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Aug 28

Wahlbetrug in Brandenburg: AfD-Stimmen für die Grünen gezählt

Nach dem Wahlbetrug prüft die Staatsanwaltschaft Potsdam den Fall.Foto: dpa

Ein Wahlhelfer gibt zu, bei der Kommunalwahl in Brandenburg betrogen zu haben. Eine zweistellige Zahl von Stimmen könnte falsch sein.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat Vorermittlungen wegen Verdachts des Wahlbetrugs bei der Kommunalwahl am 26. Mai eingeleitet. Hintergrund sind Recherchen des Tagesspiegels, denen zufolge ein junger Wahlhelfer in einem Wahllokal im Landkreis Oder-Spree Stimmen für die AfD bei der Auszählung bewusst den Grünen zugeschlagen hat.

„Mein Herz schlägt links“

Wahlhelfer Marius Lange (Name geändert) bekannte sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel zu den Fälschungen und erklärte, aus einem spontanen Impuls heraus gehandelt zu haben. Bei der Kommunalwahl, die gleichzeitig mit der Europawahl stattfand, habe er bei der Auszählung der Stimmen zur Wahl der Stadtverordnetenversammlung das Abstimmungsergebnis manipuliert.

Marius Lange war nicht das erste Mal als Wahlhelfer im Einsatz. Doch betrogen habe er zuvor nie. Im Wahllokal sei er mit fünf weiteren Helfern mit der Auszählung betraut gewesen, er sei mit Abstand der jüngste gewesen. „Keiner hat mich kontrolliert. Dann habe ich einfach ein paar blaue Stimmen grün gemacht“, sagt er – also Stimmzettel für die AfD als Kreuze für die Grünen gezählt.

Als Motiv nennt er seine politische Überzeugung: „Mein Herz schlägt links.“ Deshalb habe er nicht hinnehmen wollen, dass die rechtspopulistische Partei so starken Zuspruch durch die Wähler erfahre. Bei der Kommunalwahl im Mai kam die AfD landesweit auf 15,9 Prozent der Stimmen.

Den Ablauf der Stimmauszählung im Wahllokal am Abend des 26. Mai beschreibt Marius Lange wie folgt: Pünktlich um 18 Uhr wurden die ersten Umschläge mit den Briefwahlzetteln geöffnet. Zunächst wurden die Stimmen für die Europawahl, dann die der Kommunalwahl ausgezählt – erst Briefwahl, dann Urnenwahl, der Kreistag vor der Stadtverordnetenversammlung.

Zweistellige Zahl an Stimmen könnte falsch sein

Bei letzterer habe Lange schließlich die Auszählung manipuliert. Einer der Anwesenden habe die Wahlzettel entfaltet und vorgelesen, welcher Kandidat wie viele der insgesamt drei zu vergebenen Stimmen erhalten hatte. Die anderen Wahlhelfer hatten die Listen der zur Wahl stehenden Parteien vor sich.

„Ich hatte die Listen der Grünen, der AfD und noch einer kleinen regionalen Partei, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere“, sagt Lange. „Wenn einer der AfD-Kandidaten mehrere Stimmen erhalten hat, habe ich einfach nur eine Ziffer, die restlichen bei einem Kandidaten der Grünen abgestrichen.“ Wie viele Stimmen er gefälscht hat, kann er nicht genau sagen, aber mindestens 50 könnten es gewesen sein.

Wahlhelfer könnte zu Freiheitsstrafe verurteilt werden

Marius Lange hat damit eine Straftat begangen, das ist ihm bewusst: Wahlfälschung wird nach Paragraph 107a des Strafgesetzbuches mit einer Geldstrafe oder in besonderen Fällen sogar mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet.

Grundsätzlich kann jeder wahlberechtigte Bürger auch Wahlhelfer werden. Laut Brandenburger Wahlgesetz müssen mindesten fünf Mitglieder des Wahlvorstands bei der Auszählung anwesend sein. Ein Vieraugenprinzip ist dabei nicht verpflichtend vorgesehen.

Die Wahrscheinlichkeit, bei Manipulationen ertappt zu werden, sei relativ gering, sagt Sascha Gehm. „Allerdings müssten auch hier die Verbrecher immer Glück haben, die Polizei nur einmal.“ Gehm ist Kreiswahlleiter im Brandenburger Landkreis Oder-Spree. Besonders beunruhigt wirkt der 37-jährige CDU-Politiker nicht, als er Marius Langes Geschichte hört. Den Sinn der Aktion könne er nicht nachvollziehen.

„Ich bewege ja damit sehr wenig. Wir reden hier auf Kommunalebene vielleicht darüber, ob nächstes Jahr Grundschule A oder B den neuen Fassadenanstrich kriegt. Dafür nehme ich auf mich, eventuell vorbestraft zu sein? Ich halte das für ein ziemlich dummes Verbrechen. Diesen Aufwand zu betreiben bei der Entdeckungswahrscheinlichkeit ist irrational.“

Gemeinden haben Problem Wahlhelfer zu finden

Der Kreiswahlleiter ist sich sicher: Größere Wahlmanipulationen würden definitiv auffallen. Bei dem Auszählungssystem könne es in geringem Umfang aber durchaus zu leichten Verschiebungen kommen. „Es gibt kein hundertprozentiges Vieraugensystem. Das ist aber auch kein Geheimnis“, sagt Gehm. „Das ist bei dem System in Kauf genommen worden. Bei der Landtags- und Bundestagswahl ist das System aber ein anderes.“

Wolle man auch bei der Kommunalwahl das Vieraugenprinzip umsetzen, müssten entweder doppelte Listen geführt oder die Wahlvorstände verdoppelt werden, damit weitere Wahlhelfer den Auszählungsprozess überwachen könnten. Man habe sich aber dagegen entschieden, weil die Wahlvorstände sonst sehr groß geworden wären und die Auszählung viel länger dauern würde.

Außerdem wäre das personell nicht umsetzbar, sagt Gehm. Schon jetzt hätten manche Gemeinden Schwierigkeiten, genügend Wahlhelfer zu mobilisieren. „Zeitweise war es sehr schwierig, in den Kommunen Leute zu finden.

Es fällt grundsätzlich den Gemeinden leichter, die eine höhere Entschädigung zahlen. Die liegt derzeit je nach Gemeinde zwischen 30 und 60 Euro.“ Eigentlich sollte aber der monetäre Anreiz nicht im Vordergrund stehen, sondern die Freude daran, mitzuwirken, dass Demokratie funktioniert, findet der Politiker.

Wahlhelfer durch fremdenfeindliche Stimmung motiviert

Der Brandenburger Landeswahlleiter wollte sich nicht zu dem konkreten Vorfall äußern, ließ aber darauf hinweisen, dass eine Straftat begangen wurde. Seine Sprecherin teilte außerdem mit, man könne zu speziellen Fällen, die nur bestimmte Wahlbezirke betreffen, keine Aussage treffen. Im Übrigen finde die Auszählung der Stimmen öffentlich statt und könne von Bürgern beobachtet werden.

Unklar bleibt also, ob es neben diesem Fall zu weiteren Manipulationen bei der Auszählung am 26. Mai gekommen ist. In den Urnenwahlbezirken seien mindestens der Vorsitzende des Wahlvorstands und sein Vertreter Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, erklärt Kreiswahlleiter Sascha Gehm. Es gebe auch eingespielte Teams in manchen Wahllokalen, da trifft man sich dann alle vier oder fünf Jahre wieder. Dort gebe es eine gewisse Routine beim Auszählungsprozedere.

Marius Lange sagt, dass er vor allem wegen der Aufwandsentschädigung Wahlhelfer geworden sei und dass er dabei zuvor nie betrogen habe. Er habe spontan gehandelt, auch weil er sich gegen die zunehmend fremdenfeindliche Stimmung im Land zur Wehr setzen wollte. „Das ist alles eine Nummer schlimmer als in Berlin“, sagt der junge Mann.

„Hier in Brandenburg gehört es heute wieder zum guten Ton, einen Farbigen als Neger zu bezeichnen. Wenn wir im Fußballverein abends mit den Jungs zusammensitzen, macht irgendwann immer einer einen Neger-Witz – und alle lachen ohne nachzudenken.“ Alltagsrassismus. Wenn er mit einem guten Freund, dessen Vater Iraker ist, durch die Stadt laufe, werde dieser regelmäßig als „Kanacke“ bezeichnet. Wenn er im Westen Deutschlands Freunde besuche, sei das nicht so.

Marius Lange ist bewusst, dass er sich mit der Wahlfälschung strafbar gemacht hat, aber er würde es wieder tun. Auch, weil es so einfach war. Deshalb will er, dass über seinen Fall berichtet wird. Seine Befürchtung ist: Wenn der Betrug in die eine Richtung so einfach funktioniert, dann auch in die andere. Lange weiß, dass viele Brandenburger mit der politischen Stimmung unzufrieden sind – einige aus ganz anderen Gründen als er selbst.

Quelle: Tagesspiegel

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