Seit 2015 ist die Zahl der Asylverfahren dramatisch gestiegen. Die Justiz ist überlastet – und die beauftragten Anwälte, deren Geschäft eigentlich boomt, kämpfen mit ganz eigenen Problemen.
n den deutschen Verwaltungsgerichten fehlen 900 Richter – zumindest rein rechnerisch. Denn seit 2015 hat sich die Zahl aller verwaltungsgerichtlichen Verfahren von rund 150.000 auf 300.000 verdoppelt. Etwa 250.000 dieser Prozesse sind Asylklagen. Die Zahl der neu eingestellten Richter ist bei der Klageflut zu gering, die Gerichte sind überlastet – was wiederum dazu führt, dass sich die Verfahren stark in die Länge ziehen.
Die Folge davon: Die gesellschaftliche Integration von Flüchtlingen, die einen Anspruch auf Asyl haben, wird erschwert, die Abschiebung abgewiesener Asylbewerber verzögert sich – und die Kosten für den Staat steigen. Letzteres ist bereits in Zahlen zu fassen: Laut einem Bericht des Statistischen Bundesamts, der der „Bild“-Zeitung vorliegt, lagen die staatlichen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz im vergangenen Jahr um 73 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Demnach zahlten Bund, Länder und Gemeinden 2016 mehr als neun Milliarden Euro nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. 2015 waren es noch rund 5,2 Milliarden Euro gewesen. Die Statistiker erklären den Anstieg vor allem mit gestiegenen Mieten für Asylunterkünfte und den Fixkosten für Unterkünfte, die wegen der sinkenden Zahl von Antragstellern leer stehen.
Auch vor diesem Hintergrund suchen die Verwaltungsgerichte händeringend nach einer Lösung. „Insbesondere die Arbeitsprozesse im Austausch mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bergen enormes Effizienzpotenzial“, sagt Robert Seegmüller, Vorsitzender des Bunds Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR). „Mit dem Personal, über das wir aktuell verfügen, muss der Gesetzgeber Möglichkeiten schaffen, um effizienter zu entscheiden.“ Tatsächlich ist der Markt für Neujuristen heute sehr angespannt. Selbst wenn finanzielle Mittel locker gemacht würden, bliebe daher fast keine andere Möglichkeit, als die vorhandenen Ressourcen besser auszuschöpfen.
Auch andere Verfahren verzögern sich
Die Anträge auf Asyl werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bearbeitet. Auf negative Bescheide, an die eine Abschiebung gekoppelt ist, folgen Klagen, und diese landen dann vor den Verwaltungsrichtern. Während das Verfahren läuft, dürfen die Betroffenen in Deutschland bleiben. Sie gelten als geduldet, die drohende Abschiebung wird vorübergehend ausgesetzt.
Durch die Last der Asylverfahren würden sich auch andere Verfahren an den Verwaltungsgerichten verzögern, sagt Seegmüller. Verwaltungsgerichte sind immer dann zuständig, wenn Bürger gegen Behörden klagen, also zum Beispiel gegen Baugenehmigungen vorgehen oder gegen die Nichtversetzung ihres Kindes in die höhere Klasse. Viele Kläger dürften angesichts der überlasteten Gerichte jetzt deutlich länger als früher auf ein Urteil warten.
Aber nicht nur Gerichte und Behörden stehen vor der schweren Aufgabe, die Auswirkungen der Flüchtlingskrise zu bewältigen. Auch Anwälte, die Flüchtlinge gerichtlich vertreten, können sich vor Anfragen kaum retten. „In Berlin muss man durchaus 10 bis 20 Anwälte abtelefonieren, bevor man einen findet, der sich im Asylrecht auskennt und freie Kapazitäten hat“, berichtet Marija Peran, Migrations- und Flüchtlingsrechtsberaterin bei der Caritas in Berlin.
Grundsätzlich besteht vor dem Verwaltungsgericht zwar kein Anwaltszwang, sodass sich Asylsuchende theoretisch auch alleine vor Gericht wagen könnten. Doch der riesige Rechtskomplex rund um das Asylrecht, in den zahlreiche Vorschriften etwa aus dem EU-Recht oder den Menschenrechtsbestimmungen einfließen, macht in der Regel einen Spezialisten nötig.
Findet ein Asylsuchender einen Anwalt mit freien Kapazitäten, ist es damit allerdings noch lange nicht getan. Dann stellt sich nämlich als Nächstes die Frage, wie er bezahlt werden kann. Eine Möglichkeit ist die sogenannte Prozesskostenhilfe. Eine Übernahme dieser Kosten bewilligt das zuständige Verwaltungsgericht allerdings nur dann, wenn die Klage Aussicht auf Erfolg hat und beim Antragsteller eine „wirtschaftliche Notlage“ festgestellt wird.
Wer kommt auf für die Kosten?
Die wirtschaftliche Notlage zumindest ist normalerweise gegeben: „Da die Asylbewerber in der Regel nur die Leistungen nach Asylbewilligungsgesetz beziehen, liegt die wirtschaftliche Bedürftigkeit der Antragsteller vor“, erklärt Rechtsanwalt Zaza Koschuaschwili. Er berät in seiner Kanzlei in Köln zum Ausländer- und Asylrecht. Mit den Erfolgsaussichten sehe es dagegen oft anders aus.
Koschuaschwili bespricht mit seinen Mandanten in jedem Fall individuell, ob staatliche Hilfen wahrscheinlich sind. Richter Seegmüller hat allerdings beobachtet, dass die Geflüchteten auch dann weiter klagen, wenn kein Geld fließt: „Diese Verfahren werden meiner Beobachtung nach dann häufig trotz der Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags weitergeführt“, sagt er.
Ist die Klage vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich, entstehen für den Kläger keine Kosten. Bei einer Ablehnung bekommen die Flüchtlinge dagegen eine Rechnung. „In der Regel versuchen die Mandanten, das Geld für die Beauftragung des Rechtsanwalts bei Verwandten oder Bekannten auszuleihen“, sagt Koschuaschwili. „In diesem Falle wird eine entsprechende Vergütungsvereinbarung abgeschlossen.“
Schwieriger Spagat für Anwälte
Dies gelinge natürlich nicht immer, berichtet der Anwalt. Daher bietet seine Kanzlei als Alternative an, das Honorar in monatlichen Raten abzubezahlen, die in der Regel auf 100 Euro festgesetzt werden. Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) legt den Streitwert in Klageverfahren nach dem Asylgesetz auf 5000 Euro fest. Mit jeder weiteren Person, um die es in dem Verfahren geht, steigt der Wert um 1000 Euro.
Beratungsstellen wie die der Caritas in Berlin bieten Flüchtlingen eine erste rechtliche Orientierung. Dabei gehe es vor allem auch darum, die Asylsuchenden möglichst umfassend über die zu erwartenden Kosten aufzuklären, sagt Caritas-Expertin Peran. Sie vermittelt die Flüchtlinge an Anwälte, die das Gerichtsverfahren begleiten. „Die Möglichkeit der Ratenzahlung hat sich als guter Kompromiss für beide Seiten bewährt“, findet sie.
Trotzdem stehen Anwälte wie Koschuaschwili tagtäglich vor einer schweren Entscheidung: „Einerseits wollen wir den Menschen natürlich helfen, andererseits müssen wir die Übernahme des Mandanten auch wirtschaftlich verantworten.“ Ein schwieriger Spagat für alle Beteiligten.