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Jul 28

Migranten als Mitglieder abgelehnt: Der SPD wird Rassismus vorgeworfen

Ali Kerim Yavuz, SPD-Mitglied aus Hagen versteht die Welt nicht mehr: Seit Jahren wirbt er für die SPD, doch von ihm geworbene Neumitglieder mit Migrationshintergrund will man in Hagen nicht aufnehmen.

Die SPD in Hagen hat ein Problem: Ihr wird Rassismus vorgeworfen, von den eigenen Mitgliedern und jenen, die gerne der sozialdemokratischen Partei beitreten wollen. Zahlreiche von ihnen wurden nunmehr ohne Begründung abgewiesen; weit mehr als 50 Personen sind betroffen. Die meisten haben einen deutschen Pass, sind in Hagen geboren oder leben seit über 20 Jahren in Deutschland tragen – tragen jedoch ausländisch, ja fremd klingende Namen.

Ali Kerim Yavuz ist sauer, stinksauer. Seit 2013 ist der Gas- und Wasserinstallateur SPD-Mitglied – doch das, was ihm aktuell in der Partei entgegenschlägt, hat der 41-jährige Hagener noch nicht erlebt.

„Das ist Rassismus pur, nichts Anderes!“, sagt Yavuz, der in vielen Vereinen aktiv ist: marokkanische, türkische und deutsche. Er ist integriert, aktiv im Stadtteil. Man kennt ihn als hilfsbereiten Menschen. Kommt die Müllabfuhr nicht, sind Scheiben eingeschmissen, läuft irgendetwas schief im Stadtteil, wird er angesprochen – und aktiv.

„Ich vermittele, darin habe ich Erfahrung. Denn oft werden Menschen mit ausländisch klingenden Namen abgewiesen von den Behörden in Hagen. Die können doch nicht die Leute behandeln wie Dreck, nur, weil sie nicht biodeutsch sind. Und auch im Stadtrat sitzt fast kein Migrant“, beklagt Yavuz.

Für seine Mieter macht er sich ebenso stark, denn er besitzt mehrere Immobilien, etwa in den Stadtteilen Altenhagen und Wehringhausen. Bei seinen Mietern, auf der Arbeit, in seinem Freundes- und Bekanntenkreis, in Vereinen – ja überall, wo Yavuz unterwegs ist, wirbt er für die Sozialdemokratie. Denn ihre Werte sind auch seine. „Nur eine starke SPD kann etwas bewegen. Und stark ist die SPD, wenn sie viele Mitglieder hat, die sich beteiligen und einbringen“, betont Yavuz.

Rumänen, Bulgaren und Türken sind unerwünscht

Menschen mit Nachnamen wie Isaoglu, Tamari, Borowy, Yumer oder Yordanvo hat Ali Yavuz aktuell für die Partei geworben – insgesamt 55 Personen. Doch sie dürfen der SPD nicht beitreten.

„Ali ist ein Vorzeige-Ausländer“, beschreibt ihn Mark Krippner, selbst SPD-Mitglied, viele Jahre Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Hagener Stadtrat und aktuell Vorsitzender im Ortsverein Hohenlimburg. „Weil es Neumitglieder sind, die inhaltliche und personelle Veränderung wollen, werden sie abgelehnt. Da es auch Rumänen, Bulgaren oder Türken sind, kann ich verstehen, wenn diese sich möglicherweise auch deshalb diskriminiert fühlen. Viele von ihnen haben zwar einen deutschen Pass, tragen allerdings keinen deutschen Namen“, so Krippner.

Erklären kann sich der Sozialdemokrat diesen „einmaligen Vorgang“ nicht. In seinem Ortsverein setze er auf Integration – nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Vorstand. Nachnamen wie Bölük, Akkaya, Aker, Benk und Erte sind dort vertreten, neben Krippner, Hilsmann, Glörfeld und Brand.

Krippner weiter: „Irgendwie ist es doch Ironie pur, wenn die Sache nicht so traurig wäre: Diejenigen, die im Ortsverein Wehringhausen beitreten wollen, sind Wehringhauser. Sie leben dort, einige arbeiten zudem im Stadtteil, kennen das Umfeld, die Probleme, die Möglichkeiten. Und jetzt sagen diejenigen im Vorstand, die nicht Wehringhauser sind: Du kommst hier nicht rein. Ja wo leben wir denn?“

Den Abgelehnten sind wortgleiche Schreiben vom SPD-Unterbezirk Hagen zugegangen: „Als Geschäftsführer des SPD-Unterbezirks Hagen teile ich Ihnen hiermit mit, dass der nach § 2 Abs. 5 für Sie zuständige Vorstand des SPD Ortsvereins Wehringhausen am 3. Juli 2018 entschieden hat, Ihren Aufnahmeantrag nach § 3 Abs. 1 des Organisationsstatuts der SPD abzulehnen“, schreibt SPD-Geschäftsführer Claus Homm. Ein schriftlicher Einspruch binnen eines Monats an den SPD-Unterbezirk Hagen sei möglich.

Für Rückfragen der Redaktion ist Homm leider nicht zu sprechen; auf E-Mails antwortet er nicht. Und auch bei der NRW SPD will man sich zu den Rassismusvorwürfen gegenüber der SPD nicht äußern. Nachdem mehrere Anfragen zwei Wochen lang unbeantwortet bleiben, reagiert Christian Obrok, Pressesprecher der NRWSPD, erst auf telefonische Nachfrage mit den Worten: „Das bleibt auch so.“ Keine Antwort.

SPD-Funktionär Krippner: „Für mich ist das undemokratisches Verhalten der Hagener Parteispitze“

„Der Vorgang lässt vermuten, dass es in der SPD Hagen ein Rassismusproblem gibt. Bitte nehmen Sie dazu Stellung“, lautet eine Frage der Redaktion – die SPD schweigt. „Ist es richtig, dass der Ortsvereinsvorstand einem Großteil ohne Begründung die Aufnahme verweigert. Bitte nehmen Sie dazu Stellung“, heißt es in einer anderen Frage – die SPD schweigt. Elf Fragen, keine Antwort – weder aus Hagen, noch von der Landespartei aus Düsseldorf.

Pikant im Vorstand des Wehringhauser Ortsvereins ist auch: „Dort kommt fast niemand aus dem Stadtteil. Der Vorsitzende, Ratsherr Claus Rudel, wohnt nicht in Wehringhausen, ebenso wenig sein Fraktionskollege Kevin Niedergriese. Er ist dort Kassierer. Und auch sein Stellvertreter, Dennis Kerkenberg, um nur einige zu nennen. Die Liste lässt sich erweitern“, beklagt Mark Krippner und meint weiter: „So sieht er also aus, der vielbeschworene Neuanfang, der Erneuerungsprozess aus – wir rücken weiter nach links; von wegen! Alles bleibt wie es ist in der SPD, in Wehringhausen. Bloß niemanden einbinden, der vielleicht anders ist, der sich einbringen, der mitarbeiten möchte und einen ausländischen Namen trägt. Ich kann verstehen, dass das für Ali Rassismus ist, weil er aus seiner Sicht diskriminiert wird. Die Altgedienten wollen alle nur ihre Posten behalten. Sie wollen keine inhaltliche Erneuerung.“

WDR-Bericht: Unterwanderung vermutet

Laut einem Bericht des WDR, dem gegenüber SPD-Geschäftsführer Claus Homm die Ablehnung von 55 Bürgern als Mitglied bestätigt, werden als Gründe „Auffälligkeiten“ und „Ungereimtheiten“ genannt. Man müsse sich vor „Unterwanderung“ schützen, zitiert der WDR Homm weiter. Vor Ablauf der Einspruchsfrist, Mitte August 2018, werde die SPD ihre Ablehnungs-Bescheide nicht näher begründen.

„Ich kenne einige von denen. Das sind ganz normale Leute, Hagener, die hier leben und arbeiten. Dass es hier eine Unterwanderung geben soll – das ist Schwachsinn, Unfug, eine Schutzbehauptung – mehr nicht“, meint Krippner auf die Begründung seiner Parteifreunde von der Hagener SPD.

Auch Ali Yavuz zeigt sich entsetzt: „Unter denen, die ich geworben habe, sind mehrere Dutzend Menschen, die ich bereits seit 2013 für die Partei geworben habe. Doch sie wurden wieder rausgeschmissen, ohne, dass man mir das mitgeteilt hat. Warum, das weiß ich nicht. Ich habe mich damals sehr lange und intensiv um meine Mutter kümmern müssen, da habe ich nicht verfolgt, was da im Hintergrund passiert. Ich bin ja in einem anderen Ortsverein, in Westerbauer, aktiv. Und da bekommt man nicht immer alles im Detail mit.“ Die SPD Hagen und die NRW SPD nehmen zu diesem Vorwurf auf Rückfrage ebenfalls keine Stellung.

Interessant: 2015 hat Ali Yavuz nach eigenen Angaben noch Claus Rudel dabei unterstützt, Mitglieder zu werben. Dafür bekam Rudel einen Preis der NRW SPD: „SPD-Ortsvereine Altenhagen und Wehringhausen gehören NRW-weit zu den besten in der Mitgliederwerbung“, hieß es im August 2015 in einer Mitteilung.

Yavuz: „Viele der von mir geworbenen Mitglieder wurden nach der Wahl wieder rausgeworfen, ohne dass sie darauf hingewiesen wurden. Das habe ich von einigen erfahren, die mich nun darauf angesprochen haben. Sie wussten nicht, dass sie nicht mehr SPD-Mitglieder seien.“ Auch zu diesen Vorwürfen hätte die Redaktion gerne eine Stellungnahme der SPD Hagen und der NRW SPD entgegengenommen und veröffentlicht. Leider wollen beide Fragen der Redaktion dazu nicht beantworten.

Kein Platz für Rassismus in Hagen und in der SPD

Doch warum wirbt Yavuz so fleißig um Neumitglieder, wenn er keine Unterwanderung plant? „Als ich damals eingetreten bin in die SPD, den ersten Stammtisch, die erste Veranstaltung besucht habe, war ich verblüfft: Da waren nur alte Menschen, Rentner, keine jungen Leute aktiv. Und es waren so wenige, die dort insgesamt mitgemacht haben. Und Migranten, die gab es hier gar nicht, obwohl Hagen doch so eine multikulturelle Stadt ist.“ Seither wirbt Ali Yavuz für die SPD, für „meine Partei“.

Wie lange noch, das wird sich zeigen. „Ich habe bereits alles mögliche gemacht, um die Probleme aus der Welt zu schaffen. Mit der Partei in Berlin habe ich etwa Kontakt aufgenommen, ihnen mitgeteilt, dass bei der SPD in Hagen einiges nicht stimmt – besonders im Ortsverein Wehringhausen. Ich habe auch mitgeteilt, dass ich von der Geschäftsführung, von Claus Homm, vom Wehringhauser Ortsvereinsvorsitzenden Claus Rudel und von SPD-Parteichef Timo Schisanowski über zwei, drei Monate ignoriert wurde. Zum Schluss habe ich mich an Mark Krippner gewandt. Am Ende, weil sie nicht reagiert haben, habe ich mich an die Medien gewandt. Ich wusste mir sonst nicht mehr zu helfen“, sagt Yavuz und ist sich sicher: „Desto mehr sie versuchen, Menschen wie mich auszugrenzen, desto mehr werde ich aktiv dagegen vorgehen. Denn Rassismus ist das letzte, was wir in Hagen, in der SPD brauchen. Für sie ist kein Platz in unserer Stadt, in unserer Partei.“

Quelle: Focus

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