Forschern ist es gelungen, einen Ausbruch eines multiresistenten Stamms der Tuberkulose nachzuweisen. Dieser wurde bei 29 Flüchtlingen entdeckt, die über das Horn von Afrika nach Deutschland gelangten.
Der über lange Jahre rückläufige Tuberkulosetrend hat sich umgekehrt. Das hatte das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin gerade zum Welttuberkulosetag 2017 gemeldet und dabei auf einen Zusammenhang mit aktuellen Migrationsbewegungen hingewiesen. Wissenschaftlern am Nationalen Referenzzentrum (NRZ) am Forschungszentrum Borstel (Kreis Segeberg) ist es gelungen, einen europaweiten Ausbruch eines multiresistenten Stamms der Tuberkulose (TB) bei 29 Flüchtlingen nachzuweisen. Dieser wies eine ungewöhnliche Kombination von Antibiotikaresistenzen gegen vier verschiedene Medikamente auf.
Die Häufung der Fälle bei den Personen mit Migrationshintergrund hatte die Forscher des NRZ veranlasst, weiterführende Untersuchungen durchzuführen. Generell werden neu ankommende Flüchtlinge bei der Eingangsuntersuchung nach Paragraf 62 des Asylgesetzes (AsylG) auf übertragbare Krankheiten untersucht. Dabei werden auch die Atmungsorgane geröntgt, wodurch eine Tuberkuloseerkrankung festgestellt werden kann. Allerdings erkranken nur zehn Prozent der Personen, die sich mit dem Tuberkuloseerreger infiziert haben, auch daran – die Hälfte davon im ersten Jahr nach der Ansteckung, die andere Hälfte auch noch später.
Seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) im Januar 2001 werden zahlreiche Merkmale für jeden Tuberkulosepatienten erhoben und von den knapp 400 Gesundheitsämtern in Deutschland anonymisiert über die jeweilige Landesstelle der 16 Bundesländer an das RKI übermittelt.
Flüchtlinge kamen über das Horn von Afrika
Wie das Forschungszentrum Borstel jetzt in einer Meldung zu einem aktuell im Fachmagazin „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlichten Artikel mitteilte, identifizierten die schleswig-holsteinischen Forscher und Kollegen des Nationalen Referenzzentrums für Mykobakterien (NZM) in der Schweiz 2016 zeitgleich einen bisher unbekannten Tuberkuloseerreger.
Die molekularbiologischen Untersuchungen in Kombination mit Patienteninterviews ermöglichten den Wissenschaftlern eine teilweise Rekonstruktion der Infektionskette. So wiesen die Daten darauf hin, dass die Übertragung vor der Ankunft in Europa in einem libyschen Flüchtlingscamp bei Bani Walid stattgefunden habe.
Wahrscheinlich habe sich der Ausbruchsstamm aus einem im Horn von Afrika häufigen Klon des Tuberkulosestamms entwickelt und die gefährliche Resistenzkombination entwickelt. Bei allen 29 Patienten aus sieben europäischen Ländern handelte es sich um Flüchtlinge, die aus Ländern am Horn von Afrika nach Europa eingewandert waren.
Flüchtlinge aus Hamburg, Schleswig-Holstein oder Niedersachsen waren den Angaben zufolge bei den 14 Erkrankten aus Deutschland nicht dabei. „Es handelte sich bei den Erkrankten überwiegend um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die in Baden-Württemberg registriert wurden“, sagte Dr. Katharina Kranzer, Leiterin des NRZ am Forschungszentrum Borstel. Da der Ausbruch aber noch laufe, könnten noch weitere Fälle hinzukommen.
Im Zuge des bisher größten Zustroms von Flüchtlingen nach Hamburg waren im September 2015 neun Menschen vorsorglich ins Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) gebracht worden. Ein Sanitäter hatte in einem Zelt am Hauptbahnhof bei drei Flüchtlingen, die dort auf ihre Weiterreise warteten, Symptome der hochansteckenden Krankheit festgestellt. Sie konnten wenige Stunden später wieder aus dem UKE entlassen werden.
70 Prozent der Erkrankten sind ausländische Staatsbürger
„Nur durch die Genomanalytik konnte der Ausbruchsstamm eindeutig identifiziert werden“, sagte Prof. Stefan Niemann, Letztautor der Studie und Leiter der Forschungsgruppe Molekulare und Experimentelle Mykobakteriologie am Forschungszentrum Borstel und des Bereichs Tuberkulose des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung. „Um die Vorteile dieser Technologie voll zu nutzen, muss diese allerdings in die routinemäßige Untersuchung und Tuberkuloseüberwachung eingebaut werden.“
Niemann bezeichnet sich und seine Kollegen als Genom-Detektive, die schon lange das Erbgut des Tuberkulosebakteriums analysieren. „Um den Tuberkulosestamm zu erkennen, haben wir einen Schnelltest entwickelt“, so Niemann. Zudem würden in Borstel in einem Pilotprojekt alle Laborproben von Tuberkulosepatienten aus Hamburg, Hannover und Frankfurt analysiert. „Aus Hamburg haben wir Material seit 1996“, sagt der Forscher, der hofft, dass sich das Projekt auf andere Städte ausweiten wird.
Im Jahr 2016 wurden in Deutschland laut RKI insgesamt 5915 Tuberkulosefälle registriert, was 7,2 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnern entspricht. Die Analyse nach Staatsangehörigkeit ergab deutliche Unterschiede im Erkrankungsrisiko: So betrug die Inzidenz bei ausländischen Staatsbürgern 42,6 pro 100.000 Einwohner und war damit 19-mal so hoch wie in der deutschen Bevölkerung (Inzidenz 2,2).
So betrug die Inzidenz bei ausländischen Staatsbürgern 42,6 pro 100.000 Einwohner und war damit 19-mal so hoch wie in der deutschen Bevölkerung (Inzidenz 2,2)
Diese Diskrepanz hat sich gegenüber dem Vorjahr (Faktor 16,6) weiter verstärkt. Bei jungen Erwachsenen war dieser Unterschied besonders groß. Insgesamt 30,9 Prozent aller Erkrankten hatten die deutsche Staatsangehörigkeit, 69,1 Prozent waren ausländische Staatsbürger.
Die Analyse nach Geburtsland zeigt, dass der Anteil der im Ausland geborenen Patienten in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen ist und im Jahr 2016 rund drei Viertel (74,3 Prozent) aller registrierten Fälle ausgemacht hat. Zu den 2016 am häufigsten angegebenen Geburtsländern zählen Somalia, Eritrea, Afghanistan, Syrien und Rumänien. „Dass man sich in Deutschland nicht mit Tuberkulose infizieren kann und diese immer aus dem Ausland mitgebracht wird, ist jedoch eine falsche Annahme“, betonte Niemann. „30 Prozent der Fälle kommen durch eine Übertragung in Deutschland zustande.“