Kassel. Das Land Hessen hat nach der Schließung vieler seiner Erstaufnahmen für Flüchtlinge in der Region Tausende Holzbetten vernichtet – obwohl der Großteil noch brauchbar war.
Weil für die Betten auf die Schnelle keine weitere Verwendung gefunden wurde, hat man sie zersägt und in Müllcontainern entsorgt. Das bestätigen mehrere Insider aus der Flüchtlingsarbeit gegenüber der HNA.
In der Hochphase der Flüchtlingskrise Ende 2015/Anfang 2016 gab es in den 16 Erstaufnamen im Bereich des Regierungspräsidiums (RP) Kassel insgesamt 14.000 Plätze – davon 3500 in Stadt und Landkreis Kassel. Nach Informationen der HNA waren die meisten Unterkünfte mit einfachen Holzbetten ausgestattet.
Das RP Gießen, das inzwischen für alle Erstaufnahmen in Hessen zuständig ist, räumte erst auf mehrfache Nachfrage ein, dass im vergangenen Sommer im Zuge der Auflösung von Unterkünften Holzbetten entsorgt wurden. Man habe keine Lagerräume dafür gefunden, sagte ein RP-Sprecher. Eine Bettenvernichtung „im großen Stil“ habe es aber nicht gegeben. Um wie viele Betten es sich handelte, konnte der Sprecher jedoch nicht sagen.
Nach den Zahlen, die das RP vorlegte, wurden für die Hessischen Erstaufnahme-Einrichtungen rund 57.000 Betten beschafft, von denen noch 47.000 einsetzbar sind. Zudem wurden 50.000 Matratzen gekauft, von denen noch 35.000 übrig sind. Der Großteil des Mobiliars geschlossener Erstaufnahmen werde eingelagert, sagte der RP-Sprecher. Ein Teil der Gegenstände sei durch den Gebrauch oder durch Beschädigungen beim Rückbau nicht mehr weiterzuverwenden.
Zumindest in Nordhessen lief das offensichtlich anders. Ab April 2016 wurden erste Einrichtungen aufgelöst. Die Holzbetten waren damals zunächst auseinandergebaut worden. Dann, so schildert es ein Beteiligter, sei ein Landesbediensteter gekommen und habe angeordnet, alles wegzuwerfen.
Insider berichten
Als Anfang April vergangenen Jahres die Erstaufnahme für Flüchtlinge in der Landesfeuerwehrschule an der Dönche geschlossen wurde, halfen auch Flüchtlinge beim Abbau der Betten und Holzkabinen. Sie waren froh, eine Aufgabe zu haben – doch ihre Arbeit war für die Katz’. Denn wenig später wurden die Latten und Bretter einfach weggeschmissen.
Was fehlte, war ein Abnehmer für die Betten. Auch Platz zum Einlagern konnte auf die Schnelle nicht gefunden werden. Der Zeitdruck war groß: Innerhalb einer Woche sollte die Halle geräumt sein. Dann sei ein Mitarbeiter des Landesbetriebs Immobilien und Bauen in Hessen (LBIH) gekommen – so schildert es ein Beobachter – habe einen kurzen Blick auf die Teile geworden und gesagt: „Weg damit“. „Das war für den ohne Wert.“
So wurde offenbar in den meisten der Erstaufnahmen in der Region verfahren. „Es kam zum Kettensägenmassaker“, beschreibt es ein Insider aus der Flüchtlingsarbeit. Die Betten seien zersägt und zur Entsorgung gebracht worden. Ein Teil der Betten sei in der Tat verwohnt und nicht mehr zu gebrauchen gewesen. „Aber mindestens 50 Prozent – und das ist sehr konservativ geschätzt – waren noch völlig in Ordnung.“ Auch die Mitarbeiter des Regierungspräsidiums (RP) Kassel seien entsetzt über die massenhafte Vernichtung der Betten gewesen. Sozial Schwache und nicht zuletzt die vielen Flüchtlinge, die mit der Zeit ja nach und nach in Wohnungen zögen, hätten die Betten noch gebrauchen können, sagt der Fachmann aus der Flüchtlingsarbeit. „Aber die Geduld, nach Abnehmern zu suchen, hatte man nicht.“ Das Land habe argumentiert, die Betten müssten desinfiziert werden, bevor man sie weitergeben könnte. Zudem sei der Arbeitsaufwand, um alle Betten auseinanderzubauen als zu groß angesehen worden.
Für die Ausstattung der meisten Erstaufnahme-Einrichtungen, die 2015 unter dem enormen Druck der großen Flüchtlingszahlen aus dem Boden gestampft werden mussten, waren seinerzeit vor allem Ikea-Betten angeschafft. Das einfache Holzbett, Modell „Fjellse“ (Kosten laut Katalog: 39 Euro) wurde dann mit selbst entwickelter Methode zum Doppelstockbett montiert. Zumindest in Nordhessen seien die meisten Erstaufnahmen mit diesen Holzbetten ausgestattet gewesen, berichtet der Insider. Späten kamen dann Metallbetten zum Einsatz, die robuster und leichter zu reinigen seien.
Auch die Matratzen in den Erstaufnahmen seien entsorgt worden. Dabei habe es sich allerdings ausdrücklich um um Einwegmatratzen gehandelt. Inzwischen setzt das Land auf Matratzen mit Kunststoffüberzug, die gereinigt werden können. Inzwischen gibt es in der Region in Calden sowie Rotenburg Lager für überschüssiges Mobiliar aus den Erstaufnahmen. Holzbetten wird man dort nicht finden.