In der „Frankfurter Allgemeinen“ ist am Freitag ein Gastbeitrag eines Homosexuellen erschienen, der die Ehe für alle als „Selbstverrat“ der schwulen Community bezeichnet. Der Autor schrieb unter Pseudonym.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat mit einem Gastbeitrag zur „Ehe für alle“ für Aufregung und Entrüstung gesorgt. „Wir verraten alles, was wir sind“, heißt der Text, der am Freitag in der Rubrik „Fremde Federn“ erschien. Darin wirft ein Autor namens Johannes Gabriel der schwulen Community einen „Selbstverrat“ vor.
Der Wunsch nach einer Ehe, auch der Wunsch auf ein Adoptionsrecht wische die „Anerkennung unserer Differenz“ nach einem „jahrhundertelangen“ Kampf, die „Besonderheit und Auszeichnung nicht reproduktiver Sexualität“ einfach weg. Der Autor, das geht aus dem Text hervor, ist selbst homosexuell oder nimmt zumindest die Rolle des schwulen Kritikers ein.
Schwere Geschütze
Um seinen Punkt zu machen, fährt Autor Gabriel, der unter dem Text als „Philosoph und Psychologe“ ausgewiesen ist, schwere Geschütze auf. Er kritisiert nicht nur den Wunsch nach einer Heirat „wie Bravbürger Jedermann“, er verbreitet zugleich mehr als fragwürdige, geradezu hetzerische Thesen. Zitat: „Und ist es wirklich so abwegig, was manche Gegner der Homo-Ehe behaupten, dass adoptierte Kinder ungleich stärker der Gefahr sexuellen Missbrauchs ausgeliefert sind, weil die Inzest-Hemmung wegfällt und diese Gefahr bei homosexuellen Paaren besonders hoch sei, weil die sexuelle Outsider-Rolle eine habituelle Freizügigkeit erotischer Binnenverhältnisse ohne alle sexualethischen Normen ausgebildet habe?“
Leser bezeichneten den Beitrag nach Veröffentlichung beispielsweise bei Twitter als „Verleumdung und Hetze“, „herabwürdigend“ und „homophoben Dreck“. Der Beitrag wurde bisher noch nicht in der Online-Ausgabe veröffentlicht. Die Zeitung stellte ebenfalls via Twitter klar, es handele sich um einen Gastbeitrag, der „nicht die Meinung der FAZ widerspiegelt“.
Autorenname ist Pseudonym
Auf Nachfrage des Medienportals „Meedia“ räumte der für die Kolumne verantwortliche Redakteur Reinhard Müller ein, dass der Name des Autors ein Pseudonym ist. Müller begründet die Nichtnennung des tatsächlichen Namens mit dem Verweis auf den Text selbst. Dort ist zu lesen: „Ich weiß nur zu gut, wie schwierig das sachliche Argumentieren dieser Angelegenheit in der Gay Community ist – wer etwas anderes meint, wird gleich als ,Verräter‘ gebrandmarkt.“
Müller, der Ressortleiter „Staat und Recht“ ist, hatte seinerseits argumentiert, die Ehe für alle dürfe nur nach einer entsprechenden Verfassungsänderung beschlossen werden.
Es bleibt allerdings die Frage, warum nicht unter dem Text vermerkt wurde, dass der Autor unter Pseudonym schreibt, sondern ihm stattdessen von der „FAZ“-Redaktion eine offensichtlich erfundene Vita verpasst wurde. Auf eine Anfrage der WELT hat Müller bisher nicht geantwortet. Ebenso nicht erreichbar war der verantwortliche Herausgeber Berthold Kohler.
„FAZ“-Mitarbeiter haken nach
Die Frage, warum es eines falschen Namens bedurft hat, stellen sich selbst „FAZ“-Redakteure wie Patrick Bahners, Kulturkorrespondent der Zeitung in München. Er twitterte: „Pseudonym wurde in der @faznet bislang nur dann verwendet, wenn Autor geschützt werden musste (iranischer Dissident). Ist das hier der Fall?“
Der Beitrag wurde am Freitag auch in dem Blog des homosexuellen Theologen und Publizisten David Berger veröffentlicht, ebenfalls ausgewiesen als „Gastbeitrag von Johannes Gabriel“. Dort lautet die Überschrift: „,Regenbogenfamilien‘: Der Mensch ist kein Spielzeug“. Auf Nachfragen via Twitter, ob Berger selbst der Autor sei, antwortete Berger, es sei wichtig, die „Strategien der ,Inneren Emigration‘ wieder auszugraben“. Diesen Tweet löschte er dann aber wieder.
„FAZ“-Redakteur Müller merkte seinerseits gegenüber „Meedia“ an, die „Intoleranz einiger Kommentare“ habe die Redaktion überrascht.