Wie sicher sind Frauen in bayerischen Flüchtlingsunterkünften? Diese Frage stellt sich nicht erst seit den jüngsten Auseinandersetzungen im Ankerzentrum Regensburg und dem – wie die Polizei inzwischen bekanntgegeben hat – natürlichen Tod einer 31-jährigen Nigerianerin.
Sexuelle Übergriffe bis hin zu brutaler Gewalt
Unsere Reporterin Anja Wahnschaffe recherchiert seit einem Jahr in bayerischen Flüchtlingsunterkünften, hat mit Sozialarbeitern, Hilfsorganisationen, Anwälten und betroffenen Frauen gesprochen. Sie alle bestätigen: Es gibt Willkür und unfassbar viele Übergriffe – sexuelle, aber auch primitive Gewalt gegen Frauen.
Katrin Bahr arbeitet für die Organisation Condrobs und ist unter anderem für eine Unterkunft in München zuständig, eine Art Frauenhaus für weibliche Flüchtlinge.
„Wenn sie Vertrauen gefasst haben, erzählen sie sehr, sehr schlimme Geschichten – von Gewalt, von Übergriffen oder von einer übergriffigen Atmosphäre, auch von Obszönitäten, die ihnen ins Ohr geflüstert werden von anderen Menschen in der Unterkunft oder möglicherweise auch von der Security oder angefasst werden, an den falschen Stellen oder bei Durchsuchungen.“ Katrin Bahr, Condrobs
Hunderte von Übergriffen in Flüchtlingsunterkünften
Sexuelle Übergriffe bis hin zu brutaler Gewalt – dass das zum Alltag von Frauen in Flüchtlingsunterkünften gehört, belegt auch eine Statistik des bayerischen Innenministeriums. Demnach gab es 2018 in bayerischen Asylbewerberunterkünften 219 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und weitere 534 Fälle von Gewaltkriminalität gegenüber Frauen – dazu zählen unter anderem Vergewaltigungen und schwere sexuelle Nötigungen, aber auch gefährliche Körperverletzung.
Zum Täterkreis steht in der Statistik nichts – Täter kann also jeder sein – vom Sicherheitspersonal über Behördenmitarbeiter bis hin zu männlichen Flüchtlingen, die dort wohnen. Katrin Bahr von Condrobs glaubt, dass die Dunkelziffer hoch ist. Doch kaum eine Betroffene will darüber sprechen, viele haben den Mut verloren, fühlen sich ausgeliefert und hoffnungslos.
Männliches Wachpersonal stört Frauen in Duschräumen
Auch Gloria und Blessing, zwei junge Frauen, die im Ankerzentrum Manching/Ingolstadt untergebracht sind, sind zutiefst deprimiert. Doch die beiden Nigerianerinnen geben nicht auf und haben sich unserer Reporterin anvertraut.
„Ich war nackt und habe mich gewaschen, dann kam plötzlich ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes ins Zimmer. Er hat einfach die Tür geöffnet und ist reingelaufen. Ich habe zu ihm gesagt, was machen Sie hier? Das ist ein Zimmer für Frauen.“ Gloria, 21 Jahre
Gloria hat den Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes angezeigt. Laut Polizei prüft derzeit die Staatsanwaltschaft Ingolstadt, ob ein Straftatbestand vorliegt. Der mutmaßliche Übergriff ist kein Einzelfall. Blessing, die seit eineinhalb Jahren im Ankerzentrum Manching lebt, sagt, so etwas komme häufiger vor. „Uns kommt es so vor, als ob sie absichtlich reinkommen, um uns nackt zu sehen“, sagt die junge Mutter. Auch anderen Frauen sei es schon passiert.
„Wenn wir uns bei den Sicherheitsdienstmitarbeitern beschweren, lachen sie uns aus, als ob wir dumm wären, als ob wir Müll erzählen würden. Dieses Lager ist ganz, ganz schlimm. Dort gibt es keine Gerechtigkeit. Sie machen einfach, was sie wollen. Sie wissen, dass sich niemand für uns einsetzt.“ Blessing, Nigerianerin, lebt seit eineinhalb Jahren im Ankerzentrum Manching
Behörde spricht von Fingerspitzengefühl und Respekt
Die Regierung von Oberbayern erklärt als zuständige Behörde für das Ankerzentrum, es lägen keine Erkenntnisse vor, dass Frauen von Sicherheitsmitarbeitern während der Nutzung der Duschen gestört würden. In einer Stellungnahme schreibt die Behörde, Kontrollen seien stets mit einer weiblichen und einem männlichen Sicherheitsmitarbeiter durchzuführen.
Die Sicherheitsmitarbeiter seien angehalten, mit Fingerspitzengefühl vorzugehen und die Privatsphäre der Bewohner zu respektieren. Demnach dürfen männliche Security-Mitarbeiter nur in Männer-Waschräume zur Kontrolle, weibliche in die der Frauen.
Doch offenbar beachten männliche Security-Mitarbeiter diese Vorgaben nicht immer. Eine Stellungnahme zu den Vorwürfen wollte die zuständige Sicherheitsfirma nicht abgeben.
Der Willkür von Männern ausgeliefert
Blessing und Gloria, die schon viel Gewalt in ihrem Leben erfahren haben, fühlen sich auch in Deutschland wieder der Willkür von Männern ausgeliefert.
„Wir sind Menschen. Einer weißen Frau würden sie das nicht antun, nur weil wir schwarz sind, machen sie das mit uns. Das ist nicht gut.“ Gloria, Mutter eines Babys
Die Frauen im Ankerzentrum Manching/Ingolstadt beklagen auch, dass sie ihre Zimmer nicht abschließen können. So ist es in den meisten Ankerzentren geregelt. Das bayerische Innenministerium schreibt dazu, das sei aus Gründen des Brandschutzes, der Sicherheit und der Belegungssituation notwendig.
Frauen in Ankerzentren dürfen ihre Zimmer nicht abschließen
Eine Regelung, die fatale Folgen für die Betroffenen haben kann, erklärt die Asylrechtsanwältin Juliane Scheer. Gerade geflüchtete Frauen, die schon viel durchgemacht haben, werden der Anwältin zufolge durch nicht abschließbare Zimmer und unerwartete Kontrollen durch Sicherheitspersonal völlig verunsichert.
Rein rechtlich gesehen dürfte ohne Zustimmung der Bewohner das Zimmer nicht betreten werden, sagt Scheer, außer bei Gefahr in Verzug. Doch wer hat die Definitionsmacht in dem Moment? Die unterschiedlichen Regelungen deuteten darauf hin, dass Willkür herrsche, sagt Anwältin Juliane Scheer.
Katrin Bahr und Juliane Scheer kritisieren, dass in vielen bayerischen Flüchtlingsunterkünften strukturelle Missstände herrschten. Dabei verweist Rechtsanwältin Scheer auf die Istanbul-Konvention – eine internationale Regelung, die auch Deutschland 2017 anerkannt hat. Diese legt Maßstäbe fest, die Frauen vor Gewalt schützen sollen. Ihrer Meinung nach gehört dazu auch, dass Frauen ihre Zimmer abschließen können.