„Du Jude“ als gängige Beschimpfung oder Koranlehrer, die das im staatlichen Unterricht Gelernte überprüfen: Berliner Lehrer berichten in einer Umfrage, dass Antisemitismus und Islamismus sich unter ihren Schülern immer mehr durchsetzen.
Antisemitismus und Salafismus unter Schülern mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund gehören zum Schulalltag. Zu diesem Befund kommt eine qualitative Befragung von Lehrerinnen und Lehrern an 21 Berliner Schulen, die dem rbb vorliegt.
Ein Großteil der befragten Lehrerinnen und Lehrer in Berlin wurde schon mit antisemitischen Vorfällen konfrontiert. Einige Schüler würden unter Anleitung „religiöser Autoritäten“ aus Moscheevereinen Druck auf Mitschüler ausüben. Leidtragend seien vor allem Mädchen und junge Frauen, säkulare Muslime und Homosexuelle.
Befragung an 21 Berliner Schulen
Um sich ein erstes Stimmungsbild zu machen, hatte das American Jewish Committee (AJC) parallel zum Berliner Modellprojekt „Demokratie stärken – Aktiv gegen Antisemitismus und Salafismus“ eine Dokumentation von Interviews mit Lehrkräften in Auftrag gegeben. Laut dieser Untersuchung auf Grundlage von Befragungen vom Herbst 2015 bis zum Frühjahr 2016 verstärken sich insbesondere antisemitische Tendenzen an Schulen.
Bei der Untersuchung hatte man in Kooperation mit dem „Landesinstitut für Schule und Medien in Berlin Brandenburg“ Lehrkräfte aus 21 Schulen in acht Berliner Bezirken im Sekundarbereich befragt. Darunter waren Schulen mit einem hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund – aber auch Schulen in sehr bürgerlichen Gegenden. Die Verfasser betonen, dass es sich bei der Umfrage um keine repräsentative Untersuchung der Gesamtsituation an Berliner Schulen handelt, sondern vielmehr um eine empirische Annäherung an das Thema.
Es wurde festgestellt, dass antisemitische Stereotype und Feindbilder laut Aussagen der befragten Lehrkräfte an einigen Schulen stark präsent sind. Auf Schulhöfen sei es gang und gäbe, sich gegenseitig als „Du Jude!“ zu beschimpfen.
Islamische „Moralwächter“ in der Schülerschaft
In der AJC-Dokumentation wird berichtet, dass sich Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund früher eher über ihre ethnische Zugehörigkeit definiert hätten, heute dagegen eher mit ihrer Religion. Lehrer sagten aus, dass diese Identifikation gleichzeitig eine Abgrenzung und Ablehnung anderer beinhalte. So haben laut der Untersuchung einige Pädagogen in den Gesprächen zu dieser Studie sogar wörtlich von „Moralwächtern“ gesprochen, die von „religiösen Autoritäten“ geschult worden seien und in der Schule gelehrte Inhalte später überprüfen würden.
Gleichzeitig maßregeln laut der Aussage eines Lehrers diese „Moralwächter“ auch andere Schüler, worunter vor allem säkular lebende muslimische Schüler, Andersgläubige und Atheisten litten. In der Dokumentation heißt es zum Einfluss von Moscheevereinen: „Einige der Befragten berichteten von einer ‚Überprüfung‘ des Schulstoffs durch religiöse Autoritäten wie Koranlehrer oder Moscheen. Mitunter würden die Aussagen dieser Institutionen von Schülern höher gewichtet.“ Ein Pädagoge habe gesagt: „Wir haben mittlerweile so eine Art Parallelbildung. Wir haben einerseits das, was in der Schule offiziell unterrichtet werden muss und dann haben wir bei vielen Schülern eben Moschee-Besuche, Moschee-Vereine, die da Einfluss nehmen.“
Lehrer beklagen Gehirnwäsche in Koranschulen
In der AJC-Befragung berichtet ein Lehrer, dass er seit 15 Jahren beobachte, dass einige Schüler regelmäßig die Berliner Al Nur-Moschee besuchen: „Wir fragen uns, wie geschickt die Gehirnwäsche ablaufen muss, damit die Schüler so schnell so antiwestlich, so antiamerikanisch sowieso, aber auch antisemitisch werden. Wir müssen da mit aller Kraft dagegensteuern – und es gelingt uns auch bei einigen, aber nicht bei allen.“
Michael Rump-Räuber vom Landesinstitut für Schule und Medien leitet als Vertreter des LISUM gemeinsam mit dem AJC das Projekt „Demokratie stärken – Aktiv gegen Antisemitismus und Neo-Salafismus“. In diesem Zusammenhang erhält er regelmäßig Rückmeldungen von Lehrkräften. Er erinnert sich an Aussagen von Lehrkräften nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Es hätten unter einigen Schülern sogleich Verschwörungstheorien die Runde gemacht, denen zufolge das Ganze eine Inszenierung der Juden und der USA und der Attentäter Amri ein CIA-Agent sei, der Hass auf Muslime schüren wolle. „Ich habe den Lehrerinnen und Lehrern, die wir befragt haben, dann geraten: Reden Sie mit den Schülerinnen und Schülern, erklären sie die Sachverhalte“, berichtet Michael Rump-Räuber. „Unser Institut setzt sich seit Jahren mit den Problemen des Antisemitismus und Extremismus auseinander.“ Man habe dazu zahlreiche Materialien entwickelt und Fortbildungen durchgeführt.
Das Land Berlin hat das Problem also schon vor Längerem erkannt und arbeitet an Lösungen für die Ausbildung von Pädagogen. Deidre Berger, die Direktorin des American Jewish Committee sagt, die Befragung habe vor allem gezeigt, dass es sich „nicht mehr um Einzelfälle“ handele. Gleichzeitig warnt sie vor einer anderen, „neuen Stigmatisierung“ Jugendlicher und spricht sich für einen Dialog in Schulklassen über den Nahost-Konflikt, über Israel und die Juden aus. Ein Ergebnis der Dokumentation ist aber auch, dass viele Lehrkräfte diese mitunter unangenehmen Dialoge vermeiden.
Religiöser Druck auf Mädchen nimmt zu
Mehr als die Hälfte der befragten Pädagogen schilderte in den Interviews zudem, dass Druck besonders auf Mädchen dahingehend ausgeübt werde, dass sie einem bestimmten Religionsbild entsprechen sollen. Aber auch andere Gruppen der Schülerschaft leiden unter dieser Entwicklung. Michael Rump-Räuber erinnert sich an Lehrerinnen und Lehrer, die berichten, dass Homosexualität zum Beispiel als Krankheit gesehen und nicht toleriert werde.
Die Schilderungen aus der Befragung beruhen auf authentischen Aussagen von Pädagogen aus Berliner Schulen. Sie sind bislang einmalig und machen klar, wie zwingend eine umfassende wissenschaftliche Studie zu diesem Thema wäre. Denn die Lehrkräfte fühlen sich häufig hilflos. Der Dokumentation zufolge wünschen sich die Lehrkräfte in aller Regel mehr Unterstützung und Strategien im Umgang mit diesen Phänomenen im Schulalltag.