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Nov 14

Hambacher Forst: Hand in Hand mit Extremisten?

Aktivisten protestieren gegen die Rodung des Hambacher Forsts
Quelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Ein großes Bündnis von Demonstranten hat gegen die Rodung des Hambacher Forsts demonstriert. Nun kritisieren Innenministerium und Verfassungsschutz, dass sich bürgerliche Protestgruppen von Linksextremen vereinnahmen ließen.

Groß war die Empörung, als Polizisten im Hambacher Forst mit Fäkalien beworfen wurden. Ähnlich stark empörte die Polizisten aber noch etwas anderes in diesem Einsatz: Nach den Fäkalienattacken versuchten sie, die Täter zu fassen. Doch andere, offenbar gewaltfreie Demonstranten stellten sich in den Weg – und hinderten sie daran.

Dieses scheinbar friedliche Umfeld linksextremer Krimineller störte die Arbeit der Polizei immer wieder, während sie die illegale Besetzung des Waldes zu beenden suchte. Mal tauchten Steinewerfer in einer Gruppe Hunderter Protestierer ab. Mal „versammelten sich Hunderte Demonstranten aus dem demokratischen Spektrum hinter dem Plakat ‚System Change, not Climate Change‘“, wie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) vergangene Woche auf einer Konferenz seines Hauses klagte.

Auf diesem Treffen zum Thema Linksextremismus mühten sich zahlreiche Sicherheitsexperten um Lehren aus den Gewaltexzessen von Hambach. Vor allem kritisierten sie dabei das Umfeld von Linksextremen, das die Grenzen zwischen legal und illegal systematisch aufweiche, indem es Straftäter dulde und decke. Darin sehen die Fachleute einen, wenn nicht den zentralen Grund für das Erstarken linksextremer Gewalt in Hambach, NRW und Deutschland.

Linksmotivierte Straftaten nehmen zu

Ein solches Erstarken lässt sich in der Tat als Langzeittrend der Kriminalstatistik entnehmen. So zählte der Verfassungsschutz 2017 in NRW 1374 linksmotivierte Straftaten, davon 191 Gewalttaten. Zehn Jahre zuvor waren es 649 Straftaten, davon 133 Gewaltdelikte. Für 2018 dürften die Zahlen erneut steigen, verkündete NRW-Verfassungsschutzchef Burkhard Freier. Schließlich wurden allein während der Räumung des Waldes 193 Straftaten angezeigt.

Unter anderem wurden Polizisten mit Pyrotechnik, Molotow-Cocktails, Steinen, Zwillengeschossen, Urin und Fäkalien attackiert. Zudem wird die linksextreme Szene laut Freier auch immer enthemmter, organisierter und vernetzter. Das belegten unter anderem die Kurse für Aktivisten, die von Autonomen im Hambacher Wald angeboten wurden. Dort unterrichteten sie Teilnehmer in Stockkampf-Techniken, in „offensivem Umgang mit Polizisten“ und über Wege, die eigene Identität (konkret: den Fingerabdruck) zu verheimlichen, etwa durch Abkleben der Fingerkuppen.

Was Reul aber besonders besorgte, war der erfolgreiche Versuch Linksextremer, „den demokratischen Protest in Teilen zu instrumentalisieren“ und „zivilgesellschaftliche Strukturen zunehmend zu beeinflussen“. Damit zielte er vor allem auf das Aktionsbündnis „Ende Gelände“, das Tausende Protestierer mobilisierte. Zu dessen Mitgliedern zählten auch Grünen-Politiker und der Bundesverband der Grünen Jugend.

Massiv beeinflusst wird das Aktionsbündnis laut Verfassungsschutz aber von der linksextremen Gruppe „Interventionistische Linke“ (IL). Der gehören zwar bundesweit nur 900 und landesweit knapp 200 Personen an. Durch ihren starken Einfluss auf „Ende Gelände“ können die Extremisten aber weit über ihren Kreis hinaus auf Unterstützer zählen. Tatsächlich lobte die Grüne Jugend zahlreiche rechtswidrige Besetzungsaktionen von „Ende Gelände“ und nahm auch selbst daran teil. Sie forderte sogar Solidarität mit von der Polizei ergriffenen Rechtsbrechern. Auf ihrer Website verkündeten die jungen Grünen, „im Falle einer Anklage der Klimaaktivist_innen“ brauche „das Bündnis Geld, um die Aktivist_innen bei den Anklagen finanziell unterstützen zu können. Wir fordern deswegen alle [auf], jetzt schon zu spenden.“

„Unfair und unredlich“

An dieser fehlenden inhaltlichen Distanzierung demokratischer Protestierer von den Extremisten rieben sich viele Experten auf der Konferenz. Dadurch sei in Hambach eine Atmosphäre entstanden, in der gemeinsames Handeln von Demokraten und radikalen Straftätern völlig legitim erschien. Das habe dazu geführt, dass die vielen Demokraten sich auch räumlich nicht von den wenigen Extremisten distanzierten. Und dies wiederum habe zur Folge gehabt, dass zahlreiche Gewaltdelikte begangen und nicht aufgeklärt werden konnten.

Viele Grüne empörten sich über solche Mahnungen. So schimpfte der grüne Landesvorstand Jan-Niclas Gesenhues, es sei „unfair und unredlich, die vielen friedlichen Demonstranten in eine extremistische Ecke zu stellen“. Zumal Spitzenvertreter der NRW-Grünen wie Monika Düker öffentlich stets jede Form der Gewalt verurteilt hatten.

Unstrittig ist aber: Die Demokraten in den Reihen von „Ende Gelände“ hätten wissen müssen, mit wem sie da paktieren. Schließlich ist die IL offiziell und für jeden recherchierbar Mitglied des Aktionsbündnisses „Ende Gelände“. Dutzende öffentliche Zitate von IL-Propagandisten sind bekannt, in denen sie sich zu militant-verfassungsfeindlichen Zielen bekennen. Mal prophezeien sie einen „letzten Kampf“ mit der Polizei, in dem es zum „finalen KO dieses Staates kommen“ werde. Mal gesteht die IL, sie hätte „nie gewaltfrei“ sein wollen und natürlich seien die Besetzer im Wald „anarchistisch“ geprägt. Regelmäßig bekennen sich die IL-Aktivisten auch dazu, in Hambach keineswegs nur fürs Klima, sondern auch gegen Kapitalismus, Staat und System zu kämpfen. Doch ihre demokratischen Unterstützer ließen sich davon nicht beirren.

Ein neuer Gewaltbegriff

All dies bewegte den Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke auf der Konferenz dazu, den gängigen Gewaltbegriff zu hinterfragen. Er regte an, künftig „auch die Duldung von und die Sympathie für Gewalttaten als Dimensionen der Gewalt“ zu bezeichnen. Auch Sicherheitskräfte sollten dieses gewaltfördernde Umfeld gründlicher erfassen als bisher.

In die Praxis lässt sich dies jedoch nicht so leicht umsetzen, wandten Polizeivertreter ein. Immerhin muss man einer Gruppe friedlicher Demonstranten erst nachweisen, dass sie wussten, wen sie in ihrer Gruppe untertauchen ließen. Und so begnügten sich viele Fachleute mit der bescheideneren Forderung, man müsse zumindest ein Bewusstsein schaffen für die Gefahr, die vom demokratischen Umfeld der Linksextremen ausgehe. Im Innenministerium hofft man, vielleicht werde eines Tages ja die stille Kameraderie mit jeder Form von Extremismus öffentlich geächtet.

Quelle: welt

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