«

»

Apr 15

Staatsanwaltschaft schließt im „Mondo“-Prozess versuchten Mord nicht aus

Die Rechtsanwälte Carsten Ernst (links) und Jerrit Schöll (Zweiter von rechts) vertreten die Interessen von zwei Nebenklägern in dem Prozess um die Schießerei an der Diskothek „Mondo“ in Bad Oeynhausen. Foto: Friso Gentsch/dpa (© Friso Gentsch/dpa)

Bad Oeynhausen/Bielefeld (nw). Die Staatsanwaltschaft Bielefeld wirft dem Hauptangeklagten im Prozess wegen der Schießerei an der Diskothek „Mondo“ nicht nur versuchten Totschlag vor. Infrage kommt auch versuchter Mord. Das geht aus der Anklageschrift hervor, die mit einem Verhandlungstag Verspätung vorm Landgericht Bielefeld verlesen wurde. Der 38-jährige Hauptangeklagte ist ein vierfacher Vater aus Bad Oeynhausen.

Er soll bereits auf dem Burger-King-Parkplatz eine Handfeuerwaffe durchgeladen und mehrfach auf die Türsteher der Diskothek geschossen haben. Ein Türsteher erlitt einen Oberschenkeldurchschuss, weitere Schüsse verfehlten den Kopf des zweiten Türstehers knapp, ein Streifschuss traf ihn am kleinen Finger.

Der mutmaßliche Schütze sitzt seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Einer seiner Brüder soll der zweite Schütze sein, er hat sich offenbar in den Nordirak abgesetzt. Eine Überwachungskamera filmte die wilde Schießerei. Die Polizei zählte später 18 Verdächtige auf, angeklagt sind aber nur acht Männer.

Diese Männer sollen laut Anklage am 23. September 2018 gemeinsam zur Diskothek „Mondo“ gefahren sein. Ein Verwandter der Männer soll zuvor gewaltsam aus der Disco geworfen worden sein. Der verhinderte Tänzer war darüber nach Darstellung der Staatsanwaltschaft so erzürnt, dass er seine männliche Verwandtschaft zusammentrommelte. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft deshalb unter anderem Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzungen vor.

Die Männer gehören nach Informationen der „Neuen Westfälischen“ zu einer jesidischen Großfamilie aus Bad Oeynhausen und Wolfsburg mit Wurzeln im Sindschar-Gebirge des Nordirak. Sie haben zum Teil militärische Ausbildungen und im Nordirak ein Heiligtum und die kurdisch-jesidische Bevölkerung nach den Völkermorden des Islamischen Staats beschützt.

Auch deshalb waren die Sicherheitsvorkehrungen im Bielefelder Landgericht enorm. Das Publikumsinteresse hielt sich am Montag jedoch in Grenzen, die Türsteherszene war diesmal der frühmorgendlichen Prozessfortsetzung ferngeblieben. Mehrere Bereitschaftspolizisten sicherten den Saal, die Kammer hatte besondere Auflagen für die Öffentlichkeit verhängt. So mussten Besucher zulassen, dass die Wachtmeisterei Kopien ihrer Ausweisdokumente anfertigte, die zum Ende der Hauptverhandlung vernichtet werden sollten.

Offenbar hat sich dafür auch die ermittelnde Staatsanwältin brennend interessiert. Nach Darstellung von Verteidiger Bernd Brüntrup legte sie die Kopien den beiden Türstehern vor, die als Nebenkläger im Prozess auftreten. Die Türsteher sollen demnach zwei Männer wiedererkannt haben, die bei der Schießerei dabei gewesen sein sollen. Gegen beide sollen Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sein. Die Staatsanwältin bestätigte allerdings nur, dass sie die Kopien zur Ermittlung genutzt hatte. Das habe angesichts der Sicherheitslage „weniger Eskalation“ ausgelöst.

Brüntrup widersprach außerdem der Darstellung der Polizei, dass bei der Hausdurchsuchung seines Mandanten eine schussbereite scharfe Waffe auf dem Nachttisch gefunden worden sei. Der Anwalt sah in den Pressemitteilungen von Polizei und Staatsanwalt eine unzulässige Vorverurteilung seines Mandanten, weshalb der Prozess ausgesetzt werden müsse.

Ein Anwalt der Türsteher berichtete dagegen, dass Angehörige der Angeklagten versucht hatten, eine außergerichtliche Einigung mit ihm zu erzielen, das sei Sache der jesidischen Großfamilie. Der Deal: Der Türsteher solle als Zeuge dem Gericht nur erzählen, wer ihm die Nase gebrochen habe und sich ansonsten nicht weiter erinnern. Wie sich der Nebenkläger verhält, ist noch unklar, seine Aussage war noch nicht dran.

Irritationen löste auch eine Videokamera im Gerichtssaal aus, die von zwei Polizeibeamten bewacht wurde. Die Kamera sollte bei Tumulten im Saal filmen. Die Verteidiger setzten sich halb erfolgreich dagegen zur Wehr. Richterin Beate Schlingmann ordnete an, dass Stativ und Kamera abgebaut, aber griffbereit im Saal bleiben sollen.

Der zweite Verhandlungstag hatte zuvor wie erwartet mit juristischem Prozessgezerre begonnen. Einen Befangenheitsantrag gegen die Kammer hatte das Landgericht bereits abgelehnt. Die 17 Verteidiger durchleuchteten nun die Auswahl der Ersatz-Richter und Ersatz-Schöffen.

Das Grundgesetz garantiert jedem Angeklagten den gesetzlichen Richter, muss auch der Ersatz-Richter nach gesetzlichen Kriterien ausgewählt werden. Allerdings hatten es etwa 15 hauptamtliche Richterinnen und Richter am Landgericht Bielefeld abgelehnt, auf der Ersatzbank Platz zu nehmen, weil sie nach den Worten der Kammervorsitzenden Beate Schlingmann zu den anberaumten Terminen dienstlich verhindert oder im Urlaub waren.

Der Prozess wird am 3. Mai fortgesetzt.

Quelle: Mindener Tageblatt

Schreibe einen Kommentar

Close