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Mai 05

Flüchtlinge: Dieser Vergleich zeigt die Dimension der Asylzuwanderung

Der Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland erfolgt nicht mehr so zügig wie vor der Abriegelung der Türkei-Griechenland-Balkanroute. Dennoch kommen monatlich immer noch rund 15.000 neue Schutzsuchende über die Grenzen.
Quelle: N24/Christin Brauer

Nach Deutschland kamen 2017 bisher mehr Schutzsuchende, als Flüchtlinge über EU-Außengrenzen einreisten. Viele kommen aus Italien hierher. CDU und CSU bestehen deshalb auf Grenzkontrollen.

Längst erfolgt der Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland nicht mehr so zügig wie vor der weitgehenden Abriegelung der Türkei-Griechenland-Balkanroute vor mehr als einem Jahr. Dennoch kommen seither immer noch Monat für Monat rund 15.000 neue Schutzsuchende über die deutschen Grenzen.

Aufhorchen lässt, dass mit rund 60.000 in diesem Jahr bis Ende April mehr Asylsuchende nach Deutschland kamen, als im selben Zeitraum über die europäischen Außengrenzen einreisten. Das waren nämlich laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) nur rund 44.000, davon allein 37.000 in Italien.

Weil die Zahl der innereuropäischen Asylbewerber – vor allem aus den Balkanstaaten – nur noch gering ist und weder über Spanien noch über Griechenland viele Schutzsuchende aus anderen Kontinenten einreisen, bleiben zwei Begründungen für die hohen Ankunftszahlen in Deutschland: Die unerlaubte Weiterwanderung von schon länger in Europa lebenden Migranten nach Deutschland ist höher als angenommen, und viele der aus Afrika nach Italien übergesetzten Migranten „fliehen“ immer noch oft weiter nach Norden.

Ruf nach besserem Schutz der EU-Außengrenze

So mehren sich in der Union die Stimmen, die innerhalb Europas stärkere Grenzkontrollen fordern. „Die Italiener winken anders als 2015 die Griechen die Neuankömmlinge aus Afrika nicht mehr durch nach Norden, doch immer noch gibt es eine signifikante Bewegung von dort nach Deutschland“, sagte Ansgar Heveling, der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, der „Welt“.

Der CDU-Politiker fügte hinzu: „Deswegen brauchen wir nicht nur die bestehenden Grenzkontrollen zwischen Bayern und Österreich, sondern auch zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz müssen die Kontrollen verstärkt werden.“ Heveling stimmt dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zu, der am Dienstag wieder eine Kontrolle der Brenner-Grenze zwischen Italien und Österreich ins Spiel brachte. Heveling sagte: „Sollte die illegale Weiterwanderung aus Italien deutlich zunehmen, darf auch eine Sicherung des Brenners kein Tabu sein.“

Die Maßnahmen an den Binnengrenzen seien so lange notwendig, bis Europa die unerlaubte Zuwanderung über seine Außengrenzen in den Griff bekommen habe. „Die EU-Kommission sollte nicht nach einem Ende der Binnengrenzkontrollen rufen, solange sie keinen soliden Außengrenzschutz gewährleisten kann und nicht die zehntausendfache illegale Wanderung aus Afrika nach Italien gestoppt hat“, kritisiert Heveling.

Drittstaaten-Regelung funktioniert praktisch nicht

Die EU-Kommission hatte Deutschland, Österreich und drei weiteren Ländern am Dienstag systematische Grenzkontrollen zwar noch einmal zugestanden, sie gleichzeitig aber aufgefordert, die Kontrollen innerhalb des nächsten halben Jahres einzustellen. Die Bundesregierung hatte am Mittwoch über einen BMI-Sprecher entgegnet, dass „sowohl aus migrations- als auch aus sicherheitspolitischen Gründen ein Verzicht auf die derzeit durchgeführten Grenzkontrollen nicht infrage kommt“.

Bei diesen Grenzkontrollen geht es ausdrücklich nicht um eine sanfte Form der Grenzschließung: Nach Auffassung der Bundesregierung und aller Bundestagsfraktionen ist Deutschland letztlich verpflichtet, jeden tatsächlich hier Schutzsuchenden einreisen zu lassen.

Um jedoch eine Situation zu vermeiden, in der sehr viele Migranten, die es nach Europa geschafft haben, in die Bundesrepublik weiterreisen, war Anfang der 90er-Jahre von den EU-Staaten das Konzept der sicheren Drittstaaten beschlossen worden. Seitdem berechtigt allein die Durchreise durch einen solchen Drittstaat die Bundesrepublik zur Einreiseverweigerung. Aus dem Wortlaut des Paragrafen 18 des Asylgesetzes („Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn er aus einem sicheren Drittstaat einreist“) ergibt sich sogar nicht nur die Zulässigkeit der Zurückweisung an der Grenze und im grenznahen Raum, sondern sogar die Verpflichtung dazu.

Die Bundesregierung folgt aber einer Strömung der Ausländerrechtler, die in der Nichtanwendung dieser Gesetze kein grundsätzliches Problem sehen, weil das gesamte deutsche Recht inklusive Grundgesetz als vom EU-Recht überlagert betrachtet wird. Unabhängig von deutschen Gesetzen gelten demnach die Dublin-Regeln: Dem europäischen Asylsystem zufolge muss bei jedem Asylsuchenden an der deutschen Grenze zumindest geprüft werden, welcher EU-Staat für das Verfahren zuständig ist. Ist eine Rücküberstellung dorthin – wie in den meisten Fällen – nicht möglich, wird das Asylverfahren dennoch in Deutschland durchgeführt.

Gegner dieser Rechtsauslegung argumentieren, dass durch diese faktische Nichtanwendung dieser Regeln das europäische Asylsystem nicht mehr als Argument herangezogen werden könne, um die im deutschen Recht vorgesehenen Zurückweisungen auszusetzen. Einstweilen zeichnet sich freilich keine Änderung an der Auffassung der Bundesregierung ab. Die Konsequenz ist: Die Asylzuwanderung nach Deutschland hängt weiterhin maßgeblich davon ab, ob Italien die Migration in den Griff bekommt.

Doch die wird nach Auffassung der meisten Beobachter nicht abnehmen, solange die aus den Booten geretteten Afrikaner sowohl von staatlichen als auch privaten Rettungsschiffen nach Italien gebracht werden. Zur Alternativlösung, dem Aufbau geeigneter Zentren in Nordafrika, um viele gerettete Migranten dort zu versorgen, gibt es derzeit keine berichtenswerten Fortschritte.

Quelle: Welt

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