Bislang sind Abschiebungen nach Syrien vollständig ausgeschlossen. Die Innenminister von Bund und Ländern möchten wenigstens Schwerverbrecher und Gefährder in deren Heimat zurückschicken. Doch es gibt ein großes Problem.
Wenn Ausländer in Deutschland schwere Straftaten begehen, aber trotzdem nicht abgeschoben werden, mag das zwar oft gute Gründe haben – in weiten Teilen der Bevölkerung stößt das aber auf größtes Unverständnis. Noch unverständlicher ist es, wenn es sich bei den Straftätern um Schutzsuchende handelt. Also um solche Menschen, denen von der Gesellschaft ein auskömmliches Leben finanziert wird, bis sie keinen Schutz mehr brauchen – weil in der Heimat wieder Frieden eingekehrt ist und keine Verfolgung mehr herrscht.
In keinen Staat ist es aber so schwer abzuschieben wie nach Syrien: Es ist schlicht ausgeschlossen. Das vom Bürgerkrieg verheerte Land ist das einzige weltweit, für das ein vollständiger Abschiebungsstopp durch die Bundesrepublik gilt. Selbst Schwerverbrecher und Terroristen unter den rund 800.000 hier lebenden Syrern können nicht wieder in ihr Heimatland zurückgebracht werden.
Diesen vollständigen Abschiebestopp würden die Innenminister von Bund und Ländern gerne etwas auflockern, wie auf ihrer Konferenz in Lübeck zunächst zu hören war. Doch in der nächsten Zeit sehen sie dafür keine Chancen, deswegen wird dieser generelle Abschiebungsstop um zunächst weitere sechs Monate verlängert. Darauf hätten sich die Vertreter der SPD- und der Unionsminister verständigt, sagte Schleswig-Holsteins Ressortchef Hans-Joachim Grote (CDU) am Donnerstag in Lübeck bei der Innenministerkonferenz (IMK).
Grote hatte zunächst gesagt, der Stopp solle mit Ausnahmen gelten: „Es bleibt dabei: Es gibt einen Abschiebestopp nach Syrien, mit Ausnahme von schweren Straftaten. Ich glaube, anders wäre es auch den Menschen hier nicht zu vermitteln, dass jemand, der schwere Straftaten begeht, dennoch den Schutzstatus des Flüchtlings hat.“ Irgendwann würden diese Rechte, die Deutschland gewähre, auch verwirkt. Ihm zufolge hatten sich die Minister von Union und SPD bereits darauf verständigt. „Wir wollen das morgen abschließend beschließen“, sagte er.
Später relativierte Grote, der Gastgeber der Konferenz, seine Aussagen. „Der Abschiebungsstopp soll bis zum 30.6.2020 ohne Einschränkungen verlängert werden“, sagte er. Das bedeutet: die Innenminister der Länder werden frühestens Mitte des kommenden Jahres über Lockerungen etwa für Straftäter entscheiden. Grote erklärte: „Die Innenminister sind sich einig: Die Bundesregierung soll gebeten werden, bis zur Frühjahrssitzung der IMK 2020 eine Fortschreibung der Lagebewertung in Syrien vorzunehmen. Die Bundesregierung soll zudem aufgefordert werden, die Voraussetzungen für die Rückführung von bestimmten Personengruppen – beispielsweise Gefährder und Straftäter – nach Syrien zu schaffen.“
Laut der Beschlussvorlage, über die am Freitag formell abgestimmt werden soll, möchten die Innenminister perspektivisch Abschiebungen in Sonderfällen ermöglichen, wenn eine Einzelfallprüfung feststellt, dass diesen Personen keine ernsthafte Gefahr für Leib und Leben in Syrien droht.
Wörtlich heißt es, Abschiebungen nach Syrien sollen nur unter „Beachtung der Menschenrechte und bei differenzierter Betrachtung im Einzelfall“ möglich sein. Doch noch nicht bald: Zunächst muss nach dem Willen der Innenminister die Bundesregierung die Lage in Syrien prüfen und die Voraussetzungen für Abschiebungen herstellen.
Herbert Reul fordert sorgfältige Prüfung in jedem Einzelfall
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) gab sich im Gespräch mit WELT optimistisch. „Wenn man einen Weg finden will, findet man auch einen.“ Im Einzelfall und nach sorgfältiger Prüfung müssten bei Schwerkriminellen auch Abschiebungen nach Syrien möglich sein. Gleiches müsse auch für Syrer gelten, die für Urlaube in die Heimat flögen. Bisher habe man immer damit argumentiert, dass man keine Ansprechpartner in Syrien habe, um sich erst gar nicht ernsthaft mit Abschiebungen zu befassen. Dies stellt für Reul keine befriedigende Lösung dar.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) ist hingegen „sehr skeptisch“, ob bald tatsächlich einige Schwerkriminelle abgeschoben werden können. „Ich habe dem auch nur schweren Herzens zugestimmt, um überhaupt einen Abschiebestopp hinzubekommen“, sagte er mit Blick auf Syrer, die keine Straftaten begehen. Bei Abschiebungen von Straftätern könne es perspektivisch nur um Einzelfälle gehen, „und vor allen Dingen nicht jetzt“, so Pistorius.
Von Armin Schuster (CDU), Obmann der Unionsfraktion im Innenausschuss des Bundestags, bekommen die Innenminister Unterstützung für ihre gewünschte Auflockerung des kompletten Abschiebeverbotes. „Das einzige echte Problem, was ich wirklich sehe, ist ein diplomatisches und logistisches. Wo fliegt man sie hin, wem übergibt man sie?“ Das müsse Außenminister Heiko Maas (SPD) bald klären, sagte Schuster WELT.
„Ich halte es für erforderlich, die gefährlichsten unter den Zuwanderern nach einer Verhältnismäßigkeitsabwägung abzuschieben, auch wenn ein gewisses Risiko für den Straftäter in seiner Heimat besteht.“
Wahrscheinlich wird es so bald aber wohl zu keinen Abschiebungen nach Syrien kommen. Denn Deutschland unterhält dort schon seit 2012 keine Botschaft mehr. Um die Abschiebungen umzusetzen, müssten die deutschen Behörden erst einen Kanal zum Regime von Machthaber Baschar al-Assad aufbauen. Dies widerspricht außenpolitischen Interessen, die aktuell als wichtiger eingestuft werden als die Umsetzung von Abschiebungen.
Erst Anfang Dezember hatte das Auswärtige Amt in seinem Zwischenbericht zur Sicherheitslage gewarnt: „Immer wieder sind Rückkehrer, insbesondere – aber nicht nur – solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen, Repressionen bis hin zu unmittelbarer Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt.“ Auch eine im September verkündete Generalamnestie für Deserteure bleibe in der Umsetzung „bislang wirkungslos“.
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