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Mrz 09

Ausländer im Nachtleben – Wenn Willkommenskultur an Grenzen gerät

Wo getanzt und getrunken wird, treffen Kulturen aufeinander – zuweilen nicht friedlich.
Foto: Picture Alliance

Halle (Saale)/Leipzig –

Ungefragt sagt der Mann das Wort. Obergrenze. So viele dürfen rein, danach ist Schluss. Seine Männer an der Tür wissen Bescheid, die zählen mit. Danach haben Leute aus der Türkei, aus Nordafrika oder vom Balkan keinen Platz in seinem Tanzschuppen, selbst wenn drinnen noch Platz ist.

„Das geht nicht, weil es das ganze Geschäft kaputt macht“, sagt der Mann, der jahrelange Nachtklub-Erfahrung hat: Zu viele von denen und die anderen bleiben weg, vor allem die Frauen. Fehlen die erst, kommt keiner mehr. „Dann hast du nur noch betrunkene Araber im Laden.“

Clubbetreiber in Sachsen und Sachsen-Anhalt bemerken die steigenden Flüchtlingszahlen

Der Mann kennt sich aus. Er ist Chef einer großen Disco in Sachsen-Anhalt. Er hat Wurzeln im Ausland, weshalb er ganz locker auch ein Wort wie „Ausländerquote“ in den Mund nimmt. „Ich habe da kein Problem.“ Schließlich sei die Sache doch so gewesen, als es losging mit den Flüchtlingen: „Kein Mensch hat uns gefragt, wie wir das in den Griff bekommen.“

„Das“ ist das Aufeinandertreffen von Kulturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Hier das deutsche Nachtleben, bierselig, mit sexy Klamotten und komplizierten Flirtcodes.

Dort junge Männer aus Nordafrika, Muslime vom Balkan und Teenager aus den Kriegsgebieten Afghanistans. Viele von ihnen haben noch nie Alkohol getrunken, nie öffentlich getanzt und kein Mädchen geküsst.

Das Ergebnis beklagte der Freiburger Klub White Rabbit schon im Januar: Es komme zu sexueller Belästigung, Angriffen gegen Türsteher und Taschendiebstählen. „Viele unserer weiblichen Gäste fühlen sich nicht mehr wohl“, hieß es in einer Mail an Veranstalter, die gebeten wurden, über Lösungen für eine Situation nachzudenken, die inzwischen die meisten Discobetreiber in Deutschland kennen.

Conne Island in Leipzig wollte sich für Flüchtlinge öffnen

Auch das Conne Island in Leipzig, ebenso wie das „White Rabbit“ ein weltoffener, toleranter Laden aus der linksalternativen Ecke. Als der Flüchtlingsstrom vor einem Jahr anschwoll, beschloss das Betreiberkollektiv, seinen Laden „aktiv für Geflüchtete zu öffnen und ihnen das kulturelle Angebot für den Spendenbeitrag von 50 Cent zur Verfügung zu stellen“.

Der alternative Leipziger Klub Conne Island.

Der alternative Leipziger Klub Conne Island.

Foto: Picture Alliance

Mit integrativen Projekten wie Skateboard- und Fahrradselbsthilfeworkshops oder Deutschkursen wollte der im Volksmund „Eiskeller“ genannte Klub seinen Beitrag zur Willkommenskultur leisten.

Ein Jahr danach ist die Ernüchterung groß, wie ein Offener Brief des Conne-Island-Plenums verrät. „Gemeinsam zu feiern und wie von selbst eine Integration junger Geflüchteter zu erreichen, stellte sich als recht naiver Plan heraus“, heißt es da.

Die Aktivisten aus dem antifaschistisch, feministisch und antirassistisch geprägten Klub haben das schmerzlich erfahren: Der „Refugee-Fuffziger“ zog vor allem Scharen junger Männer an.Und deren „stark autoritär und patriarchal geprägte Sozialisation und die Freizügigkeit der westlichen Feierkultur“ (Conne Island) bildeten im buntbemalten Haus in der Koburger Straße „mitunter eine explosive Mischung“.

Die Zahl sexistischer Übergriffe nahm zu, ebenso die der Rangeleien und Prügeleien, Gäste beklagten „aufdringliche Blicke, Sprüche und Gegrapsche“. So schlimm, dass die im grünalternativen Connewitz nicht gern gesehene Polizei eingeschaltet werden musste, „da das Maß an körperlicher Gewalt nicht mehr zu handhaben war.“

Über Monate versuchte das Plenum des „Eiskeller“ hinter verschlossenen Türen Frauenschutz und Integration zugleich zu organisieren. Das Security-Personal wurde aufgestockt, der Refugee-Fuffziger nur noch mit Voranmeldung gewährt. Mehr als nur eine „leichte Entspannung der Situation“ aber konnte nicht erreicht werden.

Anspannung statt Partystimmung: Erfahrungen des Conne Island in Leipzig und anderer Clubs in Halle

Es herrscht zuweilen immer noch Anspannung im Saal, nicht lockere Partystimmung – und nicht nur in diesem. Frauke, eine regelmäßige Discobesucherin aus und in Halle, hat ähnliche atmosphärische Veränderungen auch in anderen Häusern bemerkt.

Die 25-Jährige, die sich selbst als Linke bezeichnet, erzählt vom Spießrutenlauf zur Toilette, von jungen Männern, die sich Frauen in den Weg stellen und die Hände ausfahren. „Die lächeln dabei, aber du findest das gar nicht witzig, wenn da fünf in der Nähe stehen.“

Die Folge solcher Begegnungen der unheimlichen Art bemerken Disco- und Klubbetreiber recht bald. „Frauen und Mädchen verzichten auf Besuche, um Übergriffen aus dem Weg zu gehen“ beschreibt das Conne Island.

Denn „wer bereits die Erfahrung einer ungewollten Berührung im Schritt oder eines umzingelnden, penetranten Antanzversuchs gemacht hat, überlegt sich zweimal, ob ein Samstagabend mit Netflix nicht sinnvoller ist, als sich mit aufdringlichen Blicken, Sprüchen und Gegrapsche auseinanderzusetzen.“

Ein Problem, das für einen Klub schnell existenzbedrohend werden kann, wie ein Betreiber aus dem Saalekreis vorrechnet. „Kommen die Mädchen nicht mehr, bleiben die Jungs auch weg“, sagt er, „du kannst gar nicht so schnell gucken, dann bist du als Laden tot.“

Irgendwo zwischen 25 und 30 Prozent liege eine magische Grenze, glaubt einer seiner Kollegen, der seinen Namen wie die meisten Betreiber nicht gedruckt sehen will. „Bis ein Viertel Ausländer ist okay, drüber hinaus wird es kitzlig“, ist er sicher. Vor allem in Gruppen neigten junge Männer mit wenig Alkoholerfahrung zur Selbstüberschätzung. Sie würden laut, sie fühlten sich stark. „Ist dann auch noch eine konkurrierende Gruppe in der Nähe, kracht es.“

Das ist kein Phänomen, das mit den Flüchtlingen kam. Aber eines, das durch die Flüchtlinge verschärft wurde, wie ein Mitarbeiter einer Security-Firma ausführt. „Es gab ja immer schon Leute, die gefordert haben, wir sollen alle reinlassen, egal, wer es ist.“ Ein blauäugiges Ansinnen, glaubt er, denn so funktioniere die Nacht nicht.

„Würde man das machen, gäbe es nur noch Krawall.“ Die Security eines Klubs wisse ganz genau, wer auf wen losgelassen werden dürfe. Und wer besser nicht. „Hast du zehn Bosnier drin, versuch’ besser, die Russen nicht reinzulassen.“

Ebenso verhalte es sich mit alteingesessenen Türken, die sich „nicht immer gut mit Nordafrikanern verstehen.“ Ein Bier zu viel, ein Wort zu laut. „Und es knallt.“ Die große Kunst des guten Türstehers sei es, das zu wissen. Die Leute mit einem Blick einschätzen zu können. Und sie wegzukomplimentieren, ohne dass es Ärger gibt.

Ist es Rassismus oder Fingerspitzengefühl, wie Clubbetreiber mit Ausländern umgehen?

So halten es alle Betreiber. Nur offiziell dürfen sie das weder denken noch sagen, geschweige denn tun. Ist das Rassismus? Nein, Fingerspitzengefühl, sagt einer, der sicher ist, „dass wir nur so dafür sorgen können, dass alle sich wohlfühlen“.

Was das Conne Island gemacht habe, sei eine „Einladung für Idioten“: „Gut gemeint, aber dumm.“ Bei ihm habe es nach dem Beginn des Flüchtlingszustroms zwar mehr ausländische Besucher gegeben, unter denen neben Studenten bis heute auch zahlreiche Flüchtlinge seien. „Aber mehr Ärger gab es nicht, weil wir aufpassen, dass es nicht zu viele werden.“

Im Conne Island, wo die Türen für alle offenstanden, lief es anders. Der „Refugee-Fuffziger“ wurde, so sehen es die Initiatoren heute, „durch junge Männer mit Migrationshintergrund missbraucht, die in größeren Gruppen Tanzveranstaltungen besuchten, um dort für Stress zu sorgen“.

Auch die Security habe sich nicht mehr zu helfen gewusst. Neben der Sprachbarriere herrsche unter den Mitarbeitern an der demonstrativ für alle offenen Tür die Angst, als Rassist beschimpft zu werden. „Weil man seine Arbeit macht“, wie ein Türsteher sagt, der selbst türkische Wurzeln hat. Die, die mit diesem Vorwurf kämen, seien häufig wohlmeinende deutsche Gäste, „die die Zusammenhänge so wenig kennen wie unsere Türregeln.“

Die hat jedes Haus, um, wie der hallesche Klubbetreiber Matthias Golinski sagt, „die Einlasspolitik auf eine einheitliche Grundlage zu stellen“. In seinen alternativ geprägten Drushba-Klub finden zwar nicht so viele Flüchtlinge wie in die Mainstream-Discos, weil bei ihm, vermutet der Klubchef, „nicht die Musik gespielt wird, die im arabischen Raum angesagt ist“.

Doch die Probleme nur emotional beurteilen, wie das manche seiner Drushba-Gäste täten, wenn sie vor der Tür mitbekommen, dass jemand vom Personal nicht eingelassen werde, „kann ich mir trotzdem nicht erlauben“.

Zu viel hängt daran, versicherungstechnisch, atmosphärisch und für den Eindruck von Besucherinnen und Besuchern, dass sie sich im mehrfach mit Preisen ausgezeichnete „Drushba“ wohlfühlen können. „Unsere Regel ist deshalb, dass Betrunkene und Leute ohne Ausweis draußen bleiben müssen“, sagt Golinski.

Das gelte unabhängig von der Herkunft, treffe allerdings Flüchtlinge häufiger als deutsche Gäste. „Das liegt daran, dass viele von ihnen nur eine Art Zettel haben, mit dem sie sich ausweisen können.“ Diese Din-A4-Blätter aber enthielten nicht einmal ein Passbild, so dass er als Betreiber seiner Pflicht, das Alter der Leute zu prüfen, die er einlasse, einfach nicht nachkommen könne. Der Staat lasse die Betreiber hier faktisch allein. „Also sagen wir denen notgedrungen, tut uns leid, du musst draußen bleiben.“

Damit erntet Golinski manchmal Unverständnis, aber „die Leute begreifen, das sind die Regeln“. Schaue er zum Conne Island, dann sehe er einen „blauäugigen Versuch, der von der Realität eingeholt“ wurde. Matthias Golinski sieht ihn allerdings auch als Beleg für die Richtigkeit seiner Regeln: „Wenn ich weiß, wer drin ist, kann ich mich freuen, wenn alle Nationalitäten zusammen tanzen.“

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