Lehrern wurde mit dem Tod gedroht, Mädchen ins Gesicht gespuckt. Die Behörden versuchen, die Fälle zu vertuschen, und verbreiten nachweislich Unwahrheiten.
Zwei Monate können eine lange Zeit sein, wenn man in Angst, ja gar in Todesangst lebt. So lange liess der Stadtschulrat von Schaffhausen den Fall Amir (Name geändert) liegen. Im November 2016 hatte ein Lehrer im Schulhaus am Bach bei Stadtschulratspräsidentin Katrin Huber (SP) Alarm geschlagen. Kameraden der dritten Sekundarklasse gegenüber drohte der siebzehnjährige Mazedonier, den Lehrer «abzustechen» und seine Klassenlehrerkollegin «aufzuschlitzen», wie Recherchen der Weltwoche ergaben. Mitschüler meldeten dies sofort den Betroffenen, und diese informierten die Schulratspräsidentin.
Darauf geschah – nichts.
Die verantwortliche Behörde liess die Lehrer wochenlang allein und speiste sie mit ein paar verharmlosenden Sätzen ab. Ob man schon mit dem Schüler gesprochen und den Dialog gesucht habe? Erst eine Interpellation von Grossstadtrat Edgar Zehnder (SVP) vom 14. Februar über «schwerwiegende Sicherheitsprobleme an den Schaffhauser Schulen» brachte den Fall ins Rollen. Tags darauf bestätigte Stadtrat Raphaël Rohner (FDP) die Vorkommnisse, ohne Details zu verraten. Immerhin bestätigte er, dass ein Gespräch mit den Eltern und dem Schulrat stattgefunden habe – unter Polizeischutz.
Beten im Büro des Schulleiters
Unter dem öffentlichen Druck mussten die Behörden schliesslich über den Fall informieren. Der neue Stadtschulrat Ernst Sulzberger (GLP) war bei einem Besuch im Bach-Schulhaus am 17. Januar ebenfalls auf die Probleme angesprochen worden. An einer gemeinsamen Medienkonferenz am 24. Februar mit Stadtrat Rohner und Schulpräsidentin Huber bestätigte er das ganze Ausmass der Vorwürfe. Nach den Herbstferien habe sich Amir radikalisiert. Die Lehrer hätten eine Veränderung in seinem Charakter und in seinem Verhalten festgestellt. Während des Unterrichts habe er eine Website des Islamischen Zentralrats Schweiz (IZRS) besucht. Amir sei auf seine Mitschüler losgegangen. «Er hat Mädchen bespuckt und geschlagen», so Sulzberger. Überdies hat er sie unsittlich berührt. Dennoch habe der junge Mann «kein Problem mit Frauen». Nein, natürlich nicht. Auch Buben habe Amir geschlagen, die Lehrer hätten sich vor ihm gefürchtet, einem Kollegen habe der Mazedonier ein Messer gezeigt, führte der Schulrat weiter aus. Schliesslich mussten die Behörden auch widerwillig zugeben, dass man dem radikalisierten jungen Mann erlaubt hatte, in der Schule nach muslimischem Ritus zu beten. Der Schulhausvorsteher soll ihm dafür sogar sein Büro zur Verfügung gestellt haben. Von einem «Gebetsraum» könne man aber nicht sprechen, relativierte der Schulrat. Nach monatelangem Abwiegeln wurde Amir schliesslich in eine sogenannte Time-out-Klasse verlegt. Dort wird er mit fünf Mitschülern in einem Sondersetting mit hohem Personalaufwand betreut.
Die Versuche der Verantwortlichen, die Vorfälle wortreich herunterzuspielen, überzeugen umso weniger, als bei der Schaffhauser Polizei nicht weniger als neun Anzeigen gegen den gewalttätigen Schüler eingegangen sind, wie Polizeisprecher Patrick Caprez gegenüber der Weltwoche sagt. Die Polizei rapportiere zugunsten der Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Abteilung Jugendanwaltschaft. Den Ermittlern liegen unter anderem detaillierte Berichte von betroffenen Lehrern über die Ereignisse vor.
Der Fall Amir ist nicht der einzige, der in Schaffhausen für Aufregung sorgt. Im Schulhaus Alpenblick zeigten sich im Sommer 2016 ähnliche Radikalisierungstendenzen. Schon damals versuchte der Stadtschulrat mit SP-Politikerin Huber an der Spitze, die Ereignisse mit allen Mitteln zu vertuschen. Dabei verbreitete er vorsätzlich Unwahrheiten, wie die Schaffhauser Nachrichten aufdeckten und wie die Protokolle der Schulratssitzungen zweifelsfrei belegen.
Eine muslimische Familie, die unter dem Verdacht islamistischer Radikalisierung steht, war aus dem Kanton Zürich nach Schaffhausen gezogen. Dort lebte bereits der Bruder des Mannes mit seiner Familie. Beide Familien verhielten sich so auffällig, dass beunruhigte Lehrer den Schulrat informierten.
Dann geschah Merkwürdiges: Am 30. September 2016 erhielten die Eltern der Oberstufe Alpenblick durch ihre Kinder aus heiterem Himmel einen Brief, unterzeichnet von Schulrätin Nathalie Zumstein (CVP) und Schulvorsteher Marco Schwaninger. Darin wurde auf die Vorgänge angespielt, die an der Schule zu reden gaben. Es bestünden «keine Auffälligkeiten» und «keine Verunsicherung», hiess es darin. Und weiter: Eine Anfrage von Zumstein im Schulrat im Zusammenhang mit einer Fachstelle für Radikalisierung sei «rein routinemässig» erfolgt. Es gebe «keinerlei Grund zur Sorge».
Das sonderbare Dementi war eine vorwegnehmende Reaktion auf einen gleichentags in den Schaffhauser Nachrichten erschienenen Artikel, von dem die Verantwortlichen wussten, wann er publiziert würde. Die Protokolle von mehreren Sitzungen des Stadtschulrats entlarven die wortreichen Entwarnungen jedoch als dreistes Täuschungsmanöver.
Neuerdings mit Kopftuch
Gemäss Protokoll der Stadtschulratssitzung vom 24. August zeigten sich zwei Lehrerinnen nämlich «sehr beunruhigt über ihre Beobachtungen». Es handle sich um «erfahrene Lehrpersonen», die «sicher nicht ängstlich» seien, «aber bei diesen Familien haben sie ein ausgesprochen ungutes Gefühl». Sie möchten, «dass die Behörden Bescheid wissen, die Sache ernst nehmen und womöglich auch Massnahmen einleiten», heisst es im Protokoll.
Die Lehrerinnen fänden das Verhalten der beiden Familien «komisch». Ein Mädchen trage neuerdings ein Kopftuch «und weigert sich, es zum Aufsetzen einer Perücke fürs Schultheater abzunehmen – das ist neu und unerwartet». Beim Zeugnisgespräch habe der Bruder «einen viereckigen Abdruck auf der Stirn» gehabt, «das sei vom Beten». Und weiter: «Beide Väter weigern sich, den Lehrerinnen die Hand zu geben.» Bei einem Einweihungsfest sei die Familie «immer beobachtend separat» gestanden, und das jüngste Kind sei in einem Buggy gesessen und habe «mit einem Spielzeuggewehr auf die Anwesenden» gezielt. Schliesslich seien die Eltern häufig beobachtend auf dem Schulhausareal herumgeschlichen. Zudem wies ein Mitglied des Stadtschulrats laut Protokoll «auf einen anderen, seit Jahren hängigen Fall hin, bei dem er von keiner Amtsstelle Hilfe erhält».
Problemschüler, Problempolitiker
Ausdrücklich ist im Protokoll von einer Anlaufstelle für solche Fälle von Radikalisierungen die Rede, was der Stadtschulrat im Elternbrief vom 30. September dann wahrheitswidrig abstritt – wie auch die übrigen Fakten. Und es kommt noch dicker: Am 7. September, also ebenfalls noch vor jenem ominösen Elternbrief, tagte der Stadtschulrat wieder. Man habe sich wegen der Handschlagverweigerung im Schulhaus Alpenblick bei der Polizei nach einer Anlaufstelle erkundigt, heisst es im Protokoll. Von den Vorfällen wüssten nur die Schulbehörde und die Teams des Schulhauses Alpenblick. Irgendjemand habe die Schaffhauser Nachrichten informiert. Das dürfe nicht sein. Auf einen Anruf von deren Chefredaktor habe Schulrätin Zumstein diesem mitgeteilt, «dass nichts passiert sei. Wenn etwas an die Öffentlichkeit gelangt, wird die Sache nur grösser und nützt den Schulen nichts.»
Das hochnotpeinliche Schelmenstück ist noch nicht zu Ende. Verschiedene Medien pochen auf das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung und verlangen Einsicht in die Protokolle zum Fall Amir. Weder die Vertuschungsversuche noch die mehrfache Verbreitung von Unwahrheiten hatten bisher Konsequenzen für die verantwortlichen Stadtschulräte. Die Schaffhauser Lehrer sind nicht zu beneiden: Sie haben nicht nur mit Problemschülern, sondern auch mit Problempolitikern zu kämpfen.