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Feb 27

Sicher durch den Karneval – Notwehr erlaubt, Waffen verboten: Wie sich Frauen simpel, aber effektiv schützen


Karneval soll Spaß machen – und nicht Frauen in Bedrängnis bringen.

Gerade im feuchtfröhlichen Getümmel der fünften Jahreszeit fühlt sich manche Frau schnell bedrängt. Aber auch den dunklen und einsamen Heimweg nach der Party fürchten viele. FOCUS Online erklärt, wie sich Frauen sinnvoll schützen können – und was sie auf jeden Fall bleiben lassen sollten.

Viele Frauen blicken dieses Jahr mit einem mulmigen Gefühl auf das Karnevalstreiben. Der Alkohol fließt in Strömen. Gepaart mit der Anonymität, die eine Verkleidung bietet, könnte es zu dummdreister Anmache, sexuellen Belästigungen oder sogar handfesten Übergriffen kommen.

Seit der Silvesternacht 2015 in Köln ist die Angst vor großen Menschenmassen stark gestiegen, so Christian Lüdke. Der Psychologe aus Essen ist auf Gewaltprävention spezialisiert, gerade ist sein Buch „Wehr dich! Richtiges Verhalten in Gefahrensituationen“ erschienen.

Durch die massenhaften sexuellen Belästigungen von Frauen zum Jahreswechsel hat die Nachfrage nach seinen Präventionskursen deutlich zugenommen. 2016 hat Lüdke fast 900 Frauen allein in Köln darauf trainiert, Gefahrensituationen schnell zu erkennen und zu entschärfen.

Sollten Frauen an Karneval auf sexy Kostüme verzichten?

Wichtig ist es dem Psychologen zwar, keine Panikstimmung zu schüren. „Nach wie vor ist Deutschland eines der sichersten Länder der Welt. Die Wahrscheinlichkeit, im Lottozu gewinnen, ist größer, als Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden“, beruhigt er.

Doch die gefühlte Gefahr ist für viele Frauen durchaus erschreckend und eine unüberschaubare Massenveranstaltung wie der Karneval deshalb ein Angstauslöser. Doch was ist die Alternative – gar nicht erst hinzugehen oder auf sexy Kostüme zu verzichten?

Auf keinen Fall, sagt Lüdke. „Das wäre victim blaming erster Güte! Niemand hat das Recht, eine Frau sexuell zu belästigen, nur, weil sie einen kurzen Rock trägt.“ Was Lüdke allen rät, die sich zwar Sorgen machen, aber nicht aus lauter Angst zuhause bleiben wollen: an einer selbstbewussten Ausstrahlung zu arbeiten.

Sicherheit an Karneval kann jeder selbst schaffen

Denn Täter suchen nach Opfern, so der Psychologe – nicht nach Menschen, die sich wahrscheinlich wehren. So zeigt auch die Statistik, dass Frauen, die Gefahr laufen, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden, zu fast 90 Prozent ungeschoren davonkommen, wenn sie Gegenwehr leisten.

Ein erster Schritt, um selbstbewusst zu wirken, ist eine gute Körperhaltung. Wer den Kopf anhebt, die Schultern strafft und geradesteht, strahlt innere Stärke aus. Wer seinem Gegenüber fest in die Augen schaut und den Blickkontakt auch hält, zeigt ebenfalls Selbstbewusstsein.

Als nächstes empfiehlt Lüdke, immer achtsam zu sein. „Wer auf sein Smartphone starrt und dabei Musik hört, wird eine potentielle Gefahr kaum erkennen.“ Wem eine Situation oder eine Person komisch vorkommt, soll auf sein Bauchgefühl vertrauen und sich entziehen – und sei es nur, indem er die Straßenseite wechselt.

Auch im Video: Diese simple Waffe kann sofort Ihr Leben retten

Auch Alltagsgegenstände garantieren Sicherheit

Wer sich konkreter bedroht sieht, sollte sich Verbündete im Umkreis suchen. Am besten ist es, andere Menschen direkt anzusprechen, etwa mit „Hallo, Sie da in der blauen Jacke, helfen Sie mir bitte!“ Denn durch die sogenannte Verantwortungsdiffusion fühlen sich viele erst verantwortlich, wenn sie konkret eingebunden werden. Davor hoffen die meisten, dass sich jemand anderes einschalten wird.

Wer die Stimme erhebt, macht ebenfalls auf sich aufmerksam, suggeriert aber wiederum auch ein starkes Selbstbewusstsein. Auch hilft es, den Angreifer zu siezen und mit kurzen Anweisungen wie „Stop!“, „Nein!“ oder „Lassen Sie das!“ deutlich in seine Schranken zu weisen und anderen zu zeigen, dass Hilfe gebraucht wird.

Besonders abschreckend auf Täter wirkt es auch, wenn das potentielle Opfer richtig laut auf sich aufmerksam macht, etwa mit einer Trillerpfeife. Wenn all das nichts hilft und man sich körperlich zur Wehr setzen muss, empfiehlt Lüdke, zu Alltagsgegenständen zu greifen, die viele Menschen sowieso dabeihaben.

„Mund- oder Haarspray setzen einen Angreifer  eine Zeitlang außer Gefecht, wenn er sie in die Augen bekommt.“ Feiner Vogelsand, den man in einem kleinen Tütchen immer in der Tasche dabeihaben kann, ist ebenso effektiv.

Simple Sicherheitstipps für Frauen an Karneval

Auch ein Regenschirm, ein Schlüsselbund in der Faust oder eine fest zusammengerollte Zeitung sind gut geeignet, um einen Gegner so stark zu irritieren, abzulenken oder gar zu verletzen, dass genug Zeit zur Flucht bleibt.

Bei all diesen Maßnahmen ist es auch wichtig, nicht zu zögern und entschlossen zu handeln, so Lüdke. „Die meisten Menschen sind darauf sozialisiert, dass sie anderen nicht weh tun dürfen. In einer Gefahrensituation muss man aber hemmungslos sein.“

Das ist auch durch den Paragraphen 32 des Strafgesetzbuches, dem sogenannten Notwehrparagraphen, gedeckt. „Wem Gefahr für Leib und Leben droht, der hat das Recht und die Pflicht, sich zu wehren“, so Lüdke.

Wovon der Psychologe allerdings klar abrät, sind Pfefferspray, Schlagstöcke, Schreckschusspistolen oder gar scharfe Waffen, um sich im Zweifelsfall zu verteidigen. Zum einen sind nur die wenigstens Menschen wirklich in der Lage, eine potentiell tödliche Waffe auf einen anderen Menschen zu richten.

Viele trauen sich nicht, zur Polizei zu gehen

Deshalb vermitteln sie nur ein trügerisches Sicherheitsgefühl – zumal sie auch in die Hände des Täters gelangen können. Zum anderen kann einem Opfer im Zweifelsfall vor Gericht vorgeworfen werden, nicht in Notwehr, sondern in einer klaren Tötungsabsicht gehandelt zu haben.

Wenn trotz all dieser Vorsichtsmaßnahmen dennoch etwas passiert, sollten Opfer sofort zur Polizei gehen und Anzeige erstatten – auch wenn es natürlich schwerfällt, über das Erlebte zu sprechen.

Denn viele Menschen schämen sich oder haben das Gefühl, selbst schuld an der Tat zu sein. Manche fürchten auch, dass ihnen niemand glaubt. Lüdke ermutigt sie: „Schuld hat immer der Täter – niemand sonst!“

Im Video: So schützen Sie sich vor Belästigungen

FOCUS Online Tipps vom Experten: So schützen Sie sich vor Belästigungen

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