Hamburg – Antidepressivum, Antipsychotikum, Schlaf- und Beruhigungsmittel – die Liste der Medikamente, die die Mutter seit dem Tag einnimmt, an dem ihre kleine Tochter bestialisch ermordet wurde, ist lang.
Die 33-Jährige wirkt gefasst, berichtet vor dem Hamburger Landgericht am Freitag differenziert und sachlich von dem Zusammenleben mit ihrem ehemaligen Lebensgefährten, der sich nun wegen Mordes und fünf weiterer Straftaten verantworten muss.
Um ihr ein Zusammentreffen mit dem mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter zu ersparen, wird sie im Prozess per Video-Schaltung vernommen. Der 34 Jahre alte Pakistaner soll das kleine Mädchen am 23. Oktober vergangenen Jahres im Stadtteil Neugraben-Fischbek mit einem Messer fast enthauptet haben (TAG24 berichtete). Der Angeklagte, ein untersetzter Mann mit kurzen schwarzen Haaren und gekleidet in eine knallblaue Daunenjacke, nimmt die Aussagen seiner ehemaligen Lebensgefährtin zunächst regungslos entgegen.
Rückblende: Das Paar heiratet 2014 nach islamischen Recht. Es ist eine arrangierte Ehe, vorher haben sich beide lediglich ein einziges Mal gesehen. „Meine Familie hat mir nahegelegt, ihn zu heiraten. Ich wollte es nicht“, schildert die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren. Schließlich habe sie aber doch ihre Zustimmung gegeben. „Am Anfang war alles gut und ich war sehr glücklich mit ihm“, berichtet sie.
Kurz nachdem die Frau schwanger wird, verändert sich der Mann
Kurz nachdem sie schwanger geworden sei, habe er sich jedoch verändert, angefangen sie zu beleidigen, sei „mal böse, mal nett“ gewesen. Körperliche Gewalt habe er zunächst nur gegen ihren Sohn gerichtet, den die Frau mit in die Beziehung gebracht hatte.
Er habe dem Jungen, der zum Zeitpunkt als seine Schwester starb fünf Jahre alt war, grundlos „sehr wuchtige Ohrfeigen“ gegeben, ihm verboten zu spielen. „Am liebsten wollte er, dass der Junge den ganzen Tag auf der Couch sitzt und nichts macht“, berichtet sie.
Als die gemeinsame Tochter zur Welt kommt, seien die Wutausbrüche zunächst weniger geworden. „Er hat sie sehr, sehr geliebt“, sagt die ganz in schwarz gekleidete Frau aus.
Als das Mädchen sechs Monate alt ist, zieht der Angeklagte von Darmstadt, wo er zuvor noch in einer Asylunterkunft gelebt hat, zu seiner Familie nach Hamburg. Kurz darauf sei er auch seiner Frau gegenüber gewalttätig geworden. „Man wusste nie, wann seine Laune umschlägt“, erzählt sie.
Einmal habe er sie so stark gegen den Rücken geschlagen, dass sie „eine Woche lang Schmerzen hatte“, berichtet die 33-Jährige. Ein anderes Mal „drückte er mir etwa eine Minute meinen Hals zu“, fährt sie fort. „Ich bekam keine Luft mehr und konnte nicht mehr sprechen“. Nur weil sie ihm versöhnliche Handzeichen gegeben habe, hätte er schließlich von ihr abgelassen. „Ich weinte, als ich mich im Spiegel sah. Ich war ganz blau ins Gesicht“.
Bereits bevor er seiner Tochter die Kehle durchtrennt, droht er mit dem Tod
Einen Monat später sei es zu einer erneuten Bedrohung gekommen und sie habe schließlich bei der Polizei Anzeige erstattet. Das Jugendamt sei zuvor schon von einem Kinderarzt hinzugezogen worden, dem sich die Frau anvertraut hatte. Nach einer weiteren Auseinandersetzung mit der Zeugin habe der Angeklagte dem kleinen Mädchen ein Messer an den Hals gehalten und gedroht, sie umzubringen.
Kurz darauf habe er jedoch von ihr abgelassen und beteuert, dass es sich lediglich um einen Scherz gehandelt habe, berichtet die Mutter. Sie habe ihm geglaubt, schließlich habe er sie vorher „weder geschlagen noch bedroht“. Die junge Frau habe das Jugendamt gebeten, der Ausländerbehörde von den Übergriffen zu berichten und dadurch seine Abschiebung zu erwirken.
Als die Mutter schließlich vom Tattag berichtet, wird ihre Stimme immer leiser. Ihr Lebensgefährte habe einen Termin bei seinem Anwalt gehabt, der ihm ein Schreiben der Ausländerbehörde vorlegte, in dem die Übergriffe aufgeführt gewesen seien. Der Angeklagte sei sehr aufgebracht gewesen, berichtet die Zeugin. Er habe ihr gesagt, sie solle sich entscheiden: entweder ziehe sie die Anzeige gegen ihn zurück oder sie händige ihm die Tochter aus und er gehe freiwillig mit dem Mädchen nach Pakistan zurück. „Er drohte, dass er uns beide umbringt“, berichtet die Frau. Da er ihr die Tochter nicht geben wollte, habe sie die Wohnung allein verlassen, sei zunächst zu ihren Eltern und dann mit ihrem Bruder zur Polizei gegangen.
Die Beamten hätten sie daraufhin zu der gemeinsamen Wohnung begleitet, sie habe draußen warten müssen. „Aus der Wohnung habe ich einen Schrei gehört. Die Polizei sagte mir, dass er mein Kind getötet hat“, sagt sie stockend. Daraufhin sei sie zusammengebrochen. Als die junge Frau dies erzählt, bricht er Angeklagte in Tränen aus und schluchzt lauthals, der Prozess muss für kurze Zeit unterbrochen werden.
Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, wie es ihr heute gehe, antwortet die Mutter: „Sie können mir meine Tochter nicht zurückgeben.“ Und nach einer kurzen Pause fährt sie fort: „Ohne Medikamente kann ich nicht einschlafen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Am kommenden Prozesstag, den 9. April (13 Uhr), sollen Staatsanwaltschaft und Verteidigung der Mutter weitere Fragen stellen können.
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