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Apr 20

40 Prozent mehr Ankünfte in Italien: Flüchtlingskrise kehrt fast unbemerkt zurück

Migranten und Flüchtlinge in einem Gummiboot mit dem Ziel Europa. Sie wurden nördlich der libyschen Stadt Sabratha aus dem Mittelmeer gerettet. dpa/Emilio Morenatti

Völlig überfüllte Boote, verzweifelte Helfer und viele Tote: Mit dem einsetzenden Frühling wagen wieder tausende Flüchtlinge die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer. So viele wie noch nie.

 

Damit schleicht sich ein Problem ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurück, welches monatelang mehr oder weniger verdrängt wurde: Die Flüchtlingskrise.

FOCUS Online gibt einen Überblick über die aktuellen Zahlen, die Hauptprobleme und einige Lösungswege.

  • Die Zahlen

„Wir mussten uns noch nie um so viele Menschen gleichzeitig kümmern“, sagte eine im Mittelmeer tätige Flüchtlings-Helferin. Tatsächlich zeigen aktuelle Statistiken die dramatische Lage in den Gewässern zwischen Afrika und Europa. Seit Jahresbeginn landeten 35.244 Migranten in Italien, das sind laut italienischem Innenministerium 39,3 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2016. Allein am Osterwochenende erreichten 8500 Flüchtlinge die Küste Italiens. Und gleichzeitig steigt auch die Zahl der Toten. 2017 sollen bisher rund 900 Menschen im Mittelmehr ertrunken sein.

Die Zahl der Bootsflüchtlinge, die von der nordafrikanischen Küste nach Italienkamen, hatte bereits 2016 einen neuen Höchststand erreicht. 181.000 Flüchtlinge wurden im Mittelmeer gerettet und nach Italien gebracht. 2015 waren es 170.000.

Die Hauptprobleme

Geschlossene Routen: Die Balkanroute ist durch den Abschluss des EU-Türkei-Deals und die Schließung von Grenzen entlang der Strecke mehr oder weniger dicht.

Libyen: Die Mehrzahl der Flüchtlinge, die nach Italien wollen, setzen sich an den libyschen Küsten in eines der Schlepperboote. In Libyen gibt es keine funktionierenden Strukturen mehr. Das wissen sowohl die Flüchtlinge, die ungehindert einreisen können, als auch die Schlepper, die ungehindert agieren können.

Flüchtlingslager: Die Lager in Libyen sind hoffnungslos überfüllt, die Bedingungen katastrophal. Um diesen Bedingungen zu entkommen, nehmen die Menschen die Gefahren der Überfahrt auf sich.

Teufelskreis: Die EU-Staaten und viele Hilfsorganisationen sind mit Schiffen im Mittelmeer und greifen Flüchtlinge in Not auf. Der Vorwurf lautet nun: Die Hilfsmaßnahmen führen dazu, dass mehr Flüchtlinge das Risiko in Kauf nehmen und die Schlepper noch unsichere Bote einsetzen.

  • Mögliche Folgen für EU und Deutschland

Noch mehr Flüchtlinge, noch mehr Tote:Für dieses Jahr rechnet Italien mit einem neuen Rekordhoch bei der Zahl der Flüchtlingsankünfte. Demnach könnten insgesamt 300.000 Migranten an Europas Küste übersetzen, schreibt die SZ. Die deutsche Regierung rechnet gar mit 400.000. Fast zwangsläufig wird auch die Zahl der Toten steigen.

Druck steigt:Mit den Flüchtlingszahlen steigt zunächst der Druck auf Italien, aber damit auch auf die gesamte EU, die Verteilung und Versorgung der Menschen zu organisieren. „Wenn es den europäischen Staaten nicht gelingt, gemeinsame Lösungen zu finden, weiß ich nicht, wie die Folgen der Flüchtlingsbewegungen bewältigt werden können und verhindert wird, das Europa an der Flüchtlingsfrage zerbricht“, sagt Migrationsexperte Hannes Schammann zu FOCUS Online.

Debatte wird hitziger:Die Überfahrt über das Mittelmeer ist der wohl gefährlichste Weg, nach Europazu gelangen. Deshalb, so der Migrationsexperte Schammann, würden vor allem junge Männer dieses Wagnis eingehen. Das hat Auswirkungen auf die Debatte hierzulande: „Deutsche Rechtspopulisten spielen mit der Angst vor den vermeintlich gefährlichen jungen Männern aus Nordafrika. Wenn wir Flüchtlinge auf die Mittelmeerroute zwingen, liefern wir den Populisten Munition für ihre Angstmache“, befürchtet der Wissenschaftler der Universität Hildesheim.

Rekrutierung von Flüchtlingen:Der „failed state“ Libyen ist zum Rückzugsort von Kriminellen und Terroristen geworden, die das Machtvakuum ausnutzen. Wie der „Deutschlandfunk“ unter Berufung auf libysche Quellen bereits vergangenes Jahr berichtete, versuchten die Terroristen auch, Migranten und Flüchtlinge zu rekrutieren. Sei es unter Androhung von Gewalt, sei es mit dem Versprechen eines Soldes. Angeblich zahlt der die Terrormiliz Islamischer Staat monatlich 2000 libysche Dinar, etwa 600 Euro.

Was wird und soll getan werden?

Im Mittelmeer: Deutschland und weitere EU-Staaten sind an mehreren militärischen Missionen im Mittelmeer beteiligt, zu deren Zielen gehört, das Schleppergeschäft einzudämmen und Seenotrettung zu betreiben.

Hilfe für Libyen: Die Europäer wollen nun vor allem die Libyer dazu bringen, ihre Grenzen zu schützen. So wollen die Italiener Libyen bei der Ausbildung einer modernen Küstenwache unterstützen, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“.

Innereuropäische Grenzkontrollen: Österreich etwa kündigte bereits an, die Grenze zu Italien noch schärfer kontrollieren zu wollen.

Lager für Migranten: Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte Auffanglager in Nordafrika, etwa in Tunesien vorgeschlagen, auch die SPD unterstützt diesen Vorstoß mittlerweile. Dorthin sollen gerettete Flüchtlinge wieder zurückgebracht werden und dort versorgt und betreut werden.

Legale Zuwanderung und Verteilung: Häufig wird legale Zuwanderung für Flüchtlinge mit realer Bleibeperspektive in der EU gefordert. So soll Schleppern die Geschäftsgrundlage entzogen und die gefährliche Überfahrt verhindert werden. Migrationsexperten Schamman hält dies für die vielversprechendste Möglichkeit. Flankiert von einem festen Verteilungssystem für die Mittelmeer-Flüchtlinge würde dies auch dazu führen, Streit innerhalb der EU zu verhindern.

Quelle: Focus

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