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Mrz 01

Aufregung um Satz über „Volk“: Warum Merkel das Staatsvolk nicht neu definieren kann, aber präzise formulieren muss


Pegida-Anhänger demonstrieren zum zweiten Mal in Karlsruhe, dpa/Daniel Naupold

Ein markantes Merkmal der Kanzlerin ist ihre Rationalität. Man kann Angela Merkel wahrhaftig nicht nachsagen, sie handele aus dem Bauch heraus. Eher sagt man ihr Emotionslosigkeit nach, wie etwa bei ihrem Gespräch mit dem Flüchtlingsmädchen Reem, dem sie erklärte, dass nicht alle, die nach Deutschland kommen, auch bleiben können.

„Wir schaffen das“, der einzige Satz, der nach Spontanität klingt, ist ihr hingegen mächtig vor die Füße gefallen. Und nun sorgt ein weiterer Satz für Aufregung. „Das Volk ist jeder, der in diesem Land lebt“, hatte sie am Wochenende in Mecklenburg-Vorpommern gesagt und damit die Populisten der AfD und von noch weiter rechts zu Proteststürmen veranlasst.

Der Satz der Kanzlerin: Eine Neudefinition des deutschen Volkes?

So wenig gelungen diese Formulierung war, so wenig eignet sie sich, um Merkel eine Neudefinition des deutschen Volkes zu unterstellen. Man darf getrost davon ausgehen, dass die Kanzlerin das Grundgesetz kennt und auch zwischen Volk und Bevölkerung zu differenzieren weiß – auch wenn sie Physikerin und nicht Juristin ist. Sie kann und wird nichts daran ändern, dass zum Staatsvolk lediglich diejenigen gehören, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen und damit auch darüber bestimmen können, wer in den nächsten Bundestag einzieht und wer in den kommenden vier Jahren regiert.

Wolfgang Bosbach, der nun wahrhaftig nicht im Verdacht steht, der Kanzlerin nach dem Munde zu reden, hat in der „Bild“-Zeitung betont, dass es zu unterscheiden gilt zwischen denen, die in einem Staatsgebiet leben, und denen, die zum Souverän gehören. Aber er beschreibt dann treffend: „Das ändert nichts daran, dass sowohl die Regierung als auch das Parlament der gesamten Bevölkerung gegenüber verpflichtet sind, denn ihre Entscheidungen betreffen stets die ganze Gesellschaft, unabhängig von Herkunft und Staatsangehörigkeit.“

Merkel wollte Kontrapunkt zum Slogan „Wir sind das Volk“ setzen

Merkel ging es darum, einen Kontrapunkt zu dem Slogan „Wir sind das Volk“ zu setzen. Das ist übrigens nicht neu. Schon zum Tag der deutschen Einheit im vergangenen Oktober hat sie an die Zeit vor der Wende erinnert, als „Wir sind das Volk“ ein „sehr emanzipatorischer“ Ruf gewesen sei. „Menschen, die in der sozialistischen Diktatur nicht zu Wort gekommen sind, haben sich die Freiheit genommen, auf sich aufmerksam zu machen“, sagte sie.

„Heute haben wir eine andere Situation: Wir haben heute eine Ordnung, in der jeder das Recht hat, frei seine Meinung zu sagen, zu demonstrieren. Und deshalb muss man sagen: Alle sind das Volk. Die, die das heute rufen – zum Teil auch mit rechtem Hintergrund, was ich natürlich nicht richtig finde und wogegen wir auch auftreten müssen, aber auch Menschen, die vielleicht zu kurz gekommen sind, wie sie glauben.“ Und man möchte hinzufügen: Zum Volk zählen auch all diejenigen, die weder zur ersten noch zur zweiten Kategorie gehören, aber die freiheitliche Demokratie, den Rechtsstaat und die Presse- und Meinungsfreiheit zu schätzen wissen.

Angela Merkel ist keine große Rednerin. Das weiß man. Doch sie vermag ihre Worte präzise zu setzen. So kennt man sie auf dem internationalen Parkett und in schwierigen Verhandlungen. Diese Präzision wird sie auch im Wahlkampf an den Tag legen müssen, denn die Bühnen in Mecklenburg-Vorpommern und anderswo in der Republik sind in den kommenden Monaten nicht weniger wichtig als die in Brüssel, Ankara oder Washington. In politisch aufgeladenen Zeiten wie aktuell kommt es auf jedes Wort an.

Im Video: „Angela, hilf uns“: CDU-Landeschef ruft nach Merkel wegen „verrückten Staatenlenkern“

Quelle

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