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Im Lore-Agnes-Haus lernen junge Flüchtlinge das richtige Flirten
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Auch Sexualaufklärung spielt dabei eine Rolle: „Das geht und das geht gar nicht“
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Wie können geflüchtete Jugendliche Wege finden, Mädchen oder Jungen richtig anszusprechen?
Essen. Eine junge Frau mit Kopftuch und ein Senior mit Hornbrille. Ein Liebespaar? „Das passt gar nicht“, finden viele aus der kleinen Gruppe. Viele Jungs nicken, manche sehen es aber auch anders oder schweigen nur und grinsen ein bisschen verschämt über die Vorstellung.
Wer passt optisch zu wem? Das ist die erste Aufgabe für die 15 jugendlichen Flüchtlinge im Lore-Agnes-Haus. Sie wollen lernen, wie man in Deutschland Mädchen anspricht. Dafür gibt es den Awo-Kurs: „Parcours-Liebeswelten“. Es ist ein Angebot für Essener Flüchtlingsklassen. Heute ist die Klasse von Lehrerin Sarah Weldemann (Name geändert) dran.
Ihre erste Station: Das Pärchen-Memory: Hier lernen die Jugendlichen, dass in Deutschland bei unterschiedlichen Liebespaaren alle Konstellationen erlaubt sind. Alt und Jung, Mann und Mann. Oder Flüchtling und deutsches Mädchen.
Ihre Lehrerin Sarah Weldemann sagt: „Viele von meinen Schülern sagen: ‚Wir wollen eine Freundin, doch die Mädchen rennen uns oft vor der Nase weg.‘ Sie wollen wissen: ‚Wie geht man hier in Deutschland richtig auf das andere Geschlecht zu?'“
Wer sind die Kursteilnehmer?
Die meisten Kursbesucher sind unbegleitete Flüchtlinge aus Afghanistan, Somalia, Albanien und dem Kosovo. Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren. Mit normalen Teenager-Problemen: Was passiert in der Pubertät, wie geht Verhütung, wie lerne ich eigentlich eine Freundin kennen?
Weldemann: „In der Schule haben wir ein Fach, das heißt Alltagshilfe. Da rede ich eigentlich mit den Schülern darüber wie man in Deutschland einen Busfahrplan richtig liest.“ Doch immer häufiger löchern die Schüler ihre Lehrerin mit Fragen zum anderen Geschlecht. „So kam die Idee auf, gemeinsam einen Kurs zu belegen der im Alltag dabei helfen kann.“
Sex vor der Ehe – ein Tabuthema auch in Deutschland?
Am nächsten Stand geht es um Haltungen. Sex vor der Ehe, steht auf der Tafel. Nun sollen die Jugendlichen sagen, wie damit in Deutschland und in ihrer Familie umgegangen wird. Zuletzt: Was ist ihre persönliche Meinung?
Die jungen Flüchtlinge wirken schüchtern, aber aufgeweckt. Zurückhaltend, auch wegen der für sie unangenehmen Themen. Sexualität, Heirat, Gleichberechtigung. Darüber wird in ihren Kulturen oft nicht ganz so offen gesprochen. Trotz der Sprachbarriere gehen sie offen aufeinander zu.
Kursleiter ist Munir aus Afghanistan (23): „Meine einzige Heimat ist Deutschland“
Immer mit dabei ist Munir. Er unterstützt den Liebesparcours als Dolmetscher. Er weiß, wie den jungen Flüchtlingen zumute ist. Munir kennt es, alleine zu sein.
Vor Jahren wurden seine Eltern in Afghanistan von den Taliban entführt. Er flüchtete nach Deutschland. Ein fremdes Land, in dem er niemanden kennt und niemanden versteht.
Das ist jetzt sieben Jahre her: Heute wartet er auf einen Informatik-Studienplatz. In Essen fühlt er sich wohl. Er sagt mittlerweile: „Meine einzige Heimat ist Deutschland.“ Dieses Gefühl zu vermitteln ist Teil seiner Arbeit.
Das Lächeln eines Mädchens – die Aufforderung zum Flirt?
An der letzten Station des Parcours geht es um das Deuten von Zeichen: Ist es eine Flirteinladung, wenn ein Mädchen mich anlächelt?
Die Jungs sind sich zunächst uneinig, aber viele sind sich auch sicher: Wenn das Mädchen lächelt, signalisiert das großes Interesse. Munir klärt sie schnell darüber auf, dass das nicht immer so ist.
Auch Weldemann weiß von ihrer Klasse, dass es hier große Probleme gibt: „Das mit der Beziehung klappt oft nicht, weil die Mädchen ängstlich sind und meine Schüler die Signale der Mädels oft falsch deuten.“
Viele wissen nicht, dass Sex vor der Ehe in Deutschland kein großes Tabu ist
„Viele Jugendliche sind überhaupt nicht aufgeklärt, bislang hatten sie durch die Fluchterfahrung ganz andere Sorgen. Dass Sex vor der Ehe nicht überall ein Tabu ist, sondern auch etwas mit ihrer persönlichen und der Haltung von Deutschland zu tun hat, können sie hier lernen und dazu Fragen stellen“, erklärt Meral Renz. Sie ist Projektleiterin des Awo-Kurses.
Wer im Kurs dauerhaft nicht aufpasst oder zu sehr herumalbert, wird auch schon mal von Kursleiter Munir herausgeworfen.
„Doch das kommt selten vor, die meisten machen gerne mit und sind motiviert bei der Sache, um etwas über das andere Geschlecht zu lernen,“ sagt Munir und wendet sich wieder den Kursteilnehmern zu. Die letzte Station des Liebesparcours ruft.