt.
Wiesbaden/Frankfurt. Die Gewalt gegen Justizvollzugsbeamte, Polizisten und andere Staatsbedienstete wächst in Hessen und wird immer drastischer. Auch Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Jobcenter-Mitarbeiter sehen sich Aggressionen ausgesetzt. «Die Respektlosigkeiten gegen Vollzugsbeamte nehmen zu. Wir haben darauf bereits reagiert und spezielle Fortbildungen angeboten, mehr Personal eingestellt sowie die Ausstattung verbessert», sagt Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU).
Auch die Zahl der psychisch auffälligen Inhaftierten steigt.
Da könne es schon mal zu «widerwärtigen Attacken» von Gefangenen gegen Justizvollzugsbedienstete kommen, schildert René Brosius, Sprecher im hessischen Justizministerium. «Es gibt Einzelfälle, da finden die Beamten verkotete Hafträume vor oder sie werden mit Urin übergossen, bespuckt und unversehens angegriffen.»
Inwiefern sich das Ausmaß der Übergriffe verändert hat, lässt sich schwer erfassen. Dafür sprechen aber die Zahlen eine deutliche Sprache: Die Zahl der Tätlichkeiten gegen Beamte in Hessens Justizvollzugsanstalten nimmt zu: Von 16 Fällen im Jahr 2014, wuchs die Zahl auf 19 (2015) und 22 im vergangenen Jahr. Im laufenden Jahr sind es den Angaben zufolge auch schon wieder zwölf Fälle.
Der Kriminologe Rudolf Egg erklärt die zunehmenden Übergriffe auf Beamte und Staatsbedienstete mit mangelnder Achtung: «Der Respekt gegenüber dem Staat und seinen Institutionen ist gesunken. Eine zunehmende Zahl von Menschen leistet Widerstand. Die einen protestieren verbal, andere werden handgreiflich und schlagen zu.» Besonders alarmierend sei es, wenn etwa Rettungskräfte attackiert werden: «In Not-Situationen rasten manche Leute aus. Sie sind zum Beispiel nicht einverstanden, wem an einem Unfallort zuerst und auf welche Weise geholfen wird. Aber nachvollziehbar sind diese Angriffe natürlich nicht.» Bei Angriffen mit Waffengewalt spricht der Wiesbadener Kriminalpsychologe von psychisch gestörten Personen.
Mit zum Teil gestörten, vor allem aber gefährlichen Gewaltverbrechern hat es Christian H. in seinem Alltag zu tun. Der 29-Jährige arbeitet in der JVA Frankfurt I. Inhaftiert sind dort Mörder, Terroristen und Mafiosi, wie er sagt. Aus seinem Erleben berichtet er von zunehmend heftigeren Übergriffen auf das Gefängnispersonal: «Die Qualität der Delikte hat zugenommen. Die Respektlosigkeiten steigen.» Er habe es am eigenen Leib erfahren, mit dem Tode bedroht zu werden. «Einschüchterungsversuche – ich versuche locker zu bleiben. Wer hier Angst hat, hat den falschen Beruf ergriffen.»
Doch es bleibt nicht bei Drohungen und übelsten Beschimpfungen gegen ihn und seine Kollegen. Beamte werden von den Gefangenen geschubst, geschlagen und gebissen. Der ein oder andere erleide Prellungen und Platzwunden, sagt der JVA-Bedienstete. «Aber das Widerlichste ist, wenn man angespuckt wird. Das beschäftigt mich länger als ein Faustschlag.»
Die Ursachen: kriminelle Energie, hohes Gewaltpotenzial, psychische Defizite und eine schiefgelaufene Sozialisation, wie H. auflistet.
«Wir haben es nicht mit normalen Menschen zu tun. Das muss man abkönnen.» Um die Beamten zu schützen und auch die Insassen vor sich selbst, gebe es diverse Vorsichtsmaßnahmen: spezielle Sicherheitstüren hinter dem Zelleneingang, Spuckschutz und alle möglichen Fesseln. Doch ein Restrisiko bleibt immer.
Auch das hessische Innenministerium berichtet von einer Zunahme von Tätlichkeiten gegen Polzisten. Hier sind die Fallzahlen noch viel höher als in der Justiz. Im Vorjahr seien es fast 3500 Angriffe gewesen. Im Jahr zuvor waren es annähernd 3100. 90 Prozent der Übergriffe fänden im normalen Einzeldienst statt, vor allem in den Abendstunden und wenn Alkohol im Spiel sei. «Oftmals spielen da die zu bedauernde Respektlosigkeit und auch Imponiergehabe eine wichtige Rolle. Diese Angriffe können wir nicht akzeptieren und sie lassen sich auch nicht rechtfertigen», sagt Innenminister Peter Beuth (CDU).
Der Bund griff eine hessische Gesetzesinitiative auf, die im April umgesetzt wurde. Die Mindeststrafe bei Angriffen auf Einsatzkräfte beträgt im neuen Gesetz drei Monate. «Unser Entwurf sah eine Mindeststrafe von sechs Monaten vor, aber auch drei Monate sind ein klares Signal an alle potenziellen Straftäter», sagte Beuth.
Aggressionen entladen sich auch immer wieder bei der Arbeitsagentur. Eine Sprecherin der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit sagte in Frankfurt: Aggressives Verhalten von Klienten sei immer wieder zu beobachten. «Staatliche Instanzen werden offenbar zunehmend weniger respektiert», befand auch sie. Fallzahlen zur Entwicklung bei Übergriffen und Tätlichkeiten lagen ihr zwar nicht vor. Sie sagte aber: «Das ist ein fortwährendes Problem.»
Um sich in brenzligen Fällen aus der Affäre ziehen zu können, gibt es für die Beschäftigten das Angebot, an Deeskalationstrainings teilzunehmen. Die Kurse seien in den vergangenen Jahren ausgebaut worden. Für Notfälle gibt es in den Büros auch Sicherheitsvorkehrungen. Per Knopfdruck kann um Hilfe gerufen werden.