Im Berliner Tiergarten gehen immer mehr Flüchtlinge anschaffen – viele von ihnen sind unter 18. Diana Henniges, Gründerin eines Hilfsvereins, erklärt, warum Minderjährige Sex für Geld anbieten.
Der Berliner Tiergarten ist bei Homosexuellen seit Jahrzehnten ein beliebter Treffpunkt zum „Cruisen“ – schneller, unverbindlicher Sex im Freien. Seit einigen Monaten beobachten Berliner Hilfsorganisationen, dass sich die Zahl der jungen Flüchtlinge, die sich prostituieren, vervielfacht habe. Die Prostitution wird laut einem Bericht des Fernsehsenders rbb meist über Internetforen organisiert, aber auch auf der Straße findet die Kontaktaufnahme statt. Manche Flüchtlinge seien minderjährig, die meisten gerade erwachsen geworden.
Diana Henniges, Gründerin des Vereins „Moabit hilft!“, hörte Anfang 2016 die ersten Berichte über Flüchtlinge, die Geschlechtsverkehr für Geld anbieten. Doch für eine Verbesserung der Lage stelle das Land Berlin derzeit nicht ausreichend Kapazitäten zur Verfügung, sagt sie.
Die Welt: Wie erfahren Sie von Prostitution bei minderjährigen Flüchtlingen?
Diana Henniges: Der Satz „Ich prostituiere mich“, der wird ganz selten ausgesprochen. Kaum einer gibt gerne zu, dass er Sex mit älteren Männern gehabt hat, damit er sich was zu essen kaufen konnte.
Die Welt: Wie kommt es dazu?
Henniges: Die Prostitution im Tiergarten ist oft mit Obdachlosigkeit verbunden. Die Flüchtlinge kommen vor allem aus Pakistan, Afghanistan und dem Iran. Das war ab Anfang 2016. Zugespitzt hat es sich damals in der Kälteperiode, als die jungen Menschen immer mehr in Not geraten sind und einen Schlafsack oder eine warme Jacke brauchten.
Die Welt: Welche Gründe gibt es noch, dass sich Flüchtlinge prostituieren?
Henniges: Manche brauchen Geld, um sich Drogen zu kaufen. Abhängigkeit ist unter minderjährigen Flüchtlingen ein Thema, genauso wie unter deutschen Jugendlichen. In Berlin sind aber auch sexuelle Leistungen für Kost und Logis durchaus verbreitet. Mir ist bekannt, dass minderjährige Flüchtlinge Zimmer in Vierer- oder Fünfer-WGs angeboten bekommen und dann dort leben – für sexuelle Gegenleistungen.
Die Welt: Wenn Sie von solchen Fällen erfahren, wenden Sie sich dann an die Polizei?
Henniges: Das haben wir getan – mit sehr geringem bis gar keinem Erfolg. Es ist sehr oft der Fall, dass ein Flüchtling nicht mehr aussagen möchte, obwohl er zuvor etwas anderes gesagt hat. Das entsteht auch aus der Zwangslage heraus, von den Tätern abhängig zu sein – und natürlich haben sie dann auch Angst, haben das Vertrauen in die Behörden verloren.
Die Welt: Um wie viele Fälle handelt es sich?
Henniges: Eine Zahl ist sehr schwierig abzuschätzen, das ist saison- und witterungsabhängig. Es gibt Monate, da sind mehrere bei uns, es gibt Monate, da kommt niemand.
Die Welt: Wie erleben Sie die Flüchtlinge, wenn sie über Prostitution reden?
Henniges: Man könnte ja denken, die Flüchtlinge, das sind alles stattliche Männer, die kriegen das schon gebacken, die kommen hier schon irgendwie durch. Dem ist nicht so – und ich rede nicht einmal von Traumata oder anderen Vorerfahrungen. Selbst ein 18-Jähriger, der weder Schrift noch Sprache beherrscht, kann keinen Sozialhilfeantrag ausfüllen. Der ist zwar auf dem Papier volljährig, aber eigentlich noch ein Kind.
Die Welt: Wie bestimmen Sie dann das Alter?
Henniges: Die meisten tragen ein Ausweisdokument mit sich, etwa von der Ausländerbehörde oder wenn sie eine Grenze überquert haben. Daraus können wir ableiten, ob sie offiziell volljährig sind. Natürlich hat es sich rumgesprochen, dass man als minderjähriger Flüchtling mehr Möglichkeiten hat, gerade mit Blick auf die Betreuung. Ich habe das allerdings noch nie als Ausnutzung gesehen, sondern vielmehr als Verzweiflungstat – auch weil sie älter geschätzt wurden, als sie waren.
Die Welt:Wie hilft man diesen Jugendlichen?
Henniges: Das ist unheimlich schwierig. Wir begleiten die Flüchtlinge zu Stellen, an denen ihnen geholfen wird: Jugendamt, Vereine, Psychotherapeuten. Oft sucht sich der Jugendliche dann eine Bezugsperson. Wenn die aber gerade mal nicht da ist, dann verlieren wir schnell wieder den Kontakt. Für solche Fälle braucht es professionelle Strukturen – aber da werden gerade keine Kapazitäten seitens der Berliner Senatsverwaltung geschaffen.